Nach Boeing-Zwischenfall: Ein mulmiges Gefühl fliegt mit

nach boeing-zwischenfall: ein mulmiges gefühl fliegt mit

Will man den Flug riskieren? Fluggesellschaften müssen sich bemühen, aufgebautes Vertrauen nicht zu verspielen.

Während die Bahn mit Streiks und Unpünktlichkeit ihre Kunden verärgert, nagen im Luftverkehr nicht nur Verzögerungen am Vertrauen der Reisenden, sondern zuletzt auch Pfusch im Flugzeugbau. Ein mulmiges Gefühl kehrt zurück, so etwas wie Flugangst. Ein Boeing-Flugzeug, das ein Rumpfteil verlor, war nur die jüngste erschreckende Episode – zum Glück ging sie glimpflich aus für die Passagiere.

Eher beruhigend liest sich auch die Unfallstatistik. Zuletzt gab es kein Jahr mehr mit mehr als 1000 Opfern, in den Neunzigern wurde dieser Wert fast jedes Jahr überschritten. 2023 kamen auf der Welt 124 Menschen bei Flugzeugverlusten in der Passagierluftfahrt ums Leben, weniger, als in einem gewöhnlichen Mallorca-Flieger sitzen. Es war die zweitniedrigste Zahl der vergangenen 50 Jahre, obwohl immer mehr geflogen wird.

Fliegen ist längst eine gewöhnliche Art der Fortbewegung. Der Hauch der Exotischen bis Exquisiten ist – abgesehen von der First-Class-Nische – geschwunden. Innerhalb von etwas mehr als 30 Jahren haben sich die internationalen Passagierzahlen vervierfacht, auf mehr als vier Milliarden Reisende im Jahr. Umso fataler ist es, dass die Branche, die sich ihrer hohen und kontinuierlich verbesserten Sicherheitsstandards rühmt, nun den Eindruck hinterlässt, dass sie zuletzt auch Glück hatte – und mit ihr die ­Passagiere. Als die Notausstiegsabdeckung herausriss, gab es keine Opfer, weil der Flieger in geringer Höhe flog und zwei Sitze am Loch frei waren.

Fluggesellschaften haben viel zur Verunsicherung beigetragen

Gewiss: Ängste haben immer etwas Irrationales, die Statistik steht ihnen entgegen. Aber nach Zahlen war auch 2019 ein unauffälliges Jahr. Damals erschütterte der zweite Absturz einer Boeing 737 Max, ein langes Flugverbot folgte. Erkenntnisse über ein verschleiertes Steuersystem, das in der damaligen Gestalt besser nicht eingebaut worden wäre, stürzten den Konzern in eine Krise, von der er sich nicht erholt hat. Einiges liegt im Argen. Wie ist es möglich, dass sich Ermittler unsicher sein müssen, was mit wichtigen Haltebolzen passierte und ob sie überhaupt eingebaut waren?

Boeing hat viel zur entstandenen Verunsicherung von Reisenden beigetragen. Erst brauchte der Konzern viel zu lange, um etwas zum eigenen Anteil an Unglücken und Zwischenfällen zu sagen. Nach der Wende in der Kommunikation scheint die Wende in der Qualitätssicherung immer noch zu fehlen.

Und die Luftfahrt nicht nur ein Boeing-Problem. An jungen A320neo-Jets von Airbus geht es um Materialfehler in Triebwerken von Pratt & Whitney. Sonderwartungen sind die Folge – in einem Ausmaß, dass Airlines Mühe haben, genügend Flieger bereitzustellen. Lufthansa plant aktuell täglich mit mindestens 20 Flugzeugen weniger, als sie besitzt. In der Pandemie fehlten Passagiere, jetzt sorgen technische Herausforderungen für große Probleme.

Besser fürs Klima, aber wartungsintensiver

Dass Fliegen so normal geworden ist, macht es auch anfällig. Mit dem wachsenden Geschäft wuchsen Konkurrenz- und Kostendruck, bei Boeing reifte ein Qualitätsproblem heran, es gab lockere Schrauben und in Tanks vergessene Werkzeuge. Selbstherrlich hatte der Konzern dies zunächst geleugnet und auf seine traditionsreichen Werkshallen verwiesen. Die 737 Max, eine Modifizierung eines im Kern mehr als 50 Jahre alten Modells, entstand aus dem Drang, hinsichtlich Effizienz, Kerosinverbrauch und Emissionen mit dem A320neo mitzuhalten – und zwar möglichst schnell. Das ging zunächst katastrophal schief.

