Wehrpflicht, Leitkultur, Gleichstellung: Die CDU winkt ihr Grundsatzprogramm durch – nur bei einem Thema wird gestritten
Tag zwei des CDU-Treffens in Berlin beschäftigt sich mit der Neuausrichtung der Partei. Lust und Mut für Auseinandersetzung und Konflikt scheinen dabei aber zu fehlen.
Der JU-Vorsitzende Johannes Winkel diskutiert mit Philipp Amthor, CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann, Ministerpräsident Daniel Günther aus Schleswig-Holstein, Jens Spahn und Serap Güler diskutieren einen Änderungsantrag zur Wehrpflicht beim CDU-Bundesparteitag.
Der Sturm im Wasserglas hatte sich weitestgehend schon vor Beginn des CDU-Bundesparteitags gelegt. 2100 Änderungsanträge hatten die Parteimitglieder zum Entwurf des Grundsatzprogramms eingereicht, die meisten waren jedoch von der zuständigen Antragskommission in einer Wochenendsitzung abgeräumt worden.
Genau so hatte sich das die Parteiführung der CDU vorgestellt: wenig Diskussion, viel Harmonie, der klaren Linie von oben möge man doch bitte folgen. Das Programm solle schließlich ein „kraftvolles Zeichen und Signal nach außen“ sein, sagte Parteichef Friedrich Merz am Dienstagmorgen im Berliner Estrel-Hotel. „Es gibt Orientierung, es gibt Halt, es gibt den Menschen auch Zuversicht in unsicherer Zeit.“
Erst sah es so aus, als würde der Plan der CDU-Spitze rund um Generalsekretär Carsten Linnemann aufgehen. Über die Formulierung, ob und unter welcher Bedingung Muslime zu Deutschland gehören, war zwar im Vorfeld in der Partei heftig gestritten worden.
Die Antragskommission hatte daraufhin die Passage im Programm geändert, sie lautet nun: „Ein Islam, der unsere Werte nicht teilt und unsere freiheitliche Gesellschaft ablehnt, gehört nicht zu Deutschland.“ Bei Islamvertretern stieß die Formulierung weiterhin auf Ablehnung.
Gleichstellung und Gleichberechtigung stehen für unterschiedliche Gesellschaftsmodelle.
Ex-Familienministerin Kristina Schröder (CDU)
Viele in der CDU munkelten, über diese Formulierung werde am Parteitag erneut gerungen. Dann ging es aber ganz schnell. Ohne Wortmeldungen ging der Satz durch, ebenso wie die Passage zur Leitkultur. Die Delegierten hatten scheinbar ihre Kampfeslust verloren. So mancher fantasierte gar, man könnte doch das ganze Grundsatzprogramm en bloc zur Abstimmung geben, so käme man schneller zur Feier am Abend.
Diskussionen gab es dann an anderer Stelle. Den Auftakt machte ein Antrag um die hessische CDU-Politikerin Lisa Schäfer. Mit Unterstützerinnen hatte sie sich vorgenommen, aus der Gleichstellung der Geschlechter die Gleichberechtigung zu machen. Wortklauberei, so scheint es, aber über diese Begriffe war schon beim Parteitag im Mai 2022 stundenlang gerungen worden.
Wortführerin für die Gleichberechtigung war Ex-Familienministerin Kristina Schröder (CDU). „Gleichstellung und Gleichberechtigung stehen für unterschiedliche Gesellschaftsmodelle“, sagte Schröder schon vor zwei Jahren. Wo genau der Unterschied dieser häufig als Synonyme verwendeten Begriffe liegt, konnten die Rednerinnen dennoch auf bei diesem Parteitag nicht herausstellen. Der Antrag fand keine Mehrheit.
Mehr Zustimmung zumindest in der Sache erhielt dafür ein Nachwuchsmitglied der CDU aus Baden-Württemberg. Oliver Häusler hatte für Furore gesorgt, weil er Abschiebungen ins Grundsatzprogramm aufnehmen wollte. Straftäter will das junge CDU-Mitglied konsequent abschieben, „besonders wenn sich Straftaten gegen elementare Werte wie beispielsweise Religionsfreiheit, körperliche Unversehrtheit oder die freiheitlich-demokratische Grundordnung richten“, begründete Häusler seinen Antrag.
Auch für die Abschiebung und Asylrechtsverfahren in Drittstaaten sprach sich der Jungpolitiker aus und erntete Verständnis unter anderem vom Parlamentarischen Geschäftsführer der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Thorsten Frei. Abgelehnt wurde der Antrag dennoch, hätte er doch eine Verschärfung der Migrationspolitik bedeutet, die mit EU-Recht nicht vereinbar gewesen wäre.
Wir werden die Aussetzung der Wehrpflicht schrittweise zurücknehmen und die Wehrpflicht in ein verpflichtendes Gesellschaftsjahr überführen.
Passus im neuen CDU-Grundsatzprogramm
Um die Beliebtheit bei Frauen zu steigern und sich ein etwas moderneres Gesicht zu geben, versuchte Annette Widmann-Mauz eine Abkehr vom Ehegattensplitting ins Grundsatzprogramm zu bekommen. Man wolle für die bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf eintreten und mehr Anreize für Frauen schaffen, ihre Arbeitszeit wieder zu erhöhen und in Vollzeit zu arbeiten. Gegenwehr kam ausgerechnet von einer anderen CDU-Frau: Gitta Connemann, Vorsitzende der Mittelstandsvereinigung MIT, warb für die Ursprungsversion des CDU-Programms und überzeugte die Mehrheit.
Bei so wenig Änderungsbereitschaft verwunderte es nicht, dass auch die Junge Union (JU) mit ihrem Antrag zur Rentenreform auf Granit biss. Das Rentensystem müsse bereits heute mit milliardenschweren Zuschüssen am Leben erhalten werden, hatte der Vorsitzende der JU, Johannes Winkel, beklagt. Mit fast 128 Milliarden Euro an Bundeszuschüssen müsse die Rentenkasse gestützt werden. Die jungen CDU-Politiker wollten diese offene Flanke in ihrem Grundsatzprogramm schließen, ihr Antrag fand keine Mehrheit. „Die Antragskommission hat ein Vorschlagsrecht, kein Bestimmungsrecht über das Grundsatzprogramm“ protestierte ein junger CDU-Politiker.
Ähnlich lief es beim Thema Mindestlohn. Vertreter der Arbeitnehmervereinigung CDA hatten gewarnt, diesen Punkt nicht wie im Bundestagswahlkampf 2021 der SPD zu überlassen. Sie fanden kein Gehör.
Eine Kehrtwende macht die CDU dafür bei der in ihrer Regierungszeit beschlossenen Aussetzung der Wehrpflicht. Angesichts der neuen Bedrohungslage in Europa und der Personalnot der Bundeswehr soll diese schrittweise wieder aufgehoben werden, entschied der CDU-Bundesparteitag. In das neue Grundsatzprogramm wurde dieser Passus aufgenommen: „Wir werden die Aussetzung der Wehrpflicht schrittweise zurücknehmen und die Wehrpflicht in ein verpflichtendes Gesellschaftsjahr überführen. Bis zu dieser Umsetzung fordern wir zur Stärkung der personellen Einsatzbereitschaft der Bundeswehr die Einführung einer Kontingentwehrpflicht.“
Noch bis in den Abend tagten die 1001 Delegierten beim Bundesparteitag der CDU, unterbrochen von einer Rede des CSU-Vorsitzenden Markus Söder. Der dritte Tagungstag am Mittwoch wird unter dem Zeichen der Europawahl stehen.