Teure Energiewende: Wer zahlt die Milliardeninvestitionen in die Stromleitungen?

teure energiewende: wer zahlt die milliardeninvestitionen in die stromleitungen?

Freileitungen: günstiger – aber eigentlich nicht vorgesehen.

Nach Streichung eines Bundeszuschusses von 5,5 Milliarden Euro weiß die Ampelkoalition noch nicht, wie sie Wirtschaft und Verbraucher vor den stark steigenden Kosten für die Stromnetze bewahren kann. Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) verfolge das Ziel, „private Haushalte und Unternehmen vor dem Anstieg der Netzentgelte infolge des beschleunigten Stromnetzausbaus zu schützen“, teilte sein Haus auf Anfrage mit. Dazu prüfe man „mehrere Optionen“, darunter ein sogenanntes Amortisationskonto nach dem Beispiel des Wasserstoffkernnetzes.

Welchen Weg die Regierung aber wirklich gehen kann, ist unklar, zumal das Wasserstoffvorbild noch in den Kinderschuhen steckt, wie Habeck kürzlich zugab. „Jetzt müssen wir schauen, dass wir die europarechtlichen, die beihilferechtlichen, die fiskalpolitischen Fragen darüber klären, daran arbeiten wir gerade“, sagte Habeck auf einer Veranstaltung der Landesvertretung von Nordrhein-Westfalen in Berlin. Detailangaben zu diesen Prüfungen seien „gegenwärtig noch nicht möglich“, stellte ein Ministeriumssprecher später klar.

Das Amortisationskonto sieht vor, dass der Staat die Entgelte in erträglicher Höhe vorgibt: Zu Beginn werden die Tarife künstlich niedrig gehalten, diese Differenz auf dem Konto wird später aber mit Preisen oberhalb des Marktniveaus ausgeglichen. Verbleibt am Ende eine Unterdeckung, schießt die öffentliche Hand Geld nach. Habeck nannte das eine „Risikoabsicherung staatlicherseits“.

Der Ausbau der Stromleitungen und die Aufrechterhaltung der Netzstabilität führten zu einem „steilen Anstieg der Netzentgelte in den nächsten Jahren“, was die Vorteile sinkender Börsenstrompreise „auffressen“ könnte, warnte der Minister. „Die Netzentgelte werden steigen, unweigerlich“, sagte er: „Das muss gelöst werden noch in dieser Legislatur“, also bis Herbst kommenden Jahres.

Rückkehr der Freileitungen?

Zur Verringerung der Kosten brachte der Minister auch Freileitungen ins Gespräch. Diese Übertragungsart hatte die schwarz-rote Vorgängerregierung vor knapp zehn Jahren weitgehend abgeschafft. „In der Nichtberücksichtigung der Kosten hat der Bundesgesetzgeber 2015 beschlossen, die teuerstmögliche Variante zu nehmen, nämlich Erdkabel zu bauen“, monierte Habeck. Diese seien drei- bis viermal so aufwendig wie Freileitungen, „entsprechend der Anstieg der Netzentgelte“. Ende November hatte der Berliner Übertragungsnetzbetreiber 50Hertz ausgerechnet, dass die Wiedereinführung von Überlandleitungen 20 Milliarden Euro einsparen und die Netzentgelte um eine Milliarde Euro im Jahr senken könnte.

Anders als von Habeck angedeutet, plant die Bundesregierung aber keine Abkehr von den unterirdischen Leitungen. „Der Erdkabelvorrang ist gesetzlich geregelt, hier gibt es aktuell keinen neuen Sachstand“, stellte der Sprecher des Ministeriums klar. Teuer sind nicht nur der Ausbau und der Unterhalt der Netze, sondern auch deren Stabilität. Bietet der windreiche Norden mehr erneuerbare Energien an, als abtransportiert werden können, regeln die Netzbetreiber die Anlagen ab und zahlen Entschädigungen an die Ökostromerzeuger. Zugleich müssen in Süddeutschland konventionelle Kraftwerke hochgefahren werden. Dieses Engpassmanagement mit den sogenannten Redispatchkosten erhöht die Netzentgelte zusätzlich.

