„Das Milieu scheint sehr viel breiter als bei den Klimademos“

Düsseldorf. Hunderttausende protestieren in diesen Tagen gegen Rechtsextremismus. Welche Leute es zurzeit besonders stark auf die Straße zieht, ist nicht ganz klar. Offenbar sind aber auch viele Menschen aus einer Altersklasse dabei, in der es die AfD besonders schwer hat.

„das milieu scheint sehr viel breiter als bei den klimademos“

Protestforscher Winkelmann: „Das Milieu scheint sehr viel breiter zu sein als bei den Klimademonstrationen“

Die Protestwelle gegen Rechtsextremismus und die AfD hält in Deutschland weiter an. Laut Polizei sollen sich am Wochenende bundesweit mehr als 900.000 Menschen an Demonstrationen beteiligt haben. Auch für die kommenden Tage sind zahlreiche Veranstaltungen geplant, die erneut viele Menschen anziehen dürften. Doch wer sind die Leute, die für die Demokratie auf die Straße gehen?

Wahlanalysen zeigen, dass die AfD bei älteren Menschen weniger gut ankommt – und in dieser Gruppe stark unterdurchschnittlich abschneidet. Welche Menschen gerade aber demonstrieren gehen, lasse sich noch nicht fundiert beantworten, sagt der Protest- und Wahlforscher Thorsten Winkelmann von der Uni Erlangen-Nürnberg. Er könne bisher nur aus Beobachtung schließen. „Ich würde anhand der Bilder sagen, dass es kein reiner Jugendprotest ist. Das Milieu scheint sehr viel breiter zu sein als bei den Klimademonstrationen“, sagt Winkelmann. Er vermutet einen Querschnitt der Gesellschaft – und widerspricht damit indirekt dem parlamentarischen Geschäftsführer der AfD-Bundestagsfraktion, Bernd Baumann. Er hatte am Montag im ZDF behauptet, dass bei den Protesten gegen Rechts die breite Mitte gefehlt habe.

Der Wahlforscher verweist vor allem auf ältere Personen. Winkelmann spricht von der Generation, die in den 1980er-Jahren mit Protesten gegen Atomkraft sozialisiert wurde. „Ich würde vermuten, dass dieses Milieu gegenwärtig eine verhältnismäßig große Bedeutung bei der Organisation der Proteste hat“, sagt der Forscher.

Dass es die AfD in älteren Kohorten verhältnismäßig schwer hat, bestätigt der Wahlforscher Stefan Merz vom Meinungsforschungsinstitut Infratest dimap. „In diesen Altersgruppen ist die Bindekraft der anderen Parteien, insbesondere von CDU/CSU und der SPD, noch wesentlich stärker ausgeprägt. Der Anteil an Wählern mit festen Parteibindungen ist in dieser Gruppe am höchsten“, sagt er. Auch Protestparteien hätten es in den älteren Wählergruppen generell eher schwerer als bei den Jüngeren.

Konkret zu beobachten war das bei den Landtagswahlen im vergangenen Jahr in Bayern und Hessen. Hier hat die AfD zwar in allen Bevölkerungsgruppen zugelegt, prozentual sind die Gewinne bei den Menschen über 70 Jahren aber weit unterdurchschnittlich gewesen. Bei den 45- bis 59-Jährigen und den 60- bis 69-Jährigen fielen die Zugewinne nur durchschnittlich oder gar leicht unterdurchschnittlich aus. Stark überdurchschnittlich war das Plus dagegen bei den unter 45-Jährigen, bestätigt Merz.

Woran das liegt? Politikwissenschaftler Winkelmann betont, dass es neben aktuellen Einflüssen auf die Sozialisation ankomme. „Wahlverhalten ist immer auch ein Stück Gewohnheit – nach dem Motto: Was die Eltern gewählt haben, wähle ich auch“, sagt er. Ältere Wähler seien in einer Zeit sozialisiert worden, in der es noch keine AfD oder vergleichbare Gruppierungen gab. Generell sei das Milieu der AfD-Wähler aber schwierig zu fassen. „Wir versuchen seit Jahr und Tag, den Erfolg der AfD zu erklären, aber die meisten Ansätze sind doch wenig tauglich“, sagt der Forscher. Bei den 35- bis 59-jährigen Männern habe die AfD in den vergangenen Jahren am stärksten zugelegt, hier ist sie laut Winkelmann überdurchschnittlich stark.

„Die AfD – das sind nicht nur alte, weiße Männer, Abgehängte oder Nazis“, betont der Wissenschaftler. Vielmehr handle es sich um eine heterogene Gruppe, die am Ende ein Kriterium eine: die Unzufriedenheit mit der aktuellen Bundesregierung und der Opposition. Das Entscheidende dabei sei, dass diese Unzufriedenheit bei einem erfolgreichen Unternehmer genauso vorliegen könne wie bei einem Arbeitslosen.

Noch einmal zurück zur Protestbewegung gegen die AfD. Wie nachhaltig die Aktionen sein werden, ist laut Experten bislang nicht abzusehen. Die breite Unterstützung könnte aber dafür sprechen, dass sich gerade etwas Längerfristiges herausbildet – getragen von einem Querschnitt der Gesellschaft.

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