Trump, AfD und Co.: "Rechtspopulisten werfen mit Flaschen, bis die anderen frustriert abziehen"
Der Politologe Marcel Lewandowsky glaubt nicht daran, dass die AfD gerade entzaubert wird. Bei Trump sehe man, dass Skandale die Anhänger eher noch zusammenschweißen. “Man kann fast schon von Tribalismus sprechen”, sagt er im Interview mit ntv.de.
Trump, AfD und Co.: “Rechtspopulisten werfen mit Flaschen, bis die anderen frustriert abziehen”
Marcel Lewandowsky: Dass die AfD entzaubert würde, diese Prophezeiung gibt es, seit die AfD existiert. Erfüllt hat sie sich nie. Ich glaube nicht, dass die AfD wegen dieser Konflikte kollabieren wird: Erstens hat sie eine im Vergleich zu anderen Parteien sehr loyale Wählerschaft. Und zweitens empfinden viele Wählerinnen und Wähler der AfD eine wirkliche Verachtung für den politischen Betrieb und das System der Bundesrepublik – und eine gewisse Bewunderung für Putin. Russische Positionen in Deutschland zu verbreiten, ist in der AfD kein so großer Skandal wie außerhalb. Und es gibt noch einen dritten Punkt. Vorwürfe wie die gegen Maximilian Krah lösen bei vielen Wählerinnen und Wählern der AfD einen Verweigerungsreflex aus.
Da gibt es diese Vorstellung: Das ist gelogen, “die da oben” wollen den Erfolg der AfD verhindern. Insofern bin ich sehr skeptisch, was die Frage angeht, ob die AfD gerade entzaubert wird.
Man sieht ja gerade, dass Trumps Skandale seine Anhänger zusammenschweißen. Es gibt diese sehr starke Loyalität. Man kann fast schon von Tribalismus sprechen: eine Art Stammesdenken in der Wählerschaft solcher Parteien – die Vorstellung: Wir stehen zusammen gegen alle anderen, gegen die da draußen, gegen die da oben, die die schweigende Mehrheit unterdrücken wollen. Diese Verteidigungshaltung, gepaart mit einem völlig anderen Medienkonsum, führt dazu, dass solche Skandale zwar durchaus einige abschrecken, aber zum harten Kern nicht vordringen.
Der Schlüsselprozess läuft zu Trumps Gunsten
Sie haben in Ihrem Buch eine schöne Definition für Populismus: “Populistische Parteien sprechen diejenigen an, die sich für die wahren Demokraten halten (aber oft keine sind), die glauben, nicht in einer Demokratie zu leben (obwohl sie es tun), und die “echte” Demokratie wollen (die in Wahrheit keine wäre).” Das klingt, als sei Populismus eine ziemlich verlogene Grundhaltung.
Nicht unbedingt. Ich habe als Maßstab die liberale Demokratie genommen, in der wir leben. Diese liberale Demokratie ist gekennzeichnet durch Verfassungsstaatlichkeit, Pluralismus und Gewaltenteilung. Das widerspricht ein Stück weit der Vorstellung von Demokratie derjenigen, die populistische Parteien wählen, und der Idee von Demokratie, die diese Parteien propagieren.
Diese Parteien und ein Großteil ihrer Wähler sagen von sich: Wir sind die echten Demokraten. Und nur, wenn der Wille des “wahren Volkes” umgesetzt wird, leben wir auch in einer Demokratie. Und sie glauben, dass uns die Demokratie von den Eliten genommen worden sei. In der Coronakrise sprach der AfD-Politiker Stephan Brandner von Angela Merkels “quasi-diktatorischem Seuchenkabinett”. Dahinter steht eine Vorstellung von Demokratie, in der das “wahre Volk” sich gegen den Widerstand totalitärer Eliten erheben muss, um seinen Willen umzusetzen.
Die zu ziehen ist nicht ganz einfach, schon allein, weil es verschiedene Definitionen von Faschismus gibt. Man kann sagen: Faschismus ist eine Ideologie, die eine Führungsperson in den Mittelpunkt stellt, die alles entscheiden kann, und die die Gesellschaft mit autoritären Methoden vollständig durchdringen will. Unter den Anhängern rechtspopulistischer Parteien sind sicherlich Menschen, die so etwas wollen. Aber darunter sind auch viele, die sich selbst für Demokraten halten und die reale Demokratie für eine Art Diktatur.
Natürlich ist eine Partei wie die AfD eine Plattform für faschistische Gruppen. Prominente Mitglieder dürfen Faschisten genannt werden, Björn Höcke zum Beispiel, und aus meiner Sicht zu Recht. Aber wenn wir die Einstellungen der Wählerinnen und Wähler genauer betrachten, dann geht es vielen um etwas anderes als einen starken Führer. Sie sind unzufrieden damit, wie die Demokratie funktioniert, sie wollen eine Demokratie, die die Interessen und Moral der “schweigenden Mehrheit” wieder in den Vordergrund stellt, der sie sich zugehörig fühlen. Es geht auch um diese Vorstellung, dass es keine Meinungsfreiheit mehr gebe, dass man nichts mehr sagen dürfe. Das kann man absurd finden. Aber faschistisch ist es nicht zwingend.
