Ukrainisches Präsidialamt: Die Risiken des wachsenden Einflusses von Andrij Jermak
Die Position des wichtigsten ukrainischen Präsidentenberaters ist seit langem mit einer schattenhaften, aber realen Macht verbunden. Doch warum ist Jermaks Situation so einzigartig?
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj (2.v.l) mit Andrij Jermak (r.), dem Leiter des Präsidialamts
Die Worte, die der ehemalige Nato-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen im „Time“-Magazin wählte, kamen einem Ritterschlag gleich. Nach Beginn des russischen Angriffskriegs in der Ukraine habe die beschriebene Person die Botschaft des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj in die Welt getragen und ein mächtiges Netzwerk von Freunden der Ukraine geschaffen.
„In einem großen Moment für die Ukraine und die Demokratie hat er nicht nur als entscheidende Führungspersönlichkeit gehandelt, sondern auch bewiesen, dass er eine solche ist.“ Rasmussen schrieb das in einem Text für die Rangliste der 100 einflussreichsten Menschen der Welt – in der neben Selenskyj eine weitere ukrainische Person auftauchte: der Leiter des Präsidialamts, Andrij Jermak.
Rasmussen und Jermak arbeiten derzeit in der Arbeitsgruppe für die Sicherheit der Ukraine und die euro-atlantische Integration zusammen. Dass ein ehemaliger Nato-Chef derart viel vom wichtigsten Präsidentenberater in Kiew hält, hat auch in der ukrainischen Gesellschaft eine Debatte über Jermaks Rolle im Machtapparat ausgelöst.
Viele glauben, dass Jermak zum Premierminister ernannt werden könnte. Nach Ansicht des Wirtschaftswissenschaftlers und politischen Analysten Borys Kushniruk ist der Leiter des Präsidialamtes auch sehr daran interessiert.
Im ukrainischen politischen Establishment gibt es allerdings eine andere Meinung. Insbesondere der politische Analyst Wolodymyr Fesenko ist skeptisch, was die Aussicht auf grundlegende Veränderungen in der Regierung und insbesondere die Ernennung von Jermak zum Premierminister angeht.
Das Präsidialamt als „Parallelregierung“ in der Ukraine
Der Experte erinnert daran, wie der erste Leiter der Präsidialverwaltung, Dmytro Tabachnyk, diese Struktur während der Zeit von Leonid Kutschma (1994-2005) zur de facto einflussreichsten staatlichen Institution des Landes machte.
„Die Präsidialverwaltung ist eigentlich eine ‚Parallelregierung‘ in unserem Land“, sagte Fesenko. Seiner Meinung nach macht es deshalb keinen Sinn, dass Jermak seine tatsächlichen Befugnisse auf einen „niedrigeren“ Status umstellt.
Formal ist der Premierminister die zweit- oder drittmächtigste Person in der Ukraine – nach dem Präsidenten und dem Parlamentspräsidenten. Im gegenwärtigen System ist die mächtigste Person jedoch der Präsident und die zweitmächtigste Person ist der Leiter des Präsidialamtes.
Jermak ist der ‚Hauptknopf‘ in Selenskyjs ‚staatlicher Schaltzentrale‘.
Wolodymyr Fesenko, politische Analyst
„Jermak ist der ‚Hauptknopf‘ in Selenskyjs ‚staatlicher Schaltzentrale‘. Er beeinflusst den Prozess der Vorbereitung staatlicher Entscheidungen und deren Umsetzung. Wenn er in das Kabinett wechselt, würde er diese reale Macht verlieren“, betont Fesenko.
Jermaks Machtkonsolidierung spiegelt sich auch in der Auswahl seiner Mitarbeiter wider. Sieben von acht, die er von seinem Vorgänger Andrei Bohdan geerbt hatte, sind bereits entlassen worden. Zwei neue sind hinzugekommen. Nur einer, der Jermak gegenüber absolut loyal ist, ist geblieben. Das bedeutet, dass der gesamte Präsidialapparat nun vollständig Jermak unterstellt ist. Was bedeutet das für die Politik?
„Das Einzige ist, dass der Präsident vielleicht weniger alternative Informationsquellen hat und die Möglichkeit, sich ein anderes Bild von den Vorgängen im Land zu machen. Dies ist in der Tat vielleicht der wichtigste Moment, dessen Folgen auch sehr schwer vorherzusagen sind, aber sie werden definitiv nicht positiv sein“, sagt Politikwissenschaftler Ihor Reiterowitsch und erklärt, dass der Weg zur Blase eine gewisse Gefahr darstellt.
Das Hauptproblem könnte diesbezüglich die strategische Entscheidungsfindung sein. Selbst wenn Selenskyj auf eigene Faust nach zusätzlichen Informationen suche, würde er sich auf die Analysen und Ratschläge der Experten aus dem Präsidialamt verlassen, das von Jermak monopolisiert wird.
„Wenn alles zentral vorgelegt wird, können die Optionen, die dem Staatschef angeboten werden, meiner Meinung nach so formuliert werden, dass es eine Alternative ohne Alternative geben wird. Das heißt, er kann dazu gedrängt werden, eine Option zu wählen“, betont Reiterowitsch. Klar ist: Der Einfluss Jermaks wächst.