Verhaltensforscher: Mit dieser Strategie wird jeder schlank

Das „Viech“ im Menschen ist schuld, dass Diäten nichts bringen, sagt Stefan Winter. Im Interview erklärt er, wie es zu bezwingen ist und wieso die Uhr fürs Abnehmen wichtiger ist als die Waage.

verhaltensforscher: mit dieser strategie wird jeder schlank

Gemüse ist das Top-Lebensmittel für Autor Stefan Winter. © Privat/N. Winter

Zuerst die gute Nachricht: Wer abnehmen will, muss nicht auf seine Lieblingslebensmittel verzichten, keine Kalorien zählen und nicht auf die Waage steigen. Das sagt der Ökonom und Verhaltensforscher Professor Stefan Winter in seinem neuen Buch „Die Schlank-Strategie“. Doch was so verlockend klingt, hat auch eine Kehrseite – eine schlechte Nachricht: Menschen sind seit Urzeiten darauf programmiert, so viel wie möglich zu essen und das Gewicht eher zu steigern als zu senken. „Damit haben die Menschen einst auch Hungerzeiten überlebt. In der heutigen Zeit des Überflusses ist das aber zum Problem geworden“, sagt Stefan Winter. Diesen Fresstrieb nennt er in seinem Buch „das Viech“. Wie es funktioniert, warum es auch mal verwöhnt werden muss und wie man es austricksen kann, hat der Autor im Gespräch mit saechsische.de erklärt.

Auch interessant:

Herr Professor Winter, warum macht uns denn dieses furchterregende Viech unsere Diäterfolge kaputt?

Der heutige Mensch ist ja genetisch noch annähernd so aufgebaut wie unsere Steinzeitvorfahren. Deshalb habe ich mir diese Bezeichnung ausgedacht. Das Viech ist der Gegenspieler zum verantwortungsbewussten Denker, der zusammen mit dem Viech in unserem Hirn wohnt. In der Steinzeit hätte uns jede absichtliche Diät töten können. Der Urmensch musste deshalb alles essen, was er zu Gesicht bekam und was die Energie liefern konnte, die zum Überleben notwendig war. Deshalb haben wir keine Gier nach Gemüse, wohl aber nach hochkalorischen Lebensmitteln. Es ist demnach auch keine Schwäche oder schlechte Eigenschaft, die Schokolade der Karotte vorzuziehen, sondern es ist Prägung – es ist das Viech.

Das beruhigt zwar, hilft uns heute aber nicht. Heute sterben wir eher, weil wir zu viel essen. Da helfen doch nur Diäten, oder?

Nein. Denn Diäten taugen nicht. Erstens, weil sie auf verantwortungsvollem Denken beruhen. Verantwortungsvolles Denken ist aber anstrengend und ein Kurzstreckenlauf – das Viech lässt sich von ihm nicht dauerhaft unterdrücken, es hat den längeren Atem – evolutionsbedingt. Zweitens können die zeitlich befristeten Diäten unseren Stoffwechsel für den Rest des Lebens sabotieren, weil damit der Grundumsatz sinkt. Damit ist die Energiemenge gemeint, die im Ruhezustand zur Aufrechterhaltung der Organfunktionen nötig ist. Unser Viech passt sich an und braucht weniger Energie. Auch das ist evolutionsbedingt. Wollen wir dann weiter abnehmen, müssen wir die Energiemenge also immer weiter reduzieren. Wenn das nicht in einer Essstörung endet, dann im Jo-Jo-Effekt. Schließlich macht das regelmäßige Scheitern an Diäten auch psychisch krank, weil es als persönliches Versagen erlebt wird.

verhaltensforscher: mit dieser strategie wird jeder schlank

Prof. Stefan Winter erklärt in seinem Buch „Die Schlank-Strategie“, wie Erkenntnisse aus der Verhaltensmedizin beim Abnehmen helfen, Verlag Heyne, 16 Euro. © Verlag

Also keine Diät, wie kann man dann abnehmen?

