Usbekische Kunst in Venedig: Moskaus zivilisatorische Mission
Während die russische Gegenwartskunst in Venedig nicht vertreten ist, wird die russische Moderne opulent ausgestellt. Eine Ausstellung namens „Avantgarde in der Wüste“ ist derzeit in der Universität Ca’ Foscari zu sehen, wobei aus verständlichen Gründen der Titel das Wort „russisch“ ausspart. Kuratiert wurde die Schau von Silvia Burini und Giuseppe Barbieri, die von Selfira Tregulowa beraten wurden, der ehemaligen Direktorin der Moskauer Tretjakow-Galerie, und organisiert vom Zentrum für Studien über russische Kunst, bekannt unter der sprechenden Abkürzung CSAR. Burini hatte es im Jahr 2011 begründet, eingeweiht wurde es von Swetlana Medwedewa, der Ehefrau des damaligen russischen Präsidenten Dmitri Medwedew. Medwedewa wurde auch Vorstandsvorsitzende von CSAR.
Burini erlangte Berühmtheit durch ihre unerschütterliche Unterstützung für Russland. 2014, nach der Annexion der Krim, drängte sie die Universität, dem russischen Kulturminister und Putin-Ideologen Wladimir Medinski trotz Protesten von Universitätsprofessoren und russischen Intellektuellen die Ehrendoktorwürde zu verleihen. Burinis Bemühungen blieben in Moskau nicht unbemerkt. Im November 2014 wurde sie von Putin mit der Puschkin-Medaille für den „Schutz der russischen Sprache und die Förderung der russischen Kultur im Ausland“ ausgezeichnet. Nach dem Beginn der Großinvasion in die Ukraine wurde Medinski die Ehrendoktorwürde aberkannt, und die Namen russischer Würdenträger verschwanden aus dem Vorstand des CSAR. Burini jedoch, die ihre Unterstützung des Putin-Regimes nie öffentlich widerrufen hat, blieb unbehelligt. Da sie nicht mit russischen Institutionen zusammenarbeiten kann, nutzte sie ihre Moskauer Verbindungen, um eine beeindruckende Ausstellung aus Usbekistan nach Venedig zu bringen.
Die Geschichte der zentralasiatischen Moderne ist in Europa nicht sehr bekannt. Die russische Eroberung der Region dauerte fast zwei Jahrhunderte und verwandelte das riesige Gebiet des damals so genannten Turkestans (dazu gehören das heutige Usbekistan, Kasachstan, Kirgistan, Tadschikistan und Turkmenistan) in russische Kolonien. Nach der Revolution von 1917 eroberten die Bolschewiki Zentralasien in einem blutigen Krieg gegen den national-religiösen Widerstand der Mudschahedin zurück, der bis in die Dreißigerjahre andauerte.
Russische Gemälde als Hauptbestandteil
In den Zwanzigerjahren hat sich in Turkestan eine einzigartige lokale Schule der modernen Kunst entwickelt. Sie wurde vor allem von russischen Künstlern geschaffen, die in der Region lebten oder von der sowjetischen Regierung nach Zentralasien entsandt worden waren. Ihr Werk bestand in erster Linie aus dekorativer, figurativer Malerei, die von der lokalen angewandten Kunst und Ornamentik inspiriert war. Dieser modernistische „Orientalismus“ war sehr vielfältig. Einer der Pioniere war Alexander Wolkow (1886 bis 1957), der im usbekischen Fergana geboren wurde, seine künstlerische Ausbildung aber in Russland erhielt. Wolkow vertrat seine Version des Kubismus am Sujet usbekischer Teestuben und Karawanen. Auf der anderen Seite gab es Außenseiter wie Alexander Nikolajew (1897 bis 1957), einen russischen Maler, der 1921 nach Samarkand geschickt wurde. Verzaubert vom exotischen Orient, konvertierte Nikolajew zum Islam, nahm den usbekischen Namen Usto Mumin an und schuf eine Galerie homoerotischer Porträts usbekischer Tänzerknaben, die von mittelalterlichen Miniaturen inspiriert waren. Die Schau in Venedig umfasst zudem Werke von Viktor Ufimzew, Nikolai Karachan und Ural Tansykbajew, dem einzigen nennenswerten einheimischen Künstler unter den Vertretern des turkestanischen Modernismus.
Zwar erklärten die Kuratoren, dass die Ausstellung schwerpunktmäßig aus dem Museum in Nukus am Aralsee bestückt wurde, doch ihren Hauptbestand bilden russische Gemälde aus dem Museum der Künste Usbekistans in Taschkent. 1921 schickte das russische Kommissariat für Volksaufklärung Bilder von Wassily Kandinsky, Alexander Rodtschenko, Ljubow Popowa, Aristarch Lentulow und anderen Künstlern nach Taschkent. Die Kunstwerke sollten den Kern der Sammlung des künftigen Kunstmuseums bilden. Im Grunde handelte es sich um einen utopischen kulturellen Kolonialismus. Die Avantgarde wurde zusammen mit der Revolution in Länder exportiert, die keine Tradition figurativer und weltlicher Kunst besaßen. In der zweiten Hälfte der Dreißigerjahre wurde diese „Umerziehung“ durch die Avantgarde ersetzt von der Durchsetzung des sozialistischen Realismus.
Die in Ca’ Foscari ausgestellten Werke von Kandinsky und Popowa werden von usbekischen Chalat-Gewändern, Ikat-Seiden und Gemälden turkestanischer Modernisten eingerahmt. Sie dominieren die Ausstellung, ohne dass das Thema Kolonialismus erwähnt würde. So wird die Schau „Avantgarde in der Wüste“ zum Manifest einer vermeintlichen zivilisatorischen Mission Russlands, die das utopische bolschewistische Experiment umwandelt in eine Manifestation von Großmachtstolz.
Es überrascht daher nicht, dass die Moskauer Kunsthistorikerin Xenia Korobejnikowa, die einen populären Telegram-Kanal betreibt, erklärte, die in Venedig ausgestellte Kunst sei nicht usbekisch, sondern russisch, auch wenn das im Titel nicht erwähnt wird. Die koloniale Inszenierung in Ca’ Foscari lässt jedenfalls kaum Raum für eine andere Interpretation.
Aus dem Englischen von Stefan Trinks.
Konstantin Akinscha, 1960 in Kiew geboren, ist ukrainischer Kunsthistoriker.