Verteidigungsminister Pistorius: Beliebt wie keiner vor ihm

verteidigungsminister pistorius: beliebt wie keiner vor ihm

Die Truppe vertraut ihm: Verteidigungsminister Pistorius bei einem Truppenbesuch im Januar in Altengrabow

In Deutschland kommt es selten vor, dass sich ein Verteidigungsminister großer Beliebtheit erfreut. Die Materie ist komplex, gute Nachrichten selten, der Zustand der Bundeswehr besorgniserregend. Die Aussichten, sich im Amt zu blamieren sind jedenfalls ungleich größer als die Chance auf Bewährung und Anerkennung.

Dennoch ist es dem Sozialdemokraten Boris Pistorius gelungen, sich an die Spitze aller Befragungen zu setzen. Seit Beginn seiner nun einjährigen Amtszeit wird der Niedersachse mit höchstem Lob bedacht. Es war seine sympathische, offene Art, die den Erfolg begründete, die ungekünstelte Sprache eines Mannes, der zugab „richtig Bock“ auf sein neues Amt zu haben. Auch unter Politikern gibt es eben riesige Unterschiede.

Manche kann man bereits erkennen, wenn man zufällige Bilder von einer Warteschlange vor einem Easy-Jet-Flug auf Madeira betrachtet. Dort stand am Ende eines kurzen Winterurlaubs der Inhaber der Befehls- und Kommandogewalt über die Streitkräfte, der Minister einer ganzen Flotte von Staatsflugzeugen inmitten des Billig-Flieger-Publikums mit kleinem Rucksäckchen und erduldete die schleppende Abfertigung und dann die Streichung des Fluges wegen Schlechtwetter ebenso wie die anderen Passagiere. Null Privileg für den Minister und seine Lebensgefährtin. Ein Mitreisender hatte von der Szene ein, zwei Fotos gemacht und sie der Boulevard-Presse geschickt. Für Pistorius ein unbezahlbares Geschenk einerseits, aber auch Resultat eines Normalbleibens, das ihm in Truppe und Öffentlichkeit hohe Anerkennung bringt.

verteidigungsminister pistorius: beliebt wie keiner vor ihm

Kanzler Scholz, Bundespräsident Steinmeier, Verteidigungsminister Pistorius und dessen Vorgängerin Lambrecht am 19. Januar 2023 bei der Übergabe der Ernennungsurkunde in Berlin

Seine Werte sind sogar noch gestiegen, derweil seine Partei und sein Chef Olaf Scholz tiefer und tiefer stürzten. Inzwischen ist der Verteidigungsminister so beliebt wie noch keiner vor ihm, während Scholz und die SPD so schlecht dastehen wie kein Kanzler und seine Partei zuvor. Besonders beunruhigend für Scholz: Nach einer aktuellen Umfrage wollen zwei Drittel der Befragten, dass Pistorius ihn als Kanzler ablöst. In der Politik bedeutet das aber auch: Mit wachsender Beliebtheit und aufkommender Konkurrenz durch den „Macher“ (Der Spiegel) und „Reservekanzler“ (Süddeutsche Zeitung) muss das Interesse von Scholz sinken, seinem Minister und etwaigen Konkurrenten Erfolge zu ermöglichen.

Flammende Rhetorik und zu wenig Geld

Eine Kostprobe davon bekam Pistorius bereits, als Scholz ihm kürzlich Hunderte Millionen Euro aus dem Etat strich, um Haushaltslücken der Ampel zu schließen. Dass dies nicht gut zur flammenden Rhetorik seines Ministers passt, der von einer „kriegstauglichen“ Armee im Angesicht des russischen Imperialismus spricht und die Wiedereinführung der Wehrpflicht prüfen lässt, dürfte Scholz kaum entgangen sein. Er nahm es in Kauf, Pistorius ist gewarnt. Sein Verhältnis zu Scholz war bereits einmal von Konkurrenz geprägt, nämlich als sie vor viereinhalb Jahren im harten Wettbewerb um den SPD-Vorsitz gegeneinander antraten – und beide verloren.