Indem wir so essen, wie wir von Urzeiten her programmiert sind. In der Steinzeit haben die Menschen nicht ständig gegessen, sondern vielleicht ein- oder zweimal am Tag, manchmal auch tageweise gar nichts. So ticken wir, das schadet uns nicht. Und eine weitere Erkenntnis der Wissenschaft können wir uns zunutze machen: Essen am Abend zählt doppelt, denn es macht eher dick als am Morgen und mittags. Zudem müssen wir lernen, dem ständigen Überfluss aus dem Weg zu gehen. Ein Stadtbummel durch eine zuckerverseuchte Innenstadt übersteht niemand unbeschadet. All-you-can-eat-Buffets und All-inclusive-Urlaube trichtern uns ebenso riesige, ungewollte Kalorienmengen ein.

Aber Kalorie ist doch Kalorie. Da ist es doch egal, wann ich sie zu mir nehme?

Eben nicht. Abends kann der Körper die Kalorien nicht mehr verbrauchen, sondern nur noch als Hüftgold einlagern. Essen am Abend weckt zudem die Leber wieder auf und stört damit unseren Schlaf, der fürs Abnehmen und unsere Gesundheit ganz wichtig ist. Deshalb empfehle ich, gut und möglichst gesund zu frühstücken, mittags noch etwas zu essen und dann für den Rest des Tages nichts mehr. Nachts laufen im Körper wichtige Reparaturarbeiten ab, Zellmüll wird entsorgt und das Sättigungshormon Leptin produziert. Das funktioniert alles viel besser, wenn nachts nicht noch verdaut werden muss.

Das klingt nach Intervallfasten. Etwas Neues ist das aber nicht. Und am Intervallfasten scheitern genauso viele Abnehmwillige wie an anderen Diäten. Was machen sie falsch?

Das ist Intervallfasten, es klingt nicht nur so. Gründe zum Scheitern sind oft die gleichen wie bei anderen Diäten. Die Menschen wollen zu viel auf einmal, das macht unglücklich und führt zum Abbruch des Vorhabens. Besser ist es, in ganz kleinen Schritten vorzugehen und dem Viech ab und zu etwas zu gönnen, damit es Ruhe gibt und wir zufriedener sind.

Was empfehlen Sie?

Zunächst verschaffen wir uns erst mal einen Überblick über die Stellschrauben des Essverhaltens. Dann wählen wir eine – ich betone eine – aus und verändern sie – schrittweise. Zum Beispiel Ihre Entscheidungsarchitektur, wie wir Ökonomen das nennen. Gemeint sind damit die Bausteine, die unser Verhalten beeinflussen. So werden unser Leben und auch unser Essverhalten ganz wesentlich von Gewohnheiten gesteuert. Das gilt für die Essenszeiten genauso wie für die Lebensmittel, die uns schmecken. Gewohnheiten, die für unser Gewicht und unsere Gesundheit ungünstig sind, versuchen wir zu verlernen, indem wir sie durch andere, bessere ersetzen. Neue konstruktive Gewohnheiten sind die besten Verbündeten gegen nachlassende Willenskraft. Zum Beispiel mit der Strategie „Aus dem Auge, aus dem Sinn“. Will heißen, Versuchungen zu vermeiden, indem nichts Essbares mehr im Blickfeld herumsteht. Sonst schreit das Viech sofort „Hunger!“. Ihm Einhalt zu gebieten macht unglücklich, weil es als Verlust erlebt wird. Wer sich immer ärgert, weil er es nicht schafft, dem Duft der köstlichen Vanillekrapfen beim Bäcker zu widerstehen, kann seinen Weg zur Arbeit so verändern, dass er nicht mehr dort vorbeikommt. Einmal in der Woche gehen Sie dann bewusst den Weg von früher und gönnen sich ein paar Krapfen. Das macht unser Viech und damit uns glücklich. Damit sind die Krapfen jede einzelne Kalorie wert und schaden uns nicht. Aber eben nur ab und zu, um unser Viech ruhigzustellen.