Natürlich sind Rechtspopulismus und Faschismus in der Wirklichkeit nicht so klar getrennt wie in der Theorie. Aber ich glaube, wir brauchen die analytische Trennung, wenn wir verstehen wollen, was das für Wählerinnen und Wähler sind, die diese Parteien unterstützen. Zu Donald Trump muss man allerdings auch sagen, dass er sich immer stärker zu einem Aushängeschild von autoritären Politikvorstellungen entwickelt hat. Trump ist nicht mehr nur Trump. Anders als 2016 steht hinter ihm inzwischen ein breites Netzwerk von Thinktanks und Unterstützern, die die amerikanische Demokratie zu einem autoritären System umgestalten wollen.
Die Frage lautet: Wie nationalsozialistisch ist Höcke?
Ist das der Grund, warum Sie Rechtspopulisten für gefährlicher halten als Linkspopulisten?
Zunächst einmal vertreten alle Populisten die Idee, sie seien die einzigen Fürsprecher des “wahren Volkes”. Linke und rechte Populisten verstehen allerdings etwas anderes unter dem “wahren Volk”. Und wenn man sich ansieht, wie Linkspopulisten in Europa regiert haben – ein bisschen in Spanien, vor allem in Griechenland -, dann sehen wir, dass die liberale Demokratie dort nicht gelitten hat wie in Ungarn oder Polen, wo rechte Populisten an der Macht sind beziehungsweise waren. Die Vorstellung, dass der Staat den “wahren Volkswillen” umzusetzen hat, war bei der griechischen Syriza-Partei genauso stark wie bei Fidesz in Ungarn. Aber die Einebnung der Gewaltenteilung, die Kontrolle über Medien und Verfassungsgericht – das betrieben linke Populisten nicht in der gleichen systematischen Weise wie rechte. Wobei man natürlich sagen muss, dass die Linkspopulisten nicht so lange regiert haben.
Populisten sind keine Rattenfänger, die den Leuten Einstellungen einpflanzen, die diese vorher nicht hatten. Ein Wähler, der beispielsweise das Asylrecht ablehnt, wählt nicht zwangsläufig eine rechtspopulistische Partei. Dieses Thema muss dieser Person erst wichtig werden. Da kommt der Populismus ins Spiel. Der Populismus aktiviert vorhandene Einstellungen, er kreiert sie nicht, aber er sorgt dafür, dass sie in den politischen Diskurs einsickern, relevanter und normalisiert werden. Wenn die anderen Parteien auf diese Themen aufspringen, machen sie sie noch zusätzlich wichtig. Am Ende führt das dazu, dass Rechtspopulisten aus Sicht mancher Wähler die Partei sind, die als einzige eine Lösung für die Probleme anbieten, die sie selbst beschreiben.
Das hat weniger kurzfristige als langfristige Gründe. In den USA und in Europa ist in den letzten Jahren Krise auf Krise gefolgt. Es gibt bei vielen Menschen ein Gefühl, dass die eigene Zukunft und die Zukunft der Kinder schlechter sein wird als die Vergangenheit. Es gibt eine Angst davor, den eigenen sozialen Status zu verlieren. Diese Krisen, diese Ängste, das sind Faktoren, die Einstellungen bedeutsam werden lassen, die von Rechtspopulisten abgerufen werden.
Das sind die Krisen, die ich meinte. Solche Transformationserfahrungen sind für viele Menschen in Wahrheit Krisenerfahrungen: Verlust des Arbeitsplatzes, dauerhafte Arbeitslosigkeit, vielleicht Armut, zumindest zeitweise. Solche Erfahrungen gibt es – bei allen Unterschieden – in Deutschland, im Rust Belt in den USA oder in den Ländern Ost- und Mitteleuropas. In Ostdeutschland und generell in Mittelosteuropa gehört zu dieser Krisenerfahrung, dass Demokratie und freie Marktwirtschaft gemeinsam kamen, der Wohlstand aber auf sich warten ließ. Daher gibt es dort nicht nur eine große Unzufriedenheit mit der Marktwirtschaft, sondern auch mit der Demokratie. Solche langfristigen gesellschaftlichen Entwicklungen tragen dazu bei, dass Populisten Zulauf haben, weil sie Verlustängste und Entwertungserfahrungen aufgreifen und vermeintlich Schuldige benennen.
“Es gibt einen Zusammenhang zwischen Neoliberalismus und Rechtspopulismus”
Es sind also nicht die Abgehängten, die Populisten wählen?
