Joe Biden will die Transformation zur Elektromobilität offenbar aufschieben. Damit macht er vor allem der Autobranche ein Zugeständnis. Denn auf ihre Unterstützung dürfte der Präsident bei der nächsten Wahl angewiesen sein. Für Elektro-Liebhaber in Europa kommt der Schritt zur Unzeit.
US-Präsident Joe Biden bei der Wiedereröffnung einer Stellantis-Fabrik in Illinois Getty Images
Wie sehr Joe Biden die Unterstützung der Autoarbeiter in den USA braucht, hat er bereits mit einer historischen Geste im September gezeigt. Der 81-Jährige stellte sich persönlich an die Seite der Beschäftigten großer US-Fahrzeughersteller, die damals für satte 40 Prozent mehr Lohn streikten.
Nie zuvor hatte sich ein amtierender US-Präsident in eine Streikpostenkette eingereiht. Das Kalkül war offensichtlich: Biden benötigt die Stimmen der Arbeiter bei der anstehenden Präsidentschaftswahl im November. Jetzt macht der Präsident offenbar ein weiteres folgenschweres Zugeständnis: Er möchte die Transformation zur E-Mobilität aufschieben.
So sollen die US-Autobauer deutlich mehr Zeit bekommen, um striktere Abgasgrenzwerte einzuhalten. Der Schritt dürfte nicht nur die Autoarbeiter besänftigen, sondern auch die Konzerne zufriedenstellen. Schließlich hinkt die Nachfrage nach Elektroautos weit hinter den Zielen der US-Regierung her. Für die Elektro-Befürworter in Europa kommt Bidens Plan allerdings zur Unzeit.
Ginge es nach den Plänen der US-Umweltbehörde EPA, hätten Autobauer in den USA die Emissionen ihrer Neufahrzeuge zwischen den Jahren 2027 und 2032 um durchschnittlich 56 Prozent senken müssen.
Die Regeln sollten die Hersteller indirekt dazu zwingen, die Produktion von vollelektrischen Modellen drastisch auszuweiten. Jetzt sollen die Abgasgrenzwerte bis zum Jahr 2030 aber weit weniger sinken als ursprünglich vorgesehen. Erst danach müssten sie mit strafferen Regeln rechnen, so berichtet die „New York Times“ mit Verweis auf anonyme Quellen.
US-Präsident Joe Biden sorgt für gute Laune bei den Arbeitern einer Autofabrik in Illinois Getty Images
Um die ursprünglich geplanten Ziele zu erreichen, hätten die Konzerne in den USA bis zum Jahr 2030 schätzungsweise einen Vollelektro-Anteil an neuen Pkw von 60 Prozent und bis 2032 sogar einen Anteil von 67 Prozent vorweisen müssen.
Endgültig über neue Regeln entschieden, wurde laut „New York Times“ aber noch nicht. Laut US-Medienberichten würden die Regelungen frühestens im März festgelegt. Die bisherigen Vorgaben gelten noch bis zum Jahr 2026.
Den Beschäftigten würde Biden mit dem Schritt eine große Sorge nehmen. Die Autogewerkschaft United Auto Workers (UAW) mit ihren rund 150.000 Mitgliedern hat in den vergangenen Monaten immer wieder Bedenken geäußert, dass die Umstellung auf Elektromobilität zu einem heftigen Stellenabbau führen könnte.
Gewerkschaft fürchtet einen „Wettlauf nach unten“
„Man hat uns gesagt, dass die Zukunft der Elektrofahrzeuge ein Wettlauf nach unten sein muss“, sagte Gewerkschaftschef Shawn Fain jüngst mit Blick auf die vermeintlich weniger arbeitsintensive Elektromobilität. „Wir haben ihren Bluff durchschaut.“ Auch deshalb hat die Gewerkschaft im vergangenen Herbst nicht nur für höhere Gehälter, sondern auch für Jobgarantien gestreikt.
Die Sorgen bekam Biden unmittelbar zu spüren. Ihre Entscheidung, ob sie den amtierenden Präsidenten auch bei der anstehenden Wahl unterstützen wird, hatte die UAW zuletzt deutlich hinausgezögert.
Daneben dürfte Biden auch auf aktuelle Umfragewerte geschaut haben: 22 Prozent der Amerikaner bezeichnen die Wirtschaft als das derzeit wichtigste Thema, wie aus einer Erhebung der Nachrichtenagentur „Reuters“ hervorgeht.
Erst danach folgen Migrationsfragen (17 Prozent). Die Umwelt liegt abgeschlagen auf dem vierten Platz, die nur sechs Prozent der US-Bürger als das gegenwärtig bedeutendste Thema betrachten.
Denn auch für die Autobauer würden die Lockerungen eine enorme Entlastung bedeuten. Die Nachfrage nach E-Autos wächst in den Vereinigten Staaten bei Weitem nicht so schnell wie erhofft.
