Berlin: Streik von BVG und Klimaaktivisten von Fridays for Future „Pionierarbeit“

berlin: streik von bvg und klimaaktivisten von fridays for future „pionierarbeit“

Klimaaktivistin Luisa Neubauer beim Warnstreik der Gewerkschaft Verdi im Berliner öffentlichen Personennahverkehr im Februar 2024.

Am kommenden Freitag streiken Mitarbeiter des Berliner ÖPNV und Fridays for Future gemeinsam unter dem Motto „Wir fahren zusammen“. Die Verdi-Warnstreiks finden bundesweit statt, in Berlin am Freitag um 10 Uhr im Invalidenpark. Die BVG hat die für Freitag angesetzte Tarifverhandlungsrunde deshalb abgesagt. Grund sei der Aufruf zum Streik am Verhandlungstag.

Im Interview erzählt der Personalratsvorsitzende und Busfahrer Mathias Kurreck, wie sich die Zusammenarbeit mit den Klimaaktivisten gestaltet und dass er sich kaum Erfolg vom Streik verspricht. Der 39-Jährige erwarte eine intensive Auseinandersetzung, da die Streikführer von zwei Kernforderungen keinesfalls abweichen werden.

Wie kam es zu der Zusammenarbeit mit Fridays for Future und warum?

Die hat eigentlich schon eine lange Geschichte. Wir sind zur Tarifkampagne 2020 schon einmal mit Fridays for Future in Kontakt gekommen. Damals hatten wir einige Aktionen, bei denen wir uns ein bisschen angenähert haben. Dann kam die Pandemie und alles ist im Sande verlaufen. Wegen der Abstandsregeln konnten wir die Netzwerke nicht mehr bilden. Seit 2022 haben wir das wieder aufleben lassen, damals war ich beim Weltklimastreik. Seitdem versuchen wir, den Kontakt zu intensivieren und leisten Pionierarbeit in den Betrieben. Transformation, gute Arbeitsbedingungen und Klimaschutz lassen sich einfach gut vereinbaren. Da wachsen Dinge zusammen, die auch zusammengehören. Es geht gar nicht anders.

Was genau meinen Sie mit Pionierarbeit?Am Anfang haben die Kollegen die Zusammenarbeit mit Fridays for Future argwöhnisch begutachtet. Sie distanzierten sich von dem Bündnis. Es war also Pionierarbeit, die Aktivisten und ihre Ziele in die Betriebe zu bringen. Mit einer Klimaorganisation, mit Aktivist:innen, zusammenzuarbeiten – damit haben wir neue Ufer betreten. „Wir fahren zusammen“ ist ja nicht nur klimapolitisch aktiv, sondern auch entschieden gegen rechts. Diese Facetten hat Fridays for Future eingebracht, was für uns natürlich neu war. Das waren ganz schön viele Themen. Das hat viele Kollegen am Anfang überfordert und sie mussten damit erst mal umgehen. Ich glaube aber, jetzt fühlen sie sich in der Gemeinschaft ganz wohl und unterstützen das. Wir haben nur noch wenige Kollegen, die da differenziert unterwegs sind, aber das ist auch okay. Das ist in einer Demokratie so, sie dürfen eine andere Meinung haben.

Wie wurden diese Konflikte beigelegt?

Fridays for Future hat sich in den Betrieb mit eingebracht. Anfangs glaubten viele Kollegen, das sei so ein Aktionismus, dass sie einmal auftauchen und dann auch wieder verschwinden. Sie hätten kein gesteigertes Interesse an ihren Arbeitsbedingungen. Dann sind sie aber tatsächlich morgens mit in die Betriebe gekommen, wenn die Fahrer losfahren, gegen 2.30 Uhr oder 3 Uhr morgens. Sie haben Gespräche mit den Fahrern geführt und sind auf sie eingegangen und sie im Straßenverkehr begleitet. So hat man sich aneinander gewöhnt. Viele Fahrer haben die Ernsthaftigkeit dahinter wahrgenommen und fanden es gut, dass Fridays for Future sich für sie einsetzt.

Der Streik betrifft also mehr als nur die Arbeitsbedingungen. Kann und sollte Streik auch politisch sein?

