Ukraine-Krieg: Scharfe Kritik an Joe Biden – „westliche Unterstützung hat nichts geändert“
Wolodymyr Selenskyj und Joe Biden auf dem Nato-Gipfel in Vilnius im Juli 2023
In den USA bekommt Präsident Joe Biden Gegenwind für seine Ukrainepolitik. In einer ausführlichen Analyse in der renommierten Fachzeitschrift Foreign Policy (FP) wird jetzt kritisiert, dass die USA keine Ziele in der Ukraine definieren. Biden wird sogar dazu aufgefordert, sich für Verhandlungen zwischen der Ukraine und Russland einzusetzen.
Seitdem die amerikanische Regierung die jüngste Militärhilfe für Kiew von rund 61 Milliarden Dollar bewilligt hat, arbeite Bidens Kabinett daran, die ukrainischen Streitkräfte über einen Zeitraum von zehn Jahren aufzubauen, heißt es in dem FP-Bericht. Der nationale Sicherheitsberater Jake Sullivan habe bereits angedeutet, dass die Ukraine im Jahr 2025 eine weitere Gegenoffensive starten werde.
Doch die außenpolitischen Analysten halten von solchen Plänen wenig. „Dieser Optimismus ist unangebracht“, schreiben die FP-Autoren. „Der neue Gesetzentwurf könnte durchaus das letzte große Paket sein, das die Vereinigten Staaten an die Ukraine schicken werden.“ Die derzeitige Hilfe werde vor allem dazu beitragen, die Ukraine in eine bessere Position für künftige Verhandlungen zu bringen. Sie werde den Mangel an Munition und Waffen ausgleichen und die Wahrscheinlichkeit verringern, dass die ukrainischen Streitkräfte in den kommenden Monaten weiter an Boden verlieren.
Jedoch stehe Kiew vor weitreichenden Herausforderungen: unzureichende Befestigungen, ein großer Mangel an Arbeitskräften und eine überraschend widerstandsfähige russische Armee. „Insgesamt ist die Ukraine nach wie vor die schwächere Partei; die westliche Unterstützung hat daran nichts geändert“, stellen die Autoren fest.
Die Biden-Regierung wolle sich nicht öffentlich auf eine Strategie festlegen. „Man hofft auf große ukrainische Fortschritte, vermeidet aber eine Eskalation und räumt privat oder anonym ein, dass die Rechnung nicht zu Gunsten Kiews aufgeht“, heißt es in der Analyse. Der derzeitige Ansatz der amerikanischen Regierung habe hauptsächlich das Ziel, die Differenzen zwischen den Anhängern der Ukraine zu überspielen. Das könnte aber harte Konsequenzen haben: „Das Risiko besteht darin, dass sich der Krieg in die Reihe der ewigen Kriege einreiht und auf eine von drei Arten endet: mit einer Niederlage, zu schlechteren Bedingungen, als sie früher hätten erreicht werden können, oder zu denselben Bedingungen mit einem höheren menschlichen und finanziellen Tribut“, schreiben die Autoren.
Der Westen und Russland hätten in den letzten zwei Jahren schrittweise eskaliert. Seit Kriegsbeginn im Februar 2022 hätten die Ukraine und ihre westlichen Unterstützer auf immer modernere Waffen gedrängt. Von Unterstützungsfahrzeugen über Panzer und Rohrartillerie bis hin zu ATACMS – der Zyklus sei immer derselbe gewesen: „Sobald das Weiße Haus ein System genehmigt hatte, wurde der Druck erhöht, das nächste zu liefern. Ein ähnlicher Trend spielte sich in Europa ab.“ Im mittlerweile dritten Jahr des Konflikts zeige sich jedoch, dass die technologische Erschöpfung diesem Trend eine Obergrenze setze. In vielen Gebieten gebe es schlichtweg kein „nächstes System“ mehr, das geschickt werden könne.
„Stattdessen sollte die Regierung öffentlich anerkennen, dass die ukrainischen und amerikanischen Interessen nicht identisch sind und dass Kiews erklärtes Ziel, jeden Zentimeter des ukrainischen Territoriums zu befreien, realistischerweise nicht zu erreichen ist“, schreiben die FP-Autoren.
Auf beiden Seiten des Atlantiks sollten sich die Regierungen darauf vorbereiten, dass die Hilfe der USA versiegen werde. Es sei deshalb an der Zeit, Verhandlungen zwischen der Ukraine und Russland zu fördern, heißt es in der Analyse. Wenn die ukrainischen Streitkräfte, gestärkt durch neue Hilfslieferungen, die Frontlinie stabilisieren könnten, dann könne sich der Sommer 2024 als günstiges Verhandlungsfenster erweisen. „Keine der beiden Seiten kann wirklich abschätzen, was sie erreichen könnte, bevor sie nicht mit der anderen Seite spricht, und die jüngsten Enthüllungen über frühere Verhandlungen zwischen Kiew und Moskau lassen vermuten, dass eine Einigung nicht unmöglich ist.“