Restaurant Loumi Dining in Berlin-Kreuzberg: Keine Angst vor neuen Ideen
Ein noch seltenes Dessert in unseren Breitengraden: Mikan-Sorbet mit kandierter Yuzu
Dass Gastronomen in dieser Stadt noch ihrer Intuition folgen und mit einigermaßen überschaubarem Risiko ein Restaurant eröffnen können, macht mich glücklich. In anderen Weltstädten wäre dies ein hoffnungslos romantischer Traum. Da braucht es neben Grundsätzlichem wie Gewerbeschein und Konzession noch Konzepter, Designer, Berater und Marketingexperten – und vor allem viel, viel Geld; meist fremdes.
Gastronomen müssen sich andernorts finanzkräftige Investoren ins Boot holen, deren Knebelverträge sie bis auf die Größe der Petits Fours am Ende des Menüs kleinschrumpfen. Nicht so in Berlin: Da kann es tatsächlich noch reichen, wenn man die eigene Familie oder Freunde um etwas Kapital anhaut. Vorausgesetzt natürlich, man hat ihnen zuvor bewiesen, dass man neben Talent, Leidenschaft und Energie auch ein überzeugendes Konzept sowie etwas Angespartes mitbringt.
So geschehen ist das bei Mical Rosenblat und Karl-Louis Kömmler, zwei Autodidakten in Küche und Gastronomie. Mit etwas eigenem und etwas von ihren beiden Familien geliehenem Geld haben sich die beiden im vergangenen Sommer den Traum vom ersten Restaurant erfüllt. Zuvor hatten sie einige Jahre mit einem privaten Pop-up-Dining in einem versteckten Innenhof an der Neuköllner Sonnenallee für Aufsehen gesorgt, Loumi Dining hieß es.
Durchdacht und fast zart anmutend: Der Speiseraum des Loumi
Und so heißt konsequenterweise nun auch ihr kleines, sehr intimes Restaurant, das gegen den herrschenden Zeitgeist eine unglaublich verarbeitungsintensive Küche mit Spitzenprodukten und ein Menü-Only-Konzept mit acht Gängen fährt. Eigentlich all das, wovon Gastroberater, Marketingexperten und Investoren derzeit dringend abraten.
Wie gut, dass Mical Rosenblat und Karl-Louis Kömmler einfach ihrer Intuition gefolgt sind – und niemand ihnen reinreden konnte. Denn das Loumi Dining ist fast jeden Abend ausgebucht, so auch bei meinem Besuch. Und nachdem ich dort gegessen habe, weiß ich auch, warum.
Als festes Restaurant ist das Loumi Dining ebenso alles andere als konventionell. Ich sehe es als Showroom zweier Enthusiasten, die mit viel Liebe und Präzision bei fast jedem Gang ein Feuerwerk an Umami abliefern. Auch Zitrusfrüchte sollte lieben, wer hier essen will, so viel sei schon mal gesagt. Die Aromen von Kabosu, Sudachi, Yuzu, Pomelo und Satsuma ziehen sich wie ein roter Faden durchs Menü; sie sind stilprägend für diese ungewöhnliche Küche, die ansonsten am ehesten mit dem Dreiklang nordisch-französisch-japanisch beschrieben werden kann.
Noch ein paar Worte zum neuen Ort: Als privates Pop-up führte der Weg einst zwischen Shishabars hindurch ins private Wohnzimmer der beiden. Die Gäste, maximal sechs an der Zahl, saßen an einer langen Tafel zusammen. Und der Chef Karl-Louis brachte mit einem zweiten Koch aus der nicht-professionell ausgestatteten Küche einen Knaller nach dem anderen heraus. Man staunte, wie das überhaupt möglich war.
Diese Magie, die sich aus der Spannung zwischen privater Atmosphäre und höchster handwerklicher Professionalität ergab, ist zwar verloren; die neue Location, die in einem modernen Beton-Glas-Bau nahe des Kotti liegt, ist seit jeher als Restaurant konzipiert –wenig Mobiliar, wenig Farben, kaum Ablenkung. Trotzdem fühlt es sich hier nicht kalt an, eher herrscht eine intensive, intime Spannung. Gerade einmal 14 Gäste finden Platz.
Pilztee mit geriebener Kabosu-Schale – Bitte keine Angst vor neuen, spannenden Ideen.
