Fotoprojekt in Südostasien über gefälschte Kleidung: Die Armen tragen Gucci

In Asien hat sich aus gefälschter Luxusmode ein eigenwilliger Streetstyle entwickelt: Klamotten in bunten Farben, über und über mit Markenlogos bedruckt. Eine Ethnologin erklärt die Bedeutung dieses Stils.

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Fotoprojekt in Südostasien über gefälschte Kleidung: Die Armen tragen Gucci

In Kambodscha kann man Taxifahrerinnen treffen, die Hosen und langärmlige Shirts in Satinoptik tragen, darauf gedruckt sind lauter große Gucci-Logos, diese ikonischen gespiegelten und ineinander verkeilten »G«s in Großbuchstaben. Wer genauer hinsieht, erkennt, dass auf dem Shirt unter den Logos in Klein steht: »Guilty Gucci« – »Gucci ist schuld«. Ein gefälschtes Kleidungsstück – inklusive einer, wenn man so will, kapitalismuskritischen Botschaft.

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Es gibt Fischverkäuferinnen auf den Märkten in Vietnam, auf deren Geldbeutel steht mehrfach »Louis Vuitton«. Auf Reisfeldern in Thailand arbeiten Erntehelfer mit »Prada«-Schriftzug auf der Schildmütze und im laotischen Vientiane gehen Mütter spazieren, die ihren Babys ein gefälschtes Hermès-Kleidchen über die Windel gestreift haben.

Solche Nachahmungen von Luxusmarken wie Prada, Louis Vuitton, Hermès, Chanel, Versace oder eben Gucci tragen in südostasiatischen Ländern viele Menschen, vor allem aber jene mit geringerem Einkommen. Man findet sie in den Shoppingmalls und auf Nachtmärkten. Eine Studie der Beratungsfirma Access Asia Consulting fand vor ein paar Jahren heraus, dass beinahe die Hälfte der Luxusmarkenkleidung, die es etwa in der kambodschanischen Hauptstadt Phnom Penh zu kaufen gibt, gefälscht ist. Zu den Kunden zählen auch viele europäische und amerikanische Touristen.

DER SPIEGEL: Frau Panlee, Sie forschen an der Kasetsart-Universität außerhalb Bangkoks zu Mode und ihrer gesellschaftlichen Rolle. Was offenbart Mode über die Menschen, die sie tragen?

Panlee: Eine ganze Menge. Menschen wählen Mode, um zu zeigen, wer sie sind oder sein wollen. Früher haben die Mitglieder einer Gruppe anhand unterschiedlicher Farben im Gesicht ihre Rolle im Stamm unterstrichen. Im Zweiten Weltkrieg waren es die Uniformen, die etwas über Zugehörigkeit und Hierarchie aussagten. Irgendwann wurden die Blue Jeans oder die langen Haare der Hippies zum Erkennungsmerkmal für eine bestimmte Gruppe innerhalb der Gesellschaft. Heute sehen wir viele Menschen, nicht nur Frauen, die sich schminken. Sie unterstreichen dadurch beispielsweise ihr fluides Geschlecht. Mode und Geschmack können verraten, wie gut du ausgebildet bist, welcher sozialen Klasse du angehörst, wie groß dein kulturelles Kapital ist. Andere Trägerinnen und Träger versuchen, mit Kleidung genau diese Dinge zu verhüllen.

SPIEGEL: Wie meinen Sie das?

Panlee: Mode ist ein Distinktionsmerkmal. Man will zeigen, wo in der Gesellschaft man steht. Das Markenlogo zeigt: Ich kann mir ein teures Shirt leisten. Absurderweise ist es so, dass es bei den Superreichen weniger schick ist, viel »Marke« zu zeigen. Ab einer bestimmten Einkommensklasse gilt Understatement. Ich beobachte das auch unter meinen Studierenden, 18- bis 22-Jährige aus dem Mittelstand in Thailand. Sie wollen Kleidung, die eher unauffällig ist. Sie tragen Marken, haben es aber nicht nötig, wenn man so will, es sich groß auf die Brust zu schreiben. Wer genau hinsieht, erkennt vielleicht, dass ihre Tasche eine Vintage-Gucci-Bag ist.

SPIEGEL: Wie ist das bei Menschen mit geringem Einkommen?

Panlee: Je weniger Einkommen die Leute haben, desto mehr wollen sie zeigen, dass sie sich auch mal etwas Teures leisten können. Eventuell wählt man dann neben dem Logo auch noch etwas in bunten Farben, mit viel Bling-Bling und Glitzer. Man möchte, dass alle das Kleidungsstück sehen.