In der Energiekrise 2023 hatte die Bundesregierung die Entgelte mit einem Zuschuss von 4 Milliarden Euro auf dem Niveau des Vorjahrs stabilisiert. Für 2024 waren 5,5 Milliarden Euro an Hilfen geplant, um zu verhindern, dass sich die Übertragungsgebühr von damals rund 3,13 Cent je Kilowattstunde mehr als verdoppeln würde; angestrebt wurde nur ein leichter Anstieg auf 3,19 Cent. Das Geld wollte Habeck aus dem Wirtschaftsstabilisierungsfonds entnehmen, doch ist das seit einem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts gegen die Schattenhaushalte nicht mehr möglich.

Höhere Arbeitspreis für Netzentgelte

Daraufhin mussten die Übertragungsnetzbetreiber die Entgelte auf durchschnittlich 6,43 Cent stark anheben – also um mehr als 100 Prozent gegenüber der ursprünglichen Planung von 3,19 Cent. Die Steigerung für Haushaltskunden am Ende der Überwälzungen ist allerdings viel geringer, wie der Verband Kommunaler Unternehmen (VKU) ausgerechnet hat. Der Arbeitspreis für die Netzentgelte von Privatabnehmern lege durchschnittlich um 14 Prozent auf 8,57 Cent je Kilowattstunde zu. Für einen Musterhaushalt bedeute das eine Zusatzbelastung von 12 Prozent oder von 40 Euro auf dann 367 Euro im Jahr.

Die Redispatchkosten sind wegen gesunkener Strompreise 2023 zwar von 4,2 auf 3,1 Milliarden Euro gefallen, wie die Bundesnetzagentur mitteilt. Die Zahl der Engpässe hat aber noch zugenommen. Wie aus einem noch unveröffentlichten Papier des Wirtschaftsministeriums zum „Ausbau der Stromnetze für ein klimaneutrales Stromsystem“ hervorgeht, arbeiten die Übertragungsnetzbetreiber und die Bundesnetzagentur an einem Ausweg. Das Konzept sieht vor, Überschussstrom aus erneuerbaren Energien im Norden für Wärmepumpen oder für Elektrolyseure zur Wasserstofferzeugung zu nutzen.

Dann müsste weniger Entschädigung für nicht eingespeisten Strom bezahlt werden. Auch wäre es seltener nötig, Energie ins Ausland zu verschenken oder gar für die Lieferung noch eine Abnahmegebühr zu bezahlen („negative Energiepreise“). Unter der Überschrift „Nutzen statt Abregeln“ verpflichtet die Novelle des Energiewirtschaftsgesetzes die Übertragungsnetzbetreiber, von Oktober an solche „zusätzlichen zuschaltbaren Lasten“ zu ermöglichen. Doch die Zahl von Elektrolyseuren ist noch gering.

Bis 2030 soll Offshore-Leistung kräftig wachsen

Das Ministeriumspapier bietet eine aktuelle Übersicht zum Übertragungsnetzausbau. Demnach sind inzwischen 119 Vorhaben mit mehr als 13.600 Trassenkilometern gesetzlich festgeschrieben. Für 7400 Kilometer ist die Netzagentur zuständig, für den Rest sind es die Länder, vor allem Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Schleswig-Holstein und Bayern. Rund 2000 der 13.600 Kilometer sind im Betrieb, 1800 im Bau, 5200 in der Planfeststellung. 1500 Kilometer befinden sich in der Raumordnungs- oder Bundesfachplanung, der Rest befindet sich in einem früheren Stadium. Vorgesehen sind 19 Grenzkuppelstellen, sogenannte Interkonnektoren, für den Import und Export von Strom; davon sind 6 in Betrieb.

Es gibt momentan 19 Offshore-Netzanbindungen zu Windparks ins Meer auf einer Strecke von knapp 3000 Kilometern. Genauso viele – 14 in der Nord- und 5 in der Ostsee – auf 4800 Kilometern sind in Planung oder im Bau. Bis 2030 soll die Offshore-Leistung von derzeit 8,5 auf dann 30 Gigawatt wachsen. Der Großteil der dafür nötigen Anbindungssysteme „konnte bereits beauftragt werden“, schreibt Habecks Haus. Die Lieferketten für die Netzanschlüsse der Windparks stünden aber „vor erheblichen Herausforderungen“.