Der Pass zum Anrichten wurde ein Stück weit quer in den Raum zwischen die Tische gerückt – und um die Küche herum läuft ein niedriger Tresen mit weiteren Sitzplätzen. Das Team um Karl-Louis arbeitet mitten unter den Gästen, konzentriert und mit präzisen Handgriffen.
Alle Gäste sollen sich zwischen 19.30 und 19.45 Uhr einfinden, damit sie mit dem Menü zeitgleich starten können. Individuell vorweg, sobald sie äußerlich sowie innerlich angekommen sind, serviert Mical, die Gastgeberin, drei Amuse: Es kommt ein kleines Schälchen intensivste Hühner-Consommé mit Steinpilzöl und Zitrusnoten an den Tisch, außerdem ein krosses Hühnerleber-Tartelette, mit Birnen- und fermentierten Pflaumennoten durchzogen, sowie ein kleiner Hotdog-Bun, der innen mit den allerfeinsten Aromen von Taschenkrebs, Apfel, Mayo sowie einer Yuzu-Chili-Soße aufwartet.
Es fällt mir schwer, zu beschreiben, welche Gefühle das auslöst. Auf jeden Fall Ehrfurcht vor dem Koch, der nicht nur durch Praktika in namhaften Läden wie dem Ikoy in London und dem Votum in Hannover gelernt, sondern sich viele Zubereitungs-, Gar- und Fermentiertechniken selbst beigebracht hat, um stets das Maximale aus den Produkten herauszuholen.
Wenn ich ehrlich bin, hatte ich eigentlich gar keine große Lust gehabt auf ein mehrgängiges Menü. Nach dem Amuse aber konnte ich kaum erwarten, was noch kommt. Wie sich Geschmack auf ein paar Zentimetern verdichten kann, beweist auch die folgende Jakobsmuschel: Erst dachte ich, sie sei in eine Teigtasche gefüllt, bis ich begriff, dass Scheibchen der rohen Muschel sowie Seeigel zusammen mit Pomelo-Fruchtfleisch und einer leicht bittersüßen, scharfen Kürbis-Chilisoße in samtweichen Lardo gewickelt wurden – die Aromenschattierungen zer- und verschmelzen am Gaumen.
Jakobsmuschel in Sabayon mit Spargel und Spinat – ein Gedicht!
Das Tempo der Gänge ist perfekt bemessen. Was auf der Karte oft wie eine wilde Kombination klingt, entpuppt sich bei jedem Teller als genial. Eine Umamibombe ist auch die hauchdünn geschnittene Abalone, eine Gattung der Meeresschnecke, die in Bonito, Kombu und Sake pochiert, dann abgeflämmt auf einem Chawanmushi-Eierstich mit süßsaurer Ingwer-Vinaigrette, Yuzu-Zeste und frittiertem Algencrunch serviert wird.
Bei der winterlichen Ratatouille-Terrine kann ich kurz durchatmen, bevor ein in seiner Intensität kaum zu überbietender Pilzsud zum glasig gegarten Skrei mit Topinamburpüree und Zitronenthymian-Öl sowie einer Haube aus geschäumter Sauce Vin Jaune kommt.
Unbedingt erwähnen will ich noch die geniale Blätterteig-Brioche dazu: Sie ist mit geräucherter Salzbutter und Honig glasiert sowie mit besonderem Chili-Pfeffer aus dem französischen Baskenland gewürzt. Der weitere Hauptgang, eine Hühnerbrust mit einem Salzzitronen-Fleischjus sowie Schwertmuschel, ist köstlich, sprengt aber nicht sämtliche Kombinationsvorstellungen wie zuletzt das Mandarinen-Chili-Sorbet mit Oolong-Chantilly-Sahne und die Petits fours.
Mical, die Gastgeberin, erzählt irgendwann, sie habe lange Zeit Angst gehabt, sich festzulegen, ein eigenes Restaurant sei schließlich wie ein Baby. Das stimmt. Das Schöne ist aber: Beim eigenen Kind kann einem keiner wirklich reinreden.
Tasting Menü, acht Gänge, 111 Euro, Ergänzung mit Auster oder Kaviar zu 6 bis 25 Euro möglich
Loumi. Ritterstraße 2, 10969 Berlin. Do–Sa 19.30–23 Uhr. www.loumi-dining.com