Es gibt eine schöne Studie, die zeigt, dass unter Trumps Wählern viele weiße Arbeiter sind – aber es sind die weißen Arbeiter, die zu Rassismus und Sexismus neigen. Wir können die Wahl solcher Parteien nicht verstehen, ohne auf die Einstellungen zu gucken. Es gibt also keinen Automatismus zwischen dem sozialen Status oder der persönlichen Unzufriedenheit und einer Wahlentscheidung für Trump oder für die AfD. Ich pendle viel und fahre häufig mit der Bahn. Sie können mir glauben, ich bin höchst unzufrieden mit der Bahn. Aber ich würde nicht auf die Idee kommen, die AfD zu wählen.
Nein, diese Erfahrung kann man nicht zurückdrehen. Deshalb warne ich auch davor, das Ganze durch Symptompolitik lösen zu wollen. Etwa dadurch, dass man versucht, den Wählerinnen und Wählern der AfD in der Migrationspolitik auf halber Strecke entgegenzugehen. Das machen Parteien, wenn sie beispielsweise sagen, dass man “endlich im großen Stil abschieben” müsse – so war der Kanzler ja im Oktober auf dem “Spiegel”-Cover zitiert worden. Studien zeigen, dass so etwas nicht zielführend ist. Entweder es bleibt folgenlos oder die Populisten werden noch gestärkt. Der Fehler liegt darin, zu glauben, man könne die Wähler von heute auf morgen zurückgewinnen.
Nein, diese Erfahrung kann man nicht zurückdrehen. Deshalb warne ich auch davor, das Ganze durch Symptompolitik lösen zu wollen. Etwa dadurch, dass man versucht, den Wählerinnen und Wählern der AfD in der Migrationspolitik auf halber Strecke entgegenzugehen. Das machen Parteien, wenn sie beispielsweise sagen, dass man “endlich im großen Stil abschieben” müsse – so war der Kanzler ja im Oktober auf dem “Spiegel”-Cover zitiert worden. Studien zeigen, dass so etwas nicht zielführend ist. Entweder es bleibt folgenlos oder die Populisten werden noch gestärkt. Der Fehler liegt darin, zu glauben, man könne die Wähler von heute auf morgen zurückgewinnen.
Es kann Ereignisse geben, die Wähler dazu bringen, von der AfD wegzugehen. Im vergangenen Dezember stand die AfD in den Umfragen ja noch bei 23 Prozent, jetzt sind es 16 Prozent. Vielleicht sorgen die aktuellen Skandale dafür, dass einige nicht zur Wahl gehen oder eine andere Partei wählen. Aber bei Gegenstrategien zum Populismus geht es um andere Dinge.
SPD schiebt sich wieder vor die AfD
Was wäre eine Gegenstrategie zum Populismus?
Das wäre aus meiner Sicht eine Politik, die langfristig Vertrauen stärkt – Vertrauen in die Infrastruktur, in Staat und Verwaltung, in soziale Sicherheit. Übrigens auch in die Demokratie selbst, also darin, dass ich selbst etwas bewegen kann. Dazu braucht es mehr politische Bildung, und zwar von der Wiege bis zur Bahre. Und auch mehr Möglichkeiten zur Beteiligung, etwa durch Bürgerräte, die bei den Beteiligten das Gefühl stärken, etwas bewegen zu können.
Nein. Ein nachhaltiges Gefühl der Sicherheit lässt sich nicht erzeugen, indem die eine oder andere Sozialleistung erhöht wird. Ich glaube, wir müssen langfristig über eine Politik nachdenken, die in der Lage ist, die Transformation so zu gestalten, dass die Demokratie nicht ins Wanken gerät, trotz der Umbrüche, in denen wir uns befinden. Das ist eine Aufgabe, die sich nicht von heute auf morgen lösen lässt.
Ich bin da skeptisch. Sozialdemokratische und konservative Parteien riskieren damit, mehr Wählerinnen und Wähler zu verprellen, als sie neue hinzugewinnen. Gerade wenn konservative Parteien rechtspopulistische Positionen aufnehmen, wenn beispielsweise Friedrich Merz von den berühmten “kleinen Paschas” spricht, dann trägt das nur dazu bei, solche Positionen im Mainstream zu verankern. Das stärkt die AfD. Man darf auch nicht vergessen, dass diese Parteien in der Migrationspolitik Maximalforderungen formulieren, die teilweise von rassistischen Motiven getrieben sind und der Bundesrepublik objektiv schaden würden – denken Sie nur an den Fachkräftemangel.
Rechtspopulisten stehen außerhalb des Spielfelds. Sie halten sich nicht an die Regeln und werfen mit Flaschen auf den Platz. Das tun sie so lange, bis die anderen frustriert abziehen und sie das Spielfeld für sich allein haben.
Aus meiner Sicht nicht. Wenn die AfD an der Macht ist, und sei es nur in einer Koalition, dann wird sie versuchen, den Staat schrittweise umzubauen, etwa durch die Besetzung von Landesverfassungsgerichten. Und es wäre ein immenses Risiko für die CDU, denn es gibt in ihr ja auch starke Gegner eines solchen Kurses.
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