Nach rückläufigen Verkaufszahlen während der Hochphasen der Inflation erleben Bio-Lebensmittel ein bemerkenswertes Comeback. Und dank Ausbau-Plänen der Regierung könnte der Trend noch anhalten. Doch dies hat auch eine Schattenseite.
Traktor auf einem Feld Getty Images/500px
Fußballfelder werden in Deutschland oft und gerne als Vergleichsgröße herangezogen. Dieser Tage erst wieder vom Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft (BÖLW). So heißt es im aktuellen Jahresbericht des Verbandes der Bio-Branche: „Bildlich gesprochen haben die Betriebe täglich eine Fläche von der Größe von 307 Fußballfeldern auf ökologische Bewirtschaftung umgestellt.“
Damit soll veranschaulicht werden, dass die Anbaufläche der heimischen Bio-Landwirte im Jahr 2023 um genau 80.459 Hektar auf nun knapp zwei Millionen Hektar gestiegen ist. Vor allem aber soll gezeigt werden, dass Bio nach der Krise 2022 weiterhin und wieder ein Wachstumsfeld ist.
Wobei der aktuelle Ist-Zustand noch weit entfernt ist von den Zielen, die sowohl die Branche selbst als auch die Politik haben. Auch das zeigt der Blick in die Statistik. Danach nämlich werden inklusive der 2023 in Summe dazugewonnenen 112.055 Fußballfelder rund 11,8 Prozent aller landwirtschaftlichen Nutzflächen in Deutschland ökologisch bewirtschaftet.
Geht es nach der „Bio-Strategie 2030“ von Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) sollen es zum Ende des laufenden Jahrzehnts aber mindestens 30 Prozent sein. Dafür indes muss sich sowohl die Umstellungsbereitschaft unter den Landwirten als auch die Umstellungsgeschwindigkeit für Äcker und Felder absehbar erhöhen, sagen Experten.
„Politik muss Unternehmen, die in den Umbau des Ernährungssystems investieren wollen, eine Perspektive geben“, fordert dementsprechend BÖLW-Vorstand Peter Röhrig zum Auftakt der weltgrößten Branchenmesse Biofach in Nürnberg. Dazu gehörten zum Beispiel der Abbau von Bürokratie, aber auch gezielte Förderungen.
Dass es stattdessen sogar Mittelkürzungen im Agrarbereich gibt, etwa beim Agrardiesel oder bei der Kfz-Steuer für Landmaschinen, stößt beim BÖLW auf Unverständnis. „Der Umbau von Landwirtschaft und Ernährung kann nicht funktionieren, wenn der Haushalt zu Lasten der Landwirtschaft saniert werden soll“, heißt es vom Verband, der sowohl Erzeuger als auch Verarbeiter und Händler von Bio-Lebensmitteln vertritt.
Noch dazu leiste die Verteuerung des Agrardiesels keinen Beitrag zum Klimaschutz. Denn für die meisten Anwendungen gebe es bislang keine alternative Technik. Und eine weitere Optimierung des Energieeinsatzes pro Hektar sei für die Biobauern kaum mehr möglich.
Wesentlich zufriedener als mit den Rahmenbedingungen für die Erzeuger ist der BÖLW mit der Entwicklung des Marktes auf der Absatzseite. Denn mit einem erzielten Rekordumsatz in Höhe von knapp 16,1 Milliarden Euro ist klar, dass der Absturz der Bio-Branche im Vorjahr nicht mehr als eine Wachstumsdelle gewesen sein dürfte.
„Die Branche kommt wieder aus der Krise“, bilanziert die BÖLW-Vorsitzende Tina Andres. Zwar beruht das fünfprozentige Erlös-Wachstum vor allem auf Preissteigerungen, wie die Agrarmarkt Informationsgesellschaft (AMI) meldet. Gleichwohl habe es keinen Rückgang bei den verkauften Mengen gegeben.
Naturkostfachhandel verliert an Bedeutung
Große Gewinner waren dabei Supermärkte und Discounter. Sie melden überdurchschnittliche Zuwächse bei den Umsätzen mit Bio-Lebensmitteln und kommen mittlerweile schon auf einen Marktanteil von 67,3 Prozent, allen voran durch gute Verkaufszahlen bei den günstigen Handelsmarken. Der Naturkostfachhandel dagegen verliert im Verhältnis dazu weiter an Bedeutung und erzielt mittlerweile nicht mal mehr 20 Prozent der Branchenumsätze.
Das größte Problem des Fachhandels war dabei die lange Zeit hohe Inflation. Zumindest weisen die Teuerungsrate in Deutschland und die Umsätze der Läden mit reinem Bio-Sortiment eine starke Korrelation auf. Im ersten Quartal 2023 zum Beispiel haben sich Lebensmittel hierzulande im Schnitt um 8,3 Prozent verteuert – zeitgleich sind die Umsätze im Naturkosthandel um acht Prozent gesunken.
Danach ist Quartal für Quartal die Inflation gesunken und parallel das Einkaufsvolumen im Fachhandel gestiegen. Im Oktober 2023 etwa lag die Lebensmittel-Teuerung nur noch bei 3,6 Prozent – und das Umsatzplus der Bioläden bei 4,9 Prozent.
„Ab Mitte des Jahres hat die Trendwende eingesetzt“, heißt es dazu vom Bundesverband Naturkost Naturwaren (BNN). Klaus Braun von der gleichnamigen Unternehmensberatung sieht schon Parallelen zur großen Bio-Boomzeit während der Corona-Krise: „Eine solche Steigerung in jedem Monat eines Quartals gab es im Bio-Fachhandel zuletzt Ende 2020.“
Dennoch könnte es der Fachhandel absehbar schwer haben. David Georgi jedenfalls, der Konsumgüter-Experte von Marktforscher NIQ, sieht „massive Risikofaktoren“. Denn innerhalb der Bio-Lebensmittel seien fast ausschließlich die Eigenmarken gewachsen.
Er rechnet daher mit einer Ausweitung der entsprechenden Sortimente bei Supermärkten und Discountern, was zu weiteren Marktanteilsgewinnen führen könnte. Gleichzeitig werde auch die Preislücke zwischen Discount und Fachhandel größer. Und auch das spiele dem klassischen Lebensmittelhandel und seinen Ambitionen im Bio-Bereich in die Karten.
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