Die Branche testet den Rahmen des Machbaren. Triebwerke der jüngsten Generation verursachen viel geringere Klimaschäden als die vorherigen. Der unerwünschte Nebeneffekt zeigt sich jedoch in geringerer Beständigkeit und größerem Wartungsbedarf.

Nicht nur Flugzeuge sind in den Fokus geraten, sondern auch Flughäfen. Selbsternannte Klimaschützer führten die Schwachstellen gewohnter Schutzsysteme vor, als sie in Sicherheitsbereiche eindrangen. Wenn aber Protestierer oder andere Unbefugte relativ einfach auf Vorfelder gelangen, werden Hightech-Kontrollen für Passagiere im Terminal beinahe zur Farce.

Dass sich deutsche Flughäfen gegen teure neue Schutzmaßnahmen wehren, ist deshalb unangemessen. Allein mit einem höheren Strafmaß für Störer zu reagieren, genügt nicht. Wenn ein Strafrechts-Paragraph umgeschrieben wird, ist das für Flughäfen zwar billiger, wirksamer aber wären bessere Zäune und Barrieren.

Die Luftfahrt hat über viele Jahre stets aus Vorfällen und Unglücken gelernt und selbst Initiativen ergriffen. Sonst wären die Opferzahlen nie so klein und die Passagierzahlen nie so groß geworden. Diesen Erfolg darf sie nicht aufs Spiel setzen. Noch geht es nur um ein mulmiges Gefühl von Reisenden, doch das sollte Mahnung genug sein.

News Related

OTHER NEWS

Ukraine-Update am Morgen - Verhandlungen mit Moskau wären „Kapitulationsmonolog" für Kiew

US-Präsident Joe Biden empfängt Wolodymyr Selenskyj im Weißen Haus. Evan Vucci/AP/dpa Die US-Regierung hält Verhandlungen zwischen der Ukraine und Russland zum jetzigen Zeitpunkt für „sinnlos”. Bei einem Unwetter in Odessa ... Read more »

Deutschland im Wettbewerb: Subventionen schaden dem Standort

Bundeskanzler Olaf Scholz am 15. November 2023 im Bundestag Als Amerikas Präsident Donald Trump im Jahr 2017 mit Handelsschranken und Subventionen den Wirtschaftskrieg gegen China begann, schrien die Europäer auf ... Read more »

«Godfather of British Blues»: John Mayall wird 90

John Mayall hat Musikgeschichte geschrieben. Man nennt ihn den «Godfather of British Blues». Seit den 1960er Jahren hat John Mayall den Blues geprägt wie nur wenige andere britische Musiker. In ... Read more »

Bund und Bahn: Einigung auf günstigeres Deutschlandticket für Studenten

Mit dem vergünstigten Deutschlandticket will Bundesverkehrsminister Wissing eine junge Kundengruppe dauerhaft an den ÖPNV binden. Bei der Fahrkarte für den Nah- und Regionalverkehr vereinbaren Bund und Länder eine Lösung für ... Read more »

Die Ukraine soll der Nato beitreten - nach dem Krieg

Die Ukraine soll nach dem Krieg Nato-Mitglied werden. Die Ukraine wird – Reformen vorausgesetzt – nach dem Krieg Mitglied der Nato werden. Das hat der Generalsekretär des Militärbündnisses, Jens Stoltenberg, ... Read more »

Präsidentin droht Anklage wegen Tod von Demonstranten

Lima. In Peru wurde eine staatsrechtlichen Beschwerde gegen Präsidentin Dina Boluarte eingeleitet. Sie wird für den Tod von mehreren regierungskritischen Demonstranten verantwortlich gemacht. Was der Politikerin jetzt droht. Perus Präsidentin ... Read more »

Novartis will nach Sandoz-Abspaltung stärker wachsen

ARCHIV: Das Logo des Schweizer Arzneimittelherstellers Novartis im Werk des Unternehmens in der Nordschweizer Stadt Stein, Schweiz, 23. Oktober 2017. REUTERS/Arnd Wiegmann Zürich (Reuters) – Der Schweizer Pharmakonzern Novartis will ... Read more »
Top List in the World