Und wie gelingt es, mehr gesündere Lebensmittel zu essen?

Indem wir es als Gewinn, nicht als Verlust sehen. Ein Gewinn an Gesundheit, Wohlbefinden, Energie und Glück. So lohnt es, zu probieren, zu welchen Gerichten Vollkornnudeln besser schmecken als normale. Oder wo Vollkornvarianten von gekochtem Hafer, Weizen oder Roggen weißen Reis ohne Geschmacksverlust ersetzen können. Suchen Sie nach Zubereitungsarten, die Gemüse knusprig und appetitlich machen, dass schon der Anblick Party ist.

verhaltensforscher: mit dieser strategie wird jeder schlank

Ein Frühstück für den ganzen Tag. Getrocknete Tomaten, Mais, Pilze, Paprika, Tomaten, Möhre und Rosenkohl – gegrillt und mit einem Dressing aus Senf, Balsamico und Leinöl – halten lange satt und sind sehr gesund. © N. Winter

Die Veränderung oder das Weglassen von gewohnten Mahlzeiten stelle ich mir aber viel schwerer vor.

Generell ist Gewohntes zu verlernen schwerer, als Neues zu erlernen. Fangen Sie wiederum klein an – mit einem Heldentag im Monat. An dem essen Sie nur zwischen 8 und 16 Uhr. Später wird vielleicht ein Heldentag pro Woche daraus. Oder ein Superheldentag, wo nur in einem Zeitfenster von sechs Stunden gegessen wird. Wenn Blutfettwerte, Blutdruck und Wohlbefinden besser werden, Sie besser schlafen und leistungsfähiger sind, ist das Weglassen der Mahlzeit kein Verlust mehr, sondern ein Gewinn. Dazu brauchen Sie keine Waage, nur eine Uhr.

Und wenn es mal nicht gelingt?

Freuen Sie sich, weil Sie ein Mensch und keine Maschine sind. Es ist ganz wichtig, sich auch Abwege in alte Gewohnheiten zu gönnen und nachzuspüren, ob es wirklich das Highlight war, was Sie sich vorgestellt haben. Wenn ja, wiederholen Sie das ruhig ab und zu, das schadet nicht.

Praktizieren Sie Ihre Ratschläge selbst?

Die Qualität der Erkenntnisse, die ich veröffentliche, wird nicht geringer, wenn ich sie nicht selbst umsetze. Deshalb spreche ich in meinem Buch auch nicht von mir. Es ist kein Selbstversuch, sondern Wissenschaft. Aber, um Ihre Frage zu beantworten, ja, ich praktiziere das auch. Ich bin aber erst später dazugekommen, als ich selbst angefangen hatte, mich in das Thema einzulesen. Ich war mit 31 Doktor, mit 36 Professor – klingt nach einem 1A-Leben. Doch es gab darin mehr Dunkelheit, als das Ergebnis vermuten lässt. Ein Ausdruck davon war mein BMI von 30 – damit hatte ich die Untergrenze zur Adipositas erreicht. Was mich letztlich dazu veranlasst hat, gesunde Ernährung auch für mich umzusetzen, weiß ich nicht mehr. Doch ich habe es gemacht. Heute liegt mein BMI im Normalbereich. Als ich in einem Winter mal das angepriesene Idealgewicht hatte, habe ich so übel gefroren, dass ich mit einer „Marzipankartoffelkur“ gegensteuern musste.

verhaltensforscher: mit dieser strategie wird jeder schlank

Vorbereitung ist alles. Gutes Essen darf nicht länger dauern als Fast Food, sonst siegt die Bequemlichkeit. Deshalb einmal in der Woche schnippeln, fünf Tage lang genießen. © N. Winter

Und wie leben Sie?