Der auf See erzeugte Wechselstrom wird auf Konverterplattformen in Gleichstrom umgewandelt und aufs Festland übertragen. Dort machen Konverter daraus wieder Wechselstrom; Konverter setzt man auch an Land für verlustarme Gleichstromübertragungen ein. Bis 2050 werden in europäischen Gewässern 135 Konverterplattformen benötigt, allein 33 in Deutschland. Sehr gefragt ist die neue Generation mit 2 Gigawatt Leistung. Dafür sind neue Fertigungskapazitäten in Werften entlang der Küsten nötig. Um Finanzierungsengpässe zu mildern, schlägt die Regierung Ausfallbürgschaften unter Beteiligung der Länder vor. Zur Koordinierung gibt es eine „Taskforce Konverterplattformen“ unter Leitung des Maritimen Koordinators Dieter Janecek (Grüne).

Umfang und Tiefe der Prüfungen sollen sinken

Um für den Netzausbau schnellere Planungen und Genehmigungen zu erreichen, will das Wirtschaftsministerium den Umfang und die Tiefe der Prüfungen verringern. Der 2023 mit den Ländern geschlossene „Beschleunigungspakt“ zeige erste Erfolge. So werde das Vorhaben Ultranet schon 2026 in Betrieb gehen, ein Jahr früher als gedacht. Diesen Zeitplan bestätigte auch der Vorstandsvorsitzende Hans-Jürgen Brick am Donnerstag auf der Bilanzpressekonferenz des Netzbetreibers Amprion. Amprion und Transnet BW werden ab dem übernächsten Jahr über eine 340 Kilometer lange Leitung zwischen Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg erstmals Gleich- und Wechselstrom mit einer Spannung von 380 Kilovolt auf denselben Masten übertragen.

Die Übertragungsnetze in der Höchstspannungsebene von mindestens 220 Kilovolt werden oft als Stromautobahnen bezeichnet. Die Verteilnetze mit 110 Kilovolt und weniger bilden die Land- und Kreisstraßen. Auf dieser Ebene will die Plattform Klimaneutrales Stromsystem die Nachfrage dadurch entzerren, dass je nach Zeitpunkt unterschiedliche Preissignale ausgesandt werden, etwa flexible Netzentgelte. Auch haben die Verteilnetzbetreiber seit Jahresbeginn die Möglichkeit, den Strombezug von Verbrauchern mit entsprechenden Verträgen dem Angebot gezielter anzupassen. Klar ist aber, dass auch die Verteilnetze stark zu erweitern sind. Dem Ministeriumspapier zufolge ist die Zahl der Erzeugungsanlagen und Speicher für erneuerbare Energien 2023 um das Anderthalbfache gestiegen, von 600.000 auf 1,5 Millionen Einheiten.

Hinzu komme wachsender Strombedarf für Elektroautos und Wärmepumpen. „Ohne bedarfsgerechten Ausbau der Verteilnetze und die zügige und effiziente Herstellung der neuen Netzanschlüsse wird das nicht zu bewältigen sein“, stellt Habecks Ressort klar. Noch bis Ende April hätten die 80 größten Verteilnetzbetreiber Zeit, auf Basis der vorliegenden Regionalszenarien ihre Netzausbaupläne zu machen. 2035 solle die deutsche Stromversorgung „nahezu klimaneutral werden“, heißt es in dem Dokument. Dafür sei der Ausbau der Übertragungs- und Verteilnetze unverzichtbar. Laut Netzentwicklungsplan sind bis 2037 Investitionen von 272 Milliarden Euro nötig. Bis zur geplanten vollständigen deutschen Treibhausgasneutralität im Jahr 2045 fallen mehr als 300 Milliarden Euro an. Irgendwo muss dieses viele Geld herkommen – vermutlich aus steigenden Nutzungsentgelten.

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