Bilanz der Berlinale: Mit diesem Festival stimmt etwas nicht

bilanz der berlinale: mit diesem festival stimmt etwas nicht

Ein deutscher Sieger: Matthias Glasner gewann den Silbernen Bären für das beste Drehbuch

Sie seien „besonders stolz“ auf ihre Kandidaten für den Goldenen Bären, weil sich unter ihnen „lang geschätzte Filmemacherinnen und starke neue Stimmen“ die Waage hielten, erklärten die Geschäftsführerin Mariette Rissenbeek und der künstlerische Leiter Carlo Chatrian im Programmheft der diesjährigen Berlinale. Das konnte man so sehen: ein paar bekannte, wenn auch nicht berühmte Namen – die Franzosen Bruno Dumont und Olivier Assayas, der Koreaner Hong Sangsoo, der Mauretanier Abderrahmane Sissako, die deutschen Regisseure Matthias Glasner und Andreas Dresen –, und sehr viele Filmtalente, die ihre ersten, zweiten oder dritten Spielfilme vorstellten, von Aaron Schimberg bis Victor Kossakovsky. Auf dem Papier war das eine spannende Auswahl.

Auf der Leinwand sah die Sache allerdings anders aus. Das Zähe, Kitschige, Verworrene, das schlecht Gedachte oder Gemachte hatte im Wettbewerb der Berlinale das Übergewicht, auch wenn der nepalesische Beitrag „Shambala“ mit seinen hinreißenden Himalaja-Landschaften am vorletzten Festivaltag noch einmal eine echte Überraschung und das tunesisch-kanadische Drama „Mé el Aïn“ („Wohin ich gehöre“) eine (leider) unentdeckte Perle war. Die Mehrzahl der Filme aber erfüllte nicht die Erwartungen, die ihre Ankündigung im Programm geweckt hatte – und das bei einem Festival, das ohnehin schon seit Jahren nicht mehr mit dem gleichen Maßstab gemessen wird wie seine Konkurrenz in Cannes und Venedig.

Hat die Jury Tomaten auf den Augen?

Die Berlinale-Jury unter dem Vorsitz der kenianischen Schauspielerin Lupita Nyong’o hat deshalb eine vielsagende Wahl getroffen, als sie den Goldenen Bären an Mati Diops Dokumentarfilm „Dahomey“ vergab. Es ist nach Nicolas Philiberts „Sur l’Adamant“ schon der zweite nichtfiktionale Hauptpreisgewinner in Folge – und damit ein deutliches Zeichen, dass mit der Wettbewerbsauswahl etwas nicht stimmt. Denn entweder haben die Jurys Tomaten auf den Augen, oder es gibt in Berlin tatsächlich immer weniger Spielfilme, die den Hauptpreis eines der drei großen A-Festivals der Welt verdient haben.

Ob „Dahomey“ auch in einer stärkeren Auswahl einen Preis gewonnen hätte oder ob Mati Diops Film so viel besser war als Matthias Glasners Familienepos „Sterben“, das nur einen Drehbuchpreis bekam, oder die von der Jury übersehene Theaterverfilmung „La Cocina“ („Die Küche“) von Alonso Ruizpalacios, darf man bezweifeln.

Das Prinzip, möglichst nirgendwo anzuecken

Der wichtigste Einfall der französisch-senegalesischen Regisseurin besteht darin, dass sie eine der sechsundzwanzig Statuen aus dem vorkolonialen Königreich Dahomey, die im November 2021 aus Paris an den westafrikanischen Staat Benin zurückgegeben werden, mit hohl tönender Off-Stimme über ihre Rückkehr aus langer Gefangenschaft sprechen lässt. Der Rest des Films zeigt Erwartbares: Verpackungs- und Transportarbeiten, Ankunft am Flughafen, Begrüßungskomitees, Empfänge und eine öffentliche Diskussion, bei der es etwa um die Skulpturen ihren vormaligen rituellen Zwecken zuführen oder lieber weiterhin als Kunstwerke ausstellen soll.

Auch die übrigen Auszeichnungen folgen dem Prinzip, möglichst nirgendwo anzuecken, wenn man von dem Jurypreis für Bruno Dumonts „L’Empire“ absieht, einen der umstrittensten Filme dieser Berlinale. Dumonts Idee, eine „Star Wars“-Parodie in einem Küstendorf in der Normandie anzusiedeln, hat in Drehbuchform sicher ihren Reiz, aber im Kinosaal wirkte ihre filmische Ausführung so aufgeblasen und verquast, dass viele am Ende gar nicht mehr wissen wollten, ob das als Meernixe verkleidete Gute oder das Böse in Gestalt eines Kleinkinds schließlich die Herrschaft über die Erde erringt.

Und dass eine Jury, in der nicht weniger als vier Filmregisseure saßen, die Regieleistungen des Mexikaners Ruizpalacios und der beiden Deutschen Andreas Dresen und Matthias Glasner übersehen und stattdessen die schwerfüßig dahintrottende Nilpferd-Farce „Pepe“ des Dominikaners Nelson Carlo de los Santos Arias mit einem Silbernen Bären ausgezeichnet hat, kann nur diejenigen überraschen, die noch nie eine Jurysitzung aus der Nähe miterlebt haben.

So enden diese Filmfestspiele mit einem Schlussakkord ohne Nachhall. Das Duo Rissenbeek/Chatrian, vor fünf Jahren mit großen Hoffnungen in die Nachfolge des langjährigen Direktors Dieter Kosslick berufen, hat die Berlinale gut durch die Corona-Pandemie gesteuert, aber ihre Neupositionierung im Konzert der großen Festivals ist den beiden Direktoren nicht gelungen. Insofern bezeichnen die Goldenen und Silbernen Bären von 2024 auch das Ende einer Illusion: Zu zweit geht es auch nicht besser als allein. Ab kommendem Jahr wird die Amerikanerin Tricia Tuttle die Filmfestspiele leiten. Was sie mit dem Festival vorhat, weiß noch niemand. So bleiben, wie es ist, kann es jedenfalls nicht.

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