Russland: Ein Kreislauf von Desinformationen über Joe Biden

russland: ein kreislauf von desinformationen über joe biden

Russische Sicherheitskräfte halten am 23. März Wache vor der beim Anschlag am Tag zuvor ausgebrannten Crocus City Hall

In der Mitteilung des russischen Ermittlungskomitees werden weder der Name des amerikanischen Präsidenten Joe Biden noch der Terroranschlag auf die Crocus City Hall bei Moskau direkt erwähnt, bei dem am 22. März mindestens 144 Menschen getötet wurden. Aber es geht offensichtlich darum, eine Verbindung zwischen beiden herzustellen: Das Komitee teilt mit, es habe ein Strafverfahren gegen „höchste Amtspersonen der USA und Mitgliedstaaten der NATO“ wegen der Finanzierung von Terroranschlägen in Russland eröffnet. Welche damit genau gemeint sind, hält das Komitee offen, aber der Hinweis auf Joe Biden ist eindeutig.

Das Geld für die Anschläge „mit dem Ziel, politische und öffentliche Persönlichkeiten auszuschalten und wirtschaftlichen Schaden anzurichten“, soll über die ukrainische Burisma Holding geflossen sein, heißt es in der am Dienstagabend veröffentlichen Mitteilung. Dieses Unternehmen steht im Zentrum der Anstrengungen des früheren amerikanischen Präsidenten Donald Trump und der Republikaner, Biden und seiner Familie Korruption nachzuweisen und ein Amtsenthebungsverfahren gegen ihn anzustrengen. Und es spielte auch eine zentrale Rolle in der Affäre, wegen der die US-Demokraten im Herbst 2019 ein Amtsenthebungsverfahren gegen Präsident Trump einleiteten.

Den Anschlag auf die Crocus City Hall bringt die russische Führung schon seit den Stunden des Terrorangriffs mit der Ukraine und deren westlichen Verbündeten in Verbindung. Dabei hat sich die Terrormiliz „Islamischer Staat“ zu dem Verbrechen bekannt und zur Bekräftigung ein Video des Massakers aus Tätersicht veröffentlicht. Russlands Präsident Wladimir Putin hat jedoch schon kurz nach dem Anschlag deutlich gemacht, dass er das nicht gelten lässt. Die unmittelbaren Täter seien zwar Islamisten, sagte Putin, aber als Drahtzieher beschuldigt er Russlands westliche Gegner im geopolitischen Ringen.

Amerika hat vor dem islamistischen Anschlag in Moskau gewarnt

„Russland kann nicht Objekt terroristischer Angriffe von Seiten islamischer Fundamentalisten werden“, sagte Putin am vergangenen Donnerstag. Wegen der internationalen Rolle Russlands – gemeint ist etwa die Parteinahme für die Palästinenser – sowie wegen seiner inneren „Einheit“ sei das Land vor islamistischem Terror gefeit. Allerdings ist Russland in den vergangenen Jahrzehnten Ziel vieler islamistischer Anschläge geworden, auch solche, die nach Putins eigener Aussage vom IS verübt worden sind. Die Ausweitung der russischen Luftangriffe auf IS-Stützpunkte in Syrien im Herbst 2015 begründete er mit dem IS-Bombenanschlag auf ein russisches Passagierflugzeug, bei dem 224 Menschen getötet wurden.

Vor dem Anschlag auf die Crocus City Hall hatten die Vereinigten Staaten Russland vor den Plänen der Islamisten gewarnt. Nach dem Anschlag versicherten die Leiter der russischen Geheimdienste, diese Warnungen seien nur „allgemein“ gewesen, daher habe man die Terroristen nicht stoppen können. Doch Anfang April berichteten die „New York Times“ und die „Washington Post“, die Warnung habe sich ausdrücklich auf die Crocus City Hall bezogen. Dafür spricht auch die Aussage eines 15 Jahre alten Schülers, der in der Garderobe des Saales arbeitete und Besuchern half zu fliehen: Man sei vor möglichen Angriffen gewarnt und über das Verhalten für solche Fälle unterwiesen worden. Das russische Außenministerium wies die amerikanischen Zeitungsberichte zurück.

Einer der vier Tadschiken, die am 22. März mit Sturmgewehren auf die Konzertbesucher schossen und den Saal anzündeten, war am Abend des 7. März in dessen Eingangsbereich fotografiert worden. An jenem Tag hatte die US-Botschaft in Moskau vor Terroranschlägen in der russischen Hauptstadt in den nächsten 48 Stunden gewarnt. Auf diese öffentliche Warnung bezog sich Putin, als er drei Tage vor dem Anschlag die amerikanischen Warnungen als „Erpressung“ und als Versuch zurückwies, „unsere Gesellschaft einzuschüchtern und zu destabilisieren“.

