Wahlkampf brutal: Vor allem die Grünen sind Ziel vieler Angriffe
Sie werden bedroht, beleidigt und attackiert. Im Wahlkampf erfahren die Grünen viel Hass, zuletzt traf es Bundestagsvizepräsidentin Göring-Eckardt. Wie reagiert die Partei?
Nicht nur in Biberach versuchten Demonstranten Veranstaltungen der Grünen zu verhindern.
Katrin Göring-Eckardt hat in ihrer langen politischen Karriere einiges erlebt. „Ich bin schon angemacht, angeschrien, angefeindet worden“, sagte sie dem Tagesspiegel vor einigen Monaten. Anfeindungen beim Joggen, Proteste gegen ihre Fahrradtour durch Ostdeutschland, Hundekot an ihrem Briefkasten – die Bundestagsvizepräsidentin ist einiges gewohnt. Doch, was sie am Wochenende nach einer Partei-Veranstaltung in Lunow-Stolzenhagen (Brandenburg) erlebt hat, will die Grünen-Politikerin nicht mehr hinnehmen.
Aggressive Demonstranten hatten Göring-Eckardts Dienstwagen belagert, auf das Auto eingeschlagen und es an der Abfahrt gehindert. „Alkoholisierte Pöbler standen vor unserem Fahrzeug, in dem ich saß, hielten uns auf, fuchtelten mit Bierflaschen herum“, schilderte sie den Fall später dem RND und kritisierte die Strategie der Polizei, die trotz angekündigter Gegendemo zu wenige Sicherheitskräfte zu der Veranstaltung in Lunow-Stolzenhagen geschickt habe. „Das kann unser Rechtsstaat nicht hinnehmen“, sagte die Grünen-Politikerin. „Deshalb muss bei der Polizei jetzt ein anderes Bewusstsein her.“ Man dürfe die ländlichen Räume nicht „einem Mob“ überlassen, so Göring-Eckardt.
Zwar hat die Brandenburger Polizei inzwischen mögliche Defizite bei dem Einsatz eingeräumt, doch für die Grünen stellen die aggressiven Attacken ein grundsätzliches Problem. Im Jahr der Europa-, Kommunal- und Ostwahlen werden sie zunehmend zur Zielscheibe. Veranstaltungen werden gestört, Wahlplakate zerstört, Büros beschmiert. Im Wochentakt werden Beleidigungen, Bedrohungen und Angriffe auf Parteimitglieder bekannt. Zahlen belegen, dass der Hass vor allem die Grünen trifft. Die Sorge vor einer weiteren Eskalation ist in der Partei groß.
Vier Vorfälle an einem Tag in Sachsen
„Hier werden Menschen gezielt bedrängt, eingeschüchtert und angegriffen, die sich für unsere Demokratie und unsere ganze Gesellschaft einsetzen“, sagte Grünen-Chefin Ricarda Lang bereits zum Wochenbeginn, nachdem in Sachsen an einem Tag vier Grünen-Mitglieder an verschiedenen Orten Opfer von Beleidigung und Gewalt wurden. „Wir werden uns nicht zurückziehen“, kündigte Lang trotz der Übergriffe an.
Die Partei ist alarmiert. „Die zunehmende Radikalisierung in der Gesellschaft ist im Wahlkampf spürbar. Das ist sehr besorgniserregend“, sagt etwa der Innenpolitiker Marcel Emmerich. Der Bundestagsabgeordnete aus Ulm hat beim Politischen Aschermittwoch seiner Partei in Biberach die Bedrohungen vor Ort hautnah miterlebt. Hunderte Bauern und andere aggressive Demonstranten hatten in dem oberschwäbischen Ort eine Veranstaltung mit Ministerpräsident Winfried Kretschmann und Landwirtschaftsminister Cem Özdemir verhindert.
Es müssen alle begreifen, dass nicht die Grünen, sondern unsere Demokratie angegriffen wird.
Marcel Emmerich, Innenpolitiker der Grünen, appelliert an die anderen Parteien.
Es sei gut, dass die Polizei in Baden-Württemberg Konsequenzen aus dem Vorfall gezogen habe und angekündigt hat, Parteiveranstaltungen stärker zu schützen. „Konsequenzen und Vorkehrungen zu treffen, ist jetzt die Aufgabe aller Landespolizeien“, sagt Emmerich, der auch die anderen Parteien in der Pflicht sieht. Mitunter würde es dort nach gewalttätigen Zwischenfällen Aussagen geben, dass die Grünen eine Mitschuld an der Verrohung hätten. „Es müssen alle begreifen, dass nicht die Grünen, sondern unsere Demokratie angegriffen wird“, sagt Emmerich.
Das sieht auch Marie Müser so. Als Landesvorsitzende der Grünen in Sachsen sei sie es gewohnt, dass ihrer Partei Gegenwind erfährt. Doch in den vergangenen Monaten sei ein anderes Niveau erreicht worden. „Was uns umtreibt, ist die zunehmende Schärfe, mit der uns begegnet wird.“
In Sachsen, wo im Herbst Landtagswahlen anstehen, haben sich die Grünen so gut es geht vorbereitet. Es gibt Schulungen für Wahlkämpfer, bei denen Methoden zur Deeskalation trainiert werden. Im Haustürwahlkampf und an Wahlständen sollen immer mindestens drei Mitglieder anwesend sein. Zudem stehe man bei jeder Veranstaltung mit der Polizei im Kontakt, habe einen Sicherheitsleitfaden erarbeitet und unterstütze Mitglieder dabei, Vorfälle zur Anzeige zu bringen.
Müser überrascht die Entwicklung angesichts der Stärke der AfD wenig. „Wir stehen für das, was Antidemokraten bekämpfen“, sagt sie. Zudem würden auch Teile der sächsischen CDU gegen die Grünen hetzen. An der Basis würde das aber nur wenige Mitglieder abschrecken, beobachtet die 26-Jährige. „Die Gesamtstimmung hat eine gewisse Kampfesstimmung geweckt.“