SPIEGEL: Wie ist das bei Leuten, die wirtschaftlich aufsteigen?

Panlee: Man will den ökonomischen Status zeigen. In der Pandemie sind in Thailand durch erfolgreiche TikTok-Videos und Onlineshoppinggeschäfte Menschen reich und bekannt geworden, die vorher eher wenig Einkommen hatten, die vielleicht auch nicht sehr gebildet sind. Sie haben eher keinen Universitätsabschluss, keine anderen Zertifikate, von denen sie denken, dass diese etwas Besonderes sind – und wählen dann teuer aussehende und auffallende Mode, um sich hervorzutun. Sie stellen ihren neuen Reichtum besonders zur Schau, um sich als ein Teil der guten Gesellschaft zu fühlen.

SPIEGEL: Gefälschte Markenklamotten tragen in Südostasien gerade auch sehr arme Menschen. Warum?

Panlee: Eins vorweg: Es gibt viele Menschen in Laos oder Thailand, denen gar nicht bewusst ist, dass sie da gefälschte Waren kaufen. Ihnen wird erzählt, das sei B-Ware oder dass das Shirt die Qualitätskontrolle nicht bestanden habe. Menschen, die arm sind und auf dem Land leben, wissen oft gar nicht, dass der Schriftzug, der ihre Kleidung schmückt, woanders ein Zeichen von Luxus ist. Sie kennen kein Gucci. Zu Ihrer Frage: Man kann das aus verschiedenen Blickwinkeln betrachten. Auch hier spielen Teilhabe an der Gesellschaft und Geltungsdrang eine Rolle. Mit gefälschter Mode erfüllen sich Menschen den Traum, zumindest dem Anschein nach nicht am Rand der Gesellschaft zu stehen. Ein Stück von einer bekannten Luxusmarke kann ein Boost fürs Selbstbewusstsein sein. Ein Prada-Logo hilft, sich schön und gut zu fühlen. Aber mich langweilt diese Perspektive. Ich finde, sie hat etwas Kolonialistisches.

SPIEGEL: Was finden Sie interessanter?

Panlee: Sehr viele Menschen kaufen die Kleidung einfach, weil sie unglaublich billig ist. Produktionen aus China und Kambodscha fluten die Märkte hier. Gerade Kambodscha ist bekannt für die vielen Nähfabriken, in denen neben Markenklamotten auch Billigkleidung produziert wird. Das Zeug landet dann auf den Märkten und in den Nachbarländern, wo vor allem die einkaufen, die wenig Einkommen haben.

SPIEGEL: Manchmal handelt es sich bei den Fälschungen um genaue Kopien der originalen Kollektionen. Viel öfter aber haben die Klamotten ganz eigene Designs, in denen außer der auffallenden Logos nicht sehr viel vom Original steckt. Die auffälligen Logos werden kombiniert mit traditionellen asiatischen Stoffen, Hüten oder Mustern.

Panlee: Die wilden Kreationen sind möglich, weil die Copyright-Gesetze lascher verfolgt werden als in anderen Weltregionen. Auch hier nehmen Klagen und Razzien zu, aber insgesamt können sich gefälschte Artikel leichter verbreiten, gibt es in den Designs größere Spielräume. Es hat sich ein eigener Streetstyle entwickelt. Mir fällt ein Modell ein, das ich oft gesehen habe: eine Art Kunstseidenpyjama, bunt bedruckt mit Gucci-Logos und Mickymäusen. Da wurden gleich zwei weltweit berühmte und für Erfolg stehende Symbole kombiniert. Wer auch immer den Anzug kauft, kann sich mit zwei Abzeichen gleichzeitig schmücken.

SPIEGEL: Gibt es in Asien eine kritische Diskussion um die Fälschungen?

Panlee: Seit den vergangenen Jahren wird gerade jungen Menschen in Thailand bewusst, dass es ein Recht an kreativer Schöpfung gibt. Durch TikTok und andere soziale Medien ist ein Diskurs entstanden darüber, was es heißt, Videos oder Bilder zu teilen, die jemand anderes geschaffen hat. Wer das Copyright nicht berücksichtigt, wird kritisiert. Das überträgt sich auch auf andere Bereiche wie etwa die Mode. Und übrigens: Oft bedienen sich große Modeketten wie Zara oder H&M ihrerseits an den Mustern und Designs traditioneller Kleidung ethnischer Gruppen. Weltweit, auch in Asien. Das hat in den vergangenen Jahren zu Recht Kritik ausgelöst.

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