Verdi beim Wort nehmen

Verdi beim Wort nehmen

Bei allem Ärger über ein rücksichtsloses Arbeitskampfgebaren lassen sich nach dem großen Verkehrsstreik der Gewerkschaften Verdi und EVG auch einige besänftigende Aspekte finden. Dazu zählt die Erkenntnis, dass sich zumindest der in Euro und Cent bezifferbare wirtschaftliche Schaden in Grenzen hält. Es lässt sich vor allem mit der (diesmal noch) begrenzten Streikdauer erklären: Die Industrie ist es seit der Pandemie gewohnt, mit etwas erhöhter Lagerhaltung für kurzfristige Lieferstörungen vorzusorgen; und viele Arbeitnehmer sind inzwischen in der Lage, notfalls vom Homeoffice aus produktiv mitzuarbeiten. In anderen Branchen besteht die Chance, dass Nachholeffekte einen Teil der Ausfälle vom Montag ausgleichen.

Das ändert nichts daran, dass derartige Streiks im öffentlichen Sektor eine fragwürdige Asymmetrie haben. Werden sie mit einer solchen Kartellmacht geführt, wie es in diesem Fall geschehen ist, treffen sie unbeteiligte Bürger und Betriebe ungleich härter als diejenigen Arbeitgeber, deren Verhalten eigentlich beeinflusst werden soll.

Doch immerhin fällt als Nebenprodukt auch ein Hoffnungswert ab, der zunächst vor allem Verdi betrifft: Auch wenn es widersprüchlich klingt – ein engagiert geführter Streik vergrößert für die Gewerkschaftsführung den Spielraum für Kompromisse am Verhandlungstisch. Denn wenn sie dieselben Kompromisse ohne Streik einginge, setzte sie sich in ihren eigenen Reihen dem Vorwurf vorzeitigen Einlenkens aus. So gesehen, ist durch den Streik vom Montag eine Einigung im Tarifstreit des öffentlichen Diensts wahrscheinlicher geworden.

Die Frage bleibt natürlich, wie teuer eine Lösung für jene werden darf, die den Staat finanzieren. Für Verdi käme indes dieser Maßstab in Betracht: Bei der Deutschen Post hat sie jüngst – nach einer Forderung in gleicher Höhe – einen Tarifabschluss mitgemacht, der ungefähr einem Plus von je 5,5 Prozent für 2023 und 2024 entspricht. Allerdings hat die Post, wie Verdi stets betonte, gerade einen Rekordgewinn erzielt.

Das lässt sich vom Staat sicher nicht sagen. Insofern sollte man Verdi jetzt beim Wort nehmen – ein Abschluss im öffentlichen Dienst müsste klar darunter liegen. Man darf gespannt sein. Gleiches gilt dann auch für die EVG und ihren Konflikt mit der Deutschen Bahn.