Notfalls ist das Verteidigungsministerium auch ein geeigneter Ort, um etwaige Konkurrenz kaputt zu machen. Das hatte zuletzt Angela Merkel vorgeführt, als sie die CDU-Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer im Bendlerblock politisch aushungerte. Über anderthalb Jahrzehnte unionsgeführter Bundesregierungen haben sich die konservativen Parteien kaum um die Streitkräfte und deren erbärmlichen Zustand geschert. Der Sozialdemokrat und neue Bundeskanzler Scholz gedachte zunächst, an diese Tradition anzuknüpfen. Er betraute Christine Lambrecht, die sich eigentlich schon aus der Politik verabschieden wollte, mit dem herabgewirtschafteten Ministerium. Lambrecht werde, so erklärte Scholz Ende 2021 dem verdutzten Publikum, eine „ganz, ganz bedeutende Verteidigungsministerin werden“.

Er sollte sich täuschen. Das zeigte sich spätestens in Anbetracht der tödlichen Gefahr, die unübersehbar von Dutzenden Divisionen des Diktators Wladimir Putin an der russisch-ukrainischen Grenze ausging. Wenige Wochen später überfiel Russland die Ukraine. Die deutsche Sicherheitsarchitektur wankte, die vor allem auf Zuckerbrot für Russlands Gas-Oligarchie beruht hatte.

Seit dem russischen Angriff auf die Ukraine im Sommer 2014 hatte sich Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) zwar für diplomatische Formate interessiert, aber kaum für die mangelnde Einsatzbereitschaft der Bundeswehr. Das Versprechen, das die Kanzlerin und Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) der NATO im Spätsommer desselben Jahres gegeben hatten, ignorierte die CDU-Politikerin in den folgenden sieben Jahren ihrer Amtszeit geflissentlich und sorgte so dafür, dass eine andere potentielle Konkurrentin, Ursula von der Leyen, schlecht aussah.

Nach dem Silvester-Video trat Lambrecht zurück

Am frühen Morgen des 24. Februar 2022 schlug die geballte russische Kriegsmaschinerie in Richtung Kiew los. Der Kanzler hielt drei Tage später im Bundestag eine Regierungserklärung, die aufhorchen ließ, von Zeitenwende war die Rede. Scholz kündigte 100 Milliarden Euro für Investitionen an und versprach den besorgten Landsleuten: „Wir werden von nun an Jahr für Jahr mehr als zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts in unsere Verteidigung investieren.“ Das Ziel, so der Bundeskanzler, sei „eine leistungsfähige, hochmoderne, fortschrittliche Bundeswehr, die uns zuverlässig schützt“.

Lambrecht, die Scholz im Finanzministerium als parlamentarische Staatssekretärin zugearbeitet hatte, tat allerdings weiter fast nichts. Die Parteilinke hatte in ihrer gesamten politischen Laufbahn über 20 Jahre kein einziges Mal die Auslandseinsätze der Bundeswehr aufgesucht. Bis zum Ende des ersten Kriegsjahres gelang es ihr nicht, auch nur ein Prozent der 100 Milliarden Euro tatsächlich auszugeben. Stattdessen sorgte sie für Unmut, etwa als sie eine Dienstreise nutzte, um mit ihrem Sohn in einem Hubschrauber der Bundeswehr nach Nordfriesland zu fliegen, von wo sie direkt im Anschluss ins benachbarte Sylt in den Urlaub reiste. Lambrecht hatte keine Lust auf Easy-Jet, aber offenbar auch nicht auf ihr Amt. Scholz ließ sie trotzdem nicht gehen. Lambrecht trat dann nach einem irrwitzigen Silvester-Video vor Berliner Böller-Kulisse zurück.

So waren die Umstände, unter denen der niedersächsische Innenminister Pistorius Tage später das Angebot erhielt, Verteidigungsminister zu werden. Er sagte sofort zu. Noch vor der Amtsübernahme reiste er nach Berlin und traf dort alle wichtigen Parlamentarier und die Wehrbeauftragte Eva Högl. Er sprach mit künftigen Kollegen wie Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) oder Finanzminister Christian Linder (FDP).

Noch auf dem Weg von seiner Ernennung auf Schloss Bellevue ins neue Ministerium telefonierte Pistorius erstmals mit seiner französischen Kollegin Florence Parly. Dann nahm er mit festem Schritt und einem Anflug von Lächeln den Begrüßungsaufzug von Militärs und Mitarbeitern im Ministerium ab. Nachmittags traf er den amerikanischen Verteidigungsminister Lloyd Austin und bahnte tags darauf beim Ramstein-Treffen der Kiew-Unterstützer wortgewandt der Lieferung von Leopard-Panzern an die Ukraine den Weg.