Hunter Bidens Verbindung zur ukrainischen Gas-Holding Burisma

Vor diesem Hintergrund eröffnete das Ermittlungskomitee in Moskau nun das Strafverfahren wegen Terrorfinanzierung, das sich offensichtlich gegen Joe Biden richtet. Es folgte dabei nach eigenen Angaben dem Gesuch einer Gruppe aus drei russischen Abgeordneten, einem früheren ukrainischen Parlamentarier, dem Kiew Hochverrat vorwirft, sowie dem radikalen Nationalisten Alexandr Dugin. In dem Ende März, fünf Tage nach dem Anschlag auf die Crocus City Hall, veröffentlichten Schreiben werden, anders als in der Mitteilung des Komitees, konkrete Geschehnisse aufgelistet. Darunter sind die Sprengung der Gaspipelines Nord Stream 1 und 2 in der Ostsee und der Autobombenanschlag auf Dugins Tochter im August 2022. Zudem werden die ukrainischen Drohnenangriffe auf Ziele in Russland als „terroristisch“ bewertet.

Ein „privater Schlüsselsponsor“ der „terroristischen Tätigkeit“ des ukrainischen Militärgeheimdienstes HUR sei „der ukrainische Geschäftspartner des Präsidenten der USA J. Biden“, der Burisma-Eigentümer Mykola Slotschewskyj, heißt es in dem Gesuch, in dem als Beleg Zahlungen von gut 18 Millionen Dollar auf ein Konto der ukrainischen Armee für den Ankauf von Drohnen angeführt werden. Mit der Darstellung Joe Bidens als „Geschäftspartner“ Slotschewskyjs folgt die Gruppe um Dugin der Darstellung der Republikaner im amerikanischen Kongress.

Die angebliche Verbindung zwischen Joe Biden und Burisma wird über dessen Sohn Hunter hergestellt, der von 2014 bis 2019 dem Verwaltungsrat der Holding angehört und dafür über die Jahre mehrere Millionen Dollar kassiert hat. Diese Verbindung begann im Frühjahr 2014, kurz nach der Revolution in der Ukraine. Damals war Joe Biden amerikanischer Vizepräsident und zuständig für die Ukrainepolitik der USA. Burisma-Eigentümern Slotschewskyj musste nach dem Machtwechsel in Kiew mit Schwierigkeiten rechnen, denn er stand genau für jene Verquickung von Staatsämtern und privaten Interessen, gegen die sich die Revolution gerichtet hatte. Burisma war – nicht zufällig – zum größten privaten Gasförderer der Ukraine aufgestiegen, während Slotschewskyj von 2010 bis 2012 unter dem durch die Revolution gestürzten Präsidenten Viktor Janukowytsch als Umweltminister für die Vergabe von Förderlizenzen zuständig war.

Die Falschbehauptungen Trumps und der Russen

Nach der Revolution wurden gegen Slotschewskyj mehrere Strafverfahren wegen Korruptionsdelikten eingeleitet. Er suchte Rettung in Kontakten, die bei der neuen ukrainischen Führung und im Westen gut angesehen waren. Außer Hunter Biden holte er auch den früheren polnischen Präsidenten Aleksander Kwaśniewski in den Burisma-Verwaltungsrat. Das Engagement Hunter Bidens sorgte wegen des offensichtlichen Anscheins eines Interessenkonfliktes seines Vaters damals sowohl in der Ukraine als auch in den USA für Aufsehen.

Anlass für einen Skandal wurde es, nachdem Trump die ukrainische Führung 2019 bedrängt hatte, ein Strafverfahren gegen Hunter Biden einzuleiten, und davon die Freigabe von Hilfen für die Ukraine abhängig machte. Das war der Grund für das Amtsenthebungsverfahren gegen Trump. Er und seine Leute verbreiten seither eine Falschbehauptung, die auch in dem Moskauer Gesuch aufgegriffen wird: Joe Biden habe 2016 als Vizepräsident die Absetzung des damaligen ukrainischen Ge­ne­ral­staats­an­walts erzwungen, um Ermittlungen gegen seinen Sohn zu verhindern. Tatsächlich haben Amerika und die EU damals gemeinsam den Abgang des Staatsanwalts erwirkt, dennoch ist das Gegenteil der Behauptung richtig: Die USA begründeten die Absetzung unter anderem mit der Verschleppung von Ermittlungen gegen Burisma.

Joe Biden konnte in der ganzen Affäre trotz jahrelanger Anstrengungen seiner Gegner bisher kein Fehlverhalten nachgewiesen werden. Doch indem die russischen Strafverfolger nun aus seiner angeblichen Verbindung zu Burisma eine Verbindung zwischen ihm und Terroristen konstruieren, schließt sich ein Desinformationskreis: In den Vereinigten Staaten ist im Februar ein Informant der amerikanischen Bundespolizei wegen Falschaussage angeklagt worden, dem FBI 2020 fälschlicherweise von Millionenzahlungen von Burisma an Joe sowie Hunter Biden berichtet zu haben. Dieser Informant wiederum soll seine Informationen von russischen Geheimdienstmitarbeitern erhalten haben.

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