Wochentags frühstücke ich gut und gesund. Da gibt es Vollkornbrot mit viel Grillgemüse – unbedingt warm – mit einer Vinaigrette aus Leinöl, Senf und Balsamico. Ich mache immer eine Ration für eine Woche, damit es morgens schnell geht. Auch das ist ein Geheimnis gesunder Ernährung: Das gute Essen darf nicht mehr Aufwand machen als Fast Food. Sonst siegt die Bequemlichkeit. Mein morgendliches Gemüsefutter sendet stundenlang positive Signale in Körper und Gehirn. Das ist inzwischen zur Gewohnheit geworden, darüber muss ich nicht mehr nachdenken. Ich bin aber kein Heiliger, manchmal gibt es auch bei mir ein süßes Teil vom Bäcker. Mein Motto ist: Ein Leben ohne Zimtschnecke ist möglich, aber sinnlos! Mittags oder am frühen Nachmittag esse ich auch noch etwas, dann bis zum nächsten Morgen nichts mehr. Am Wochenende gibt es keine Regeln. Da bin ich Opportunist und esse, wann immer ich etwas sehe, was nach Genuss aussieht. Natürlich wäre es ernährungsphysiologisch besser, auch am Wochenende abends nicht zu essen. Doch abends ist Geselligkeit, darauf will ich nicht verzichten. Das würde ich auch nicht durchhalten, weil es mich auf Dauer unglücklich machen würde. Kneift die Hose sehr, habe ich meine Allzweckwaffe – ein Fastentag. Auch das ist Gewohnheit geworden. Und Gewohnheiten erleichtern uns das Leben, weil wir nicht mehr darüber nachdenken müssen.

Auch spannend:

News Related

OTHER NEWS

Ukraine-Update am Morgen - Verhandlungen mit Moskau wären „Kapitulationsmonolog" für Kiew

US-Präsident Joe Biden empfängt Wolodymyr Selenskyj im Weißen Haus. Evan Vucci/AP/dpa Die US-Regierung hält Verhandlungen zwischen der Ukraine und Russland zum jetzigen Zeitpunkt für „sinnlos”. Bei einem Unwetter in Odessa ... Read more »

Deutschland im Wettbewerb: Subventionen schaden dem Standort

Bundeskanzler Olaf Scholz am 15. November 2023 im Bundestag Als Amerikas Präsident Donald Trump im Jahr 2017 mit Handelsschranken und Subventionen den Wirtschaftskrieg gegen China begann, schrien die Europäer auf ... Read more »

«Godfather of British Blues»: John Mayall wird 90

John Mayall hat Musikgeschichte geschrieben. Man nennt ihn den «Godfather of British Blues». Seit den 1960er Jahren hat John Mayall den Blues geprägt wie nur wenige andere britische Musiker. In ... Read more »

Bund und Bahn: Einigung auf günstigeres Deutschlandticket für Studenten

Mit dem vergünstigten Deutschlandticket will Bundesverkehrsminister Wissing eine junge Kundengruppe dauerhaft an den ÖPNV binden. Bei der Fahrkarte für den Nah- und Regionalverkehr vereinbaren Bund und Länder eine Lösung für ... Read more »

Die Ukraine soll der Nato beitreten - nach dem Krieg

Die Ukraine soll nach dem Krieg Nato-Mitglied werden. Die Ukraine wird – Reformen vorausgesetzt – nach dem Krieg Mitglied der Nato werden. Das hat der Generalsekretär des Militärbündnisses, Jens Stoltenberg, ... Read more »

Präsidentin droht Anklage wegen Tod von Demonstranten

Lima. In Peru wurde eine staatsrechtlichen Beschwerde gegen Präsidentin Dina Boluarte eingeleitet. Sie wird für den Tod von mehreren regierungskritischen Demonstranten verantwortlich gemacht. Was der Politikerin jetzt droht. Perus Präsidentin ... Read more »

Novartis will nach Sandoz-Abspaltung stärker wachsen

ARCHIV: Das Logo des Schweizer Arzneimittelherstellers Novartis im Werk des Unternehmens in der Nordschweizer Stadt Stein, Schweiz, 23. Oktober 2017. REUTERS/Arnd Wiegmann Zürich (Reuters) – Der Schweizer Pharmakonzern Novartis will ... Read more »
Top List in the World