Sogleich schien es, als habe Pistorius sich seit Jahren auf das Amt vorbereitet. Im Bundesrat hatte er sich mit Verteidigungsangelegenheiten befasst, in der Parlamentarischen Versammlung der NATO war er gewesen, Bundeswehrstandorte hatte er längst gekannt, der zivil-militärischen Kooperation in Krisenfällen stets Aufmerksamkeit geschenkt.

Schon als Kind, so sagte er, habe er in seiner Heimatstadt Osnabrück die Soldaten der britischen Rheinarmee bewundert; Berufswünsche des später Wehrdienstleistenden drehten sich um den diplomatischen Dienst, mit russischen und französischen Sprachkenntnissen hatte er sein sehr passables Englisch ergänzt. Und – auch das aus heutiger Sicht kein Nachteil: Pistorius hatte sich in Osnabrück, wo er in der Kommunalpolitik bis zum Oberbürgermeister aufgestiegen war, von den Schröder-Freunden in Hannover stets ferngehalten.

Pistorius wechselte Schlüsselpositionen aus

Die Dimension der Aufgabe war dem Politprofi klar. Vertraut mit dem öffentlichen Dienst in Sicherheitsbehörden hatte er eine Vorstellung davon, was ihn in der Bundeswehrbürokratie erwarten dürfte. Man muss allerdings sagen: Diese Erwartungen wurden und werden tagtäglich bei weitem übertroffen.

Pistorius ist ein Bundesbrandmeister, der von einem Feuer zum nächsten hetzt, und zwar hauptsächlich in den eigenen Ämtern und Behörden. Die Beschaffung: ein verknotetes Knäuel von Vorschriften. Das Ministerium: eine Ansammlung von Schreibtisch-Generälen und -Offizieren, die neben- und teils gegeneinander arbeiten. Die Ausrüstung der Truppe: ungenügend. Die Finanzen: viel zu wenig. Das Personalwesen: eine Abweisungsbehörde.

Rasch wechselte Pistorius Schlüsselpositionen aus: Zunächst brachte er seinen Staatssekretär mit ins Haus, Nils Hilmer, und berief bald darauf einen neuen Generalinspekteur, Carsten Breuer. Auch die Leiterin der Beschaffungsbehörde wurde ersetzt, Pistorius berief die bisherige Stellvertreterin Annette Lehnigk-Emden. Ganz im Sinne seines politischen Vorbilds, des späteren Bundeskanzlers Helmut Schmidt, richtete Pistorius zudem einen neuen Planungsstab ein. Dessen Spitze übernahm Generalmajor Christian Freuding. Auch eine moderate Veränderung der Abteilungen Rüstung und Planung wurde ins Werk gesetzt. Mit allerlei „Task-Forces“ und Sonderstäben versucht der Minister zudem weitere Veränderungen zu bewerkstelligen, darunter bei der Personalgewinnung. Zum Sommer soll eine größere Reform folgen.

Aufsehen erregte die Entscheidung, eine ganze Brigade mit an die 5000 Männern und Frauen dauerhaft zur Verstärkung der NATO-Ostflanke nach Litauen zu verlegen. Für dieses Vorhaben fehlt allerdings, ähnlich wie bei vielen anderen Plänen, das notwendige Geld. Denn während Pistorius im Wettbewerb um die Gunst des Publikums äußerst erfolgreich ist, reiht sich im Kampf um die Finanzen schon Niederlage an Niederlage: So zerrinnen die 100 Milliarden in Alltagsausgaben, das Zwei-Prozent-Ziel ist immer noch nicht erreicht. Der Verteidigungsetat schrumpft, ebenso die Einsatzbereitschaft der Streitkräfte, die durch Lieferungen an die Ukraine weiter an Substanz verlieren.

Während der Kanzler weiterhin unverdrossen auf Wehr-Tagungen und im Bundestag eine ganz, ganz bedeutende Bundeswehr verspricht, muss Pistorius den weiter größer werdenden Mangel verwalten. Erfahrene Offiziere und Unteroffiziere verlassen frustriert die Bundeswehr, weil sie den Versprechungen der Politik nicht mehr glauben. Um das zu ändern, müsste ein Kanzler den Ernst der Lage und der Bedrohung anerkennen und konsequent danach handeln. Es scheint, als hätten viele Wähler den Eindruck, dass Olaf Scholz dieser Kanzler nicht ist.

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