Das EU-Parlament hat am Donnerstag in Brüssel mit einer breiten Mehrheit die Reform der Strommärkte der EU abgesegnet. Die Reform zielt darauf ab, die Strompreise unabhängiger von Preisschwankungen zu machen, den Ausbau erneuerbarer Energien zu beschleunigen und die Verbraucher besser vor Spitzen-Strompreisen zu schützen. Nach dem Parlament müssen nun noch die EU-Staaten im Rat zustimmen, dies gilt aber als Formsache.
Die Maßnahmen bestehen aus einer bereits mit dem Rat vereinbarten Verordnung und einer Richtlinie. Mit der Reform reagiert die EU auf die explosionsartig gestiegenen Strompreise nach dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Ziel ist auch, den Strompreis unabhängiger vom Gaspreis und fossilen Energien zu machen.
Verbraucherinnen und Verbraucher erhalten in Zukunft das Recht, sich bei Vertragsabschluss für fixe oder dynamische, marktorientierte Strompreise zu entscheiden. Stromlieferanten dürfen laut Reform zudem nicht mehr einseitig die Vertragsbedingungen oder den Vertrag ändern.
„Differenzverträge“ als Kern der Reform
Kern der Reform sind sogenannte „Differenzverträge“: Dabei garantiert der Staat Unternehmen, die in erneuerbare Energien investieren, Mindestpreise, wenn die Marktpreise zu stark fallen. Liegt der Marktpreis jedoch oberhalb einer gewissen Grenze, fließen die Überschussgewinne an den Staat. Der Einsatz von Differenzverträgen wird bei allen Investitionen in die neue Stromerzeugung erlaubt sein, sei es aus erneuerbaren oder nuklearen Energiequellen. Letzteres gilt als Zugeständnis an Frankreich.
Weiters ist ein Mechanismus zur Ausrufung einer Strompreiskrise vorgesehen: In einer Situation sehr hoher Preise und unter bestimmten Bedingungen kann die EU eine regionale oder EU-weite Strompreiskrise ausrufen, die es den Mitgliedstaaten ermöglicht, vorübergehende Maßnahmen zur Festsetzung der Strompreise für kleinere Unternehmen und energieintensive Industriekunden zu ergreifen.
Industrieausschuss begrüßt Reform
„Mit den neuen Vorschriften für den EU-Strommarkt machen wir die Energierechnungen von Verbrauchern und Unternehmen weniger abhängig von kurzfristigen Preisschwankungen. Wir sichern Verbrauchern den Zugang zu stabiler, preiswerter und sauberer Energie. Außerdem werden die Bedingungen für Energieinvestitionen verbessert, insbesondere durch die Stärkung von Differenzverträgen und Stromabnahmevereinbarungen“, kommentierte Angelika Winzig, ÖVP-Delegationsleiterin im Europaparlament.
Günther Sidl, Mitglied im zuständigen Industrieausschuss sieht diese Reform als längst überfällig an: „Unser Strommarkt ist derzeit immer noch zu anfällig für Schwankungen. Die Auswirkungen davon haben wir insbesondere im Winter 2022 zu spüren bekommen, als die Energiepreise ihren absoluten Höhepunkt erreichten. Am härtesten waren Menschen in ohnehin schon prekären Verhältnissen betroffen. Viele Menschen mussten frieren oder in anderen Lebensbereichen zurückstecken, um sich das Heizen noch leisten zu können. So etwas darf in Zukunft einfach nicht mehr passieren!“
Fokus auf Gasalternativen
Gemeinden und Stadtwerke sollen laut der Richtlinie künftig verstärkt auf Gasalternativen wie Fernwärme oder Elektrifizierung setzen. Neos-EU-Abgeordnete Claudia Gamon, die die Verhandlungen für die liberale Fraktion Renew Europe leitete, begrüßt diesen Schritt: „Es war mir ein großes Anliegen, dass die neue Richtlinie eine Antwort auf die Frage gibt: Wie können wir uns von der Abhängigkeit von Putins Gas befreien?“ „Ich will weder Putins Gas noch seine Agenten in unserer EU“, sagt NEOS-Außenpolitiksprecher und EU-Spitzenkandidat Helmut Brandstätter: „Beenden wir den Einfluss von Putin auf Europa und gerade auf Österreich. Österreich hat im Jänner rund 98 Prozent des Gases aus Russland importiert.“
Für das globalisierungskritische Netzwerk Attac bringt die Reform keine Reparatur eines grundsätzlich gescheiterten Systems. „Sowohl Strom als auch Gas sollen weiterhin über spekulative Termingeschäfte und intransparente Energiebörsen gehandelt werden. Ein Ende von Finanzspekulation und Profitmaximierung ist nicht in Sicht. Die Rekordprofite der Energiekonzerne bleiben weitgehend unangetastet“, kritisiert Max Hollweg von Attac Österreich. Attac fordert in einer Aussendung eine grundlegende Reform des Energiemarktes, die eine Abkehr vom liberalisierten Strommarkt beinhaltet: „Verbraucher*innenpreise sollten nicht mehr vom Gaspreis abhängig sein, sondern an die Herstellungskosten gekoppelt werden. Energieversorger sollten gleichzeitig EU-weit zu gemeinnützigen Zielen wie Versorgungssicherheit, Leistbarkeit und Klimaschutz verpflichtet werden.“ (APA)
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