Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg hat gefordert, die Rüstungskapazitäten in Europa angesichts einer „möglicherweise jahrzehntelangen Konfrontation“ mit Russland auszubauen. In der Ampel zeigt man sich dafür offen – verweist aber auch auf die Verantwortung der EU-Mitgliedstaaten.
Ampel plädiert für Aufrüstung – „Wir haben die Zeichen der Zeit erkannt und sind längst dran“
In der Ampel-Koalition mehren sich die Stimmen für eine verstärkte Waffenproduktion in Europa, an der sich auch die deutsche Rüstungsindustrie beteiligen soll. SPD, Grüne und FDP unterstützen eine entsprechende Forderung von Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg. „Wir müssen unsere industrielle Basis schneller wiederherstellen und ausbauen, damit wir die Lieferungen an die Ukraine erhöhen und unsere eigenen Bestände wieder auffüllen können“, sagte Stoltenberg im Gespräch mit WELT AM SONNTAG.
Das bedeute, „von langsamer Produktion in Zeiten des Friedens zu schneller Produktion, wie sie in Konflikten nötig ist, zu wechseln“. Der Generalsekretär betonte, dass die Nato keinen Krieg mit Russland suche. „Aber wir müssen uns wappnen für eine möglicherweise jahrzehntelange Konfrontation.“ Die Regierungen der Nato-Staaten sollten daher zügig Verträge mit der Rüstungsindustrie abschließen, so Stoltenberg.
Der außenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Nils Schmid, interpretierte Stoltenbergs Appell als Bestätigung des Regierungskurses. „Nato-Generalsekretär Stoltenberg hat recht mit seiner Einschätzung. Das ist genau die Zeitenwende, von der auch der Kanzler gesprochen hat. Und es ist eben auch der Grund, warum es richtig war und ist, das Sondervermögen von 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr aufzulegen und dieses Jahr das Zwei-Prozent-Ziel zu erreichen“, teilte Schmid auf WELT-Anfrage mit.
Deutschland habe damit auf den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine und die damit einhergehenden geopolitischen Verschiebungen reagiert, so Schmid. „Und wir wissen, dass da noch mehr folgen muss. Deswegen hat der Kanzler bei den EU-Mitgliedstaaten und den USA auf mehr finanzielle und militärische Unterstützung gedrängt. Wir haben die Zeichen der Zeit erkannt und sind längst dran“, so Schmid. Die Bundesregierung will in diesem Jahr erstmals zwei Prozent der Wirtschaftsleistung für Verteidigung ausgeben – ein Ziel, das in der Vergangenheit verfehlt wurde, obwohl sich die Nato-Mitgliedstaaten dazu verpflichtet haben.
„Fingerzeig Richtung EU-Kommission, endlich loszulegen“
Die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses, Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP), lobte, Nato-Generalsekretär Stoltenberg habe „das auf den Punkt gebracht, was uns seit zwei Jahren beschäftigt und leider viele noch nicht wahrhaben wollen: Wir müssen deutlich mehr in unsere Sicherheit und damit auch in Rüstungsproduktion investieren und uns der Realität stellen.“
Dies betreffe nicht Deutschland allein, sondern alle europäischen Staaten. „Es wäre auch die Chance, die gemeinsame Beschaffung endlich aufzubauen, damit die einzelnen Länder nicht überproportional belastet werden. Die Industrie ist aufgerufen, europaweit in die Herstellung zu gehen. Das ist jetzt von elementarer Bedeutung und ein Fingerzeig Richtung EU-Kommission, endlich loszulegen“, so Strack-Zimmermann gegenüber WELT.
Zustimmung kam auch aus der Grünen-Fraktion. „Es ist dringend nötig, in Europa auf die Tube zu drücken. Egal, wie die Wahlen in den USA ausgehen“, sagte die verteidigungspolitische Sprecherin der Grünen, Sara Nanni, dem „Tagesspiegel“: „Wir müssen für unsere Sicherheit sorgen können. Das fängt bei der industriellen Basis an. Stoltenberg hat recht.“
Die CDU/CSU-Fraktion reagierte nicht auf eine WELT-Anfrage. Unionsfraktionschef Friedrich Merz (CDU) hatte Ende Januar in der Generaldebatte zum Kanzler-Etat im Bundestag betont, Deutschland und Frankreich müssten „enger zusammenarbeiten und auf dem Weg hin zu einer gemeinsamen europäischen Verteidigungspolitik so früh wie möglich andere Mitgliedstaaten der Europäischen Union mit einbeziehen“. Die gemeinsame Verteidigungspolitik müsse „die Rüstungspolitik, die Beschaffung und die militärische Unterstützung der Ukraine beinhalten“.
In der AfD-Fraktion hält man den Ausbau der heimischen Rüstungsindustrie und eine Erhöhung der Produktionskapazitäten für „dringend erforderlich, allerdings nicht, um noch mehr Material an die Ukraine zu senden, sondern um die Bundeswehr auch aus eigener Kraft wieder verteidigungsfähig machen zu können“, betonte ihr wirtschaftspolitischer Sprecher, Leif-Erik Holm.
Er kritisierte, „langwierige und unnötige Ausfuhrkontrollen der Bundesregierung“ würden die deutsche Rüstungsindustrie im internationalen Wettbewerb benachteiligen, und forderte, Genehmigungsverfahren „zu straffen und zu beschleunigen“.
Stoltenbergs Appell und die Zustimmung aus Deutschland gelten als wichtige Signale für das Treffen der Nato-Verteidigungsminister am kommenden Mittwoch und Donnerstag in Brüssel. Von Freitag bis Sonntag findet die Münchner Sicherheitskonferenz statt.
In der westlichen Militärallianz wächst die Unsicherheit vor den US-Präsidentschaftswahlen im November. Der frühere republikanische Präsident Donald Trump, der sich um eine erneute Kandidatur bemüht, hat jüngst deutlich gemacht, dass die USA ein Nato-Partnerland vor einem möglichen Angriff Russlands nicht schützen würden, wenn dieses seinen Beitrag nicht zahle.
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