Auf jeden Fall. Ein Streik hat immer eine politische Note. Die BVG hat sich ja auch auf der großen Demonstration gegen rechts solidarisiert und damit ein politisches Statement abgegeben. Der Senat stellt außerdem das Geld zur Verfügung, also richtet sich unsere Forderung an ihn und das allein ist schon politisch. Wenn wir bestimmte Anliegen haben, zum Beispiel zum Thema Transformation, dann geht das immer in eine politische Richtung. Es lässt sich nicht vermeiden, dass der Streik eine politische Note hat und das ist auch gut so.

Was genau sind die Forderungen?

Es sind drei Säulen: Indem wir viele Leute davon überzeugen, bei uns einzusteigen, entlasten wir den Verkehr, senken den CO₂-Ausstoß und sparen Ressourcen. Auf der anderen Seite können wir die Kollegen durch bessere Arbeitsbedingungen halten, der Job wird attraktiver und wir können so ein besseres und zuverlässigeres Angebot bieten und pünktlich losfahren. Davon profitiert dann der Fahrgast.

Neben zehn Minuten Mindestwendezeit fordern wir 33 Tage Urlaub. Bei Nachtstunden fordern wir ein Stufenmodell, pro 100 Stunden bekommt man einen Tag frei, bis zu sechs Tage. Wir haben noch die elf Stunden Mindestruhezeit zwischen zwei Schichten. Auch das ist für viele Fahrer unattraktiv und wir fordern zwölf Stunden. Das ist das, was die Kollegen am Ende belastet. Dann ist noch schmückendes Beiwerk dabei, wie Urlaubsgeld.

Ist das Klima für Sie persönlich ein weiteres Argument, um Ihre Ziele zu stützen oder steht es im Fokus?

Ich arbeite wirklich intensiv mit Fridays for Future zusammen und habe eine neue Perspektive auf das bekommen, was sie möchten, was wichtig wäre und wie man selbst einen Beitrag für eine bessere Welt leistet. Wir haben nur eine Welt und ich habe eine fünfjährige Tochter. Ich will ihr nicht nur verbrannte Erde hinterlassen. Bei mir hat ein Umdenken stattgefunden, es lohnt sich, bewusster zu leben: Ich denke zum Beispiel darüber nach, ob ich jeden Tag Fleisch essen oder mit dem Auto zur Arbeit fahren muss. Ich glaube nicht, dass das alle Kollegen machen. Wir werden uns nicht gegenseitig bekehren, aber ein bisschen mehr Sensibilität für den Klimaschutz, ist gar nicht so verkehrt. Wir missbrauchen das Thema Klimaschutz nicht für unsere Zwecke, denn wir gehen in die gleiche Richtung.

Sie haben von einem Umdenken gesprochen. Geschah das durch die Zusammenarbeit oder hat sich Ihre Einstellung schon vorher mit der von Fridays for Future überschnitten?

Ich kann nur für mich sprechen. Ich habe gesehen, welche Dynamik diese Menschen entwickeln, wofür sie brennen und wie sie mit gewissen Themen umgehen. Sie haben mir gezeigt, wie man aktivistisch unterwegs sein kann, wie man politische Themen platzieren kann, wie man sich organisieren und mobilisieren kann. Ich habe sehr viele Menschen von FFF kennengelernt, bei denen ich dachte, das hätte vor 20 Jahren nie zusammengepasst. Jetzt machen wir gemeinsame Sache und haben einen Schulterschluss. Ich schwärme tatsächlich für diese jungen Menschen, weil sie für gute Zwecke brennen, ohne einen materiellen Vorteil dahinter zu sehen. Das ist selten geworden in der Gesellschaft.

Erwarten Sie, dass der Streik erfolgreich wird?

Das wird wahrscheinlich schwierig. Der Senat ist leider eine absolute Innovationsbremse. Die bekommen es weder hin, die Elektromobilität zu fördern, Genehmigungsverfahren für neue Betriebshöfe, Haltestellen umzubauen noch sonst irgendwas. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie die Rahmenbedingungen dafür schaffen können, dass unsere Tarifforderungen durchgesetzt werden. Der Erfolg steht und fällt mit dem Senat und dem politischen Willen. Es wird eine ziemlich harte Auseinandersetzung. Die beiden Kernforderungen, die Mindestwendezeit von zehn Minuten und die Ruhezeit von mindestens zwölf Stunden – da werden wir nicht von abrücken.

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