Zwar wurden im vergangenen Jahr erstmals mehr als eine Million Elektrofahrzeuge verkauft, wie Zahlen des Autoforschungsunternehmens „Kelley Blue Book“ zeigen. Das entspricht immer noch einem Plus rund 50 Prozent gegenüber dem Vorjahr.
Allerdings hat sich das Wachstum damit deutlich verlangsamt. Außerdem machte der Elektroauto-Absatz gerade einmal 7,6 Prozent der Gesamtverkäufe aus.
Zuvor forderte schon die Alliance for Automotive Innovation (AAI), der Spitzenverband der Branche, die US-Regierung auf, den Übergang durch gelockerte Regeln zu verlangsamen.
Diese solle „dem Markt und den Lieferketten eine Chance geben, aufzuholen“, sagte deren Geschäftsführer John Bozzella. Denn einerseits hat die Autoindustrie zuletzt massiv in neue Produktionsstätten investiert – auch dank der milliardenschweren Förderungen durch den sogenannten Inflation Reduction Act (IRA).
Ladeinfrastruktur in den USA noch unzureichend
Andererseits fehlt es in den USA aber an der notwendigen Ladeinfrastruktur. Daneben sind die Fahrzeuge für viele Amerikaner noch immer zu teuer – trotz der üppigen Steuerprämien von bis zu 7500 Dollar beim Kauf.
Die Folge: Mit ihren E-Autos schreiben die traditionellen Fahrzeughersteller rote Zahlen. Ford machte mit seiner Elektrosparte im abgelaufenen Geschäftsjahr einen Verlust von 4,7 Milliarden Dollar.
Bei General Motors rechnet man immerhin damit, ab dem Jahr 2025 mit Elektroautos Geld zu verdienen. Mehr noch: Würden Biden und die Umweltbehörde EPA an ihren ursprünglichen Abgaswerten festhalten, rechnen die Autobauer mit Strafen in Milliardenhöhe.
Schließlich seien die Vorgaben „weder zumutbar noch innerhalb des vorgesehenen Zeitrahmens realisierbar“, heißt es etwa von der AAI.
Bidens Schritt kommt ausgerechnet zu einer Zeit, in der auch in Europa die Diskussionen über das geplante Verbrenner-Aus neu entfachen. 2022 hatte sich die EU darauf geeinigt, dass ab 2035 keine Neuwagen mehr zugelassen werden sollen, die Benzin oder Diesel tanken.
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hatte jüngst aber noch einmal bekräftigt, dass im Jahr 2026 die Entscheidung überprüft wird.
Verbrenner-Aus könnte in Brüssel fallen
Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) deutete die Worte von der Leyens so, „dass sich unsere Sichtweise auf das Verbrenner-Aus nun auch langsam in der Spitze der Kommission durchsetzt“.
Und auch der Vorsitzende der konservativen EVP-Fraktion im Europaparlament, Manfred Weber, will das geplante Verbrenner-Aus am liebsten kippen. „Wenn meine Fraktion nach der Europawahl eine Mehrheit herstellen kann, werden wir das vom Europäischen Parlament in dieser Legislaturperiode beschlossene Verbrenner-Verbot rückgängig machen“, sagte der CSU-Politiker vor wenigen Wochen den Zeitungen der Mediengruppe Bayern.
Signale wie in den USA senden auch die Autobauer in Deutschland. Auf dem Weg zur Elektromobilität gehe es auf und ab, sagte Mercedes-Vorstandschef Ola Källenius am vergangenen Donnerstag in Stuttgart.
Der Dax-Konzern werde auch weiter mit hohen Investitionen in neue E-Autos das Ziel seiner CO₂-Neutralität bis 2039 vorantreiben. Aber das Unternehmen müsse sich doppelt absichern. „Wir brauchen taktische Flexibilität.“ Schließlich bestimme der Kundenwunsch das Tempo des Umschwungs.
Stellantis-Chef Carlos Tavares hat sich hingegen klar für das Aus für Verbrennerfahrzeuge ab 2035 ausgesprochen. Diese Vorgabe sei klar und deutlich, sagte Tavares WELT AM SONNTAG. „Ich unterstütze diese Vorgabe.“ Man müsse aber in der Umsetzung pragmatisch sein, außerdem sei weitere Unterstützung notwendig.
Schon an diesem Dienstag dürfte Biden spüren, wie viel ihm der Aufschub der Abgasregeln einbringen könnte. Im Bundesstaat Michigan, der Auto-Region des Landes, finden die nächsten Vorwahlen zur Präsidentschaft statt. Bei der Wahl vor vier Jahren hat Biden den Staat mit nur 150.000 Stimmen vor seinem Rivalen Donald Trump gewonnen – genauso viele, wie die Autogewerkschaft an Mitgliedern zählt.
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