Selenski hört auf schlechte Berater

Der Erlass Nr. 59/2024 vom 8. Februar ist knapp: «Saluschni Waleri Fedorowitsch vom Posten des Oberkommandierenden der Streitkräfte der Ukraine befreien. Der Präsident der Ukraine, W. Selenski.» Diese Knappheit riecht schlecht. Sobald in Kiew der Name Selenski fällt, verziehen die Leute ihre Gesichter. «Er ist ein Schwächling», sagt Erfan, ein krimtatarischer Wirt. «Er lässt sich manipulieren.»

Eigentlich wollte Selenski seinen Armeechef schon Ende Januar entlassen. Damals vermeldeten Telegram-Kanäle, die dem Präsidialamt nahestehen, er habe Saluschni gebeten, seinen Rücktritt einzureichen. Kurz darauf dementierte der Präsidentenberater Michailo Podoljak. Das Gerücht kam auf, der «eiserne General», wie die Truppe Saluschni nennt, habe es abgelehnt, selbst zu kündigen.

Ausserdem sollen die Verbündeten in London und Washington hinter den Kulissen zu verstehen gegeben haben, Saluschnis Entlassung sei eine schlechte Idee. Kirilo Budanow, Chef des Militärgeheimdienstes GRU, den Selenskis Team gern als Nachfolger gesehen hätte, lehnte den Job zunächst angeblich ab. Ebenso ein weiterer Favorit, Generaloberst Olexander Sirski, Kommandant der Landstreitkräfte.

Am Donnerstag bestellte der Präsident ihn wieder ein. Danach erklärte er per Video, man habe die schwierige Lage an der Front besprochen, und sagte: «Ich danke General Saluschni für zwei Jahre Verteidigung.» Das Wort Entlassung vermied er weiter. Dass Saluschni abgesetzt war, wurde erst klar, als der Staatschef doch noch Olexander Sirksi als neuen Oberkommandierenden nannte.

Gewaltige Fussstapfen

Viele Ukrainer glauben, Selenski habe seinen schwersten Fehler begangen, quälend schamhaft und langsam. Saluschni gilt als einer der besten Generäle der Welt und ist in der Ukraine das Symbol für den listigen und erfolgreichen Widerstand gegen das grosse Russland.

selenski hört auf schlechte berater

Waleri Saluschni, der entlassene Oberkommandierende der ukrainischen Streitkräfte, gilt als einer der besten Generäle der Welt. (Kiew, 24. Februar 2023) ; Pool / Imago

Die Fussstapfen des populären Saluschni gelten als gewaltig. Bei einer Umfrage des Kiewer Meinungsforschungsinstituts KIIS im Dezember waren 70 Prozent der Befragten gegen seine Entlassung und nur 2 Prozent dafür. In einem seiner programmatischen Artikel forderte er den Masseneinsatz neuer Hightech-Drohnen und kritisierte zudem «Unzulänglichkeiten der Gesetzgebung» bei der Munitionsherstellung.

Der Rausschmiss erfolgt in einem Moment, in dem das Gleichgewicht an der Front zu kippen beginnt. Die Munition der Ukrainer geht zu Ende. Laut dem «Wall Street Journal» kommen auf ein von den Ukrainern abgefeuertes Artilleriegeschoss zehn russische. Denn der US-Kongress ist nicht in der Lage, die Waffenhilfe für die Ukraine fortzusetzen. Seit Oktober zanken Demokraten und Republikaner über ein 60-Milliarden-Dollar-Unterstützungspaket für die Ukraine. Die Lage ist prekär. Die politische und die militärische Führung sollten eigentlich Einigkeit demonstrieren. Stattdessen wird der wichtigste Mann der Streitkräfte geschasst.

Der fehlende Grund im Entlassungserlass ist bezeichnend. Selenski und sein Berater Podoljak liessen auf Telegram bloss durchblicken, man habe sich wegen der erfolglosen Sommeroffensive 2023 von Saluschni getrennt. Aber deren Scheitern war schon vergangenen Oktober offenkundig. Damals äusserte niemand Zweifel an der Kompetenz des Generals.

«Saluschni», sagt der Politologe Ihor Reiterowitsch, «hat das Optimale aus jeder militärischen Lage herausgeholt.» Jetzt spricht Selenski von Stagnation an der Front, von der Notwendigkeit zur «Technologisierung», von Drohnen als neuer Waffengattung, von einem «Neustart» der Befehlsstrukturen und der Taktik. Aber die Fachwelt ist wieder peinlich berührt.

«Zu den Paradoxa dieser Entlassung gehört, dass Selenski sie mit Worten begründet, für die er vorher Saluschni getadelt hat», sagt Olexi Melnik, Militärexperte des Kiewer Rasumkow-Zentrums und ehemaliger Kampfpilot. Saluschni sprach schon im November in einem «Economist»-Interview von einer Pattsituation an der Front und der Notwendigkeit neuer technologischer Ansätze.

Auch der erste Telegram-Post des Nachfolgers Sirski als Oberbefehlshaber klang wie eine Kurzfassung der Artikel, in denen Saluschni neue Technologien, mehr Drohnen und elektronische Kampfmittel gefordert hatte. Sirski, der Held der siegreichen Abwehrschlacht um Kiew, gilt wie Saluschni als Schlitzohr und setzt wie dieser auf selbständige Unterführer.

Als Hauptunterschied gilt, dass er freundschaftliche Kontakte zum Präsidialamt pflegte und sich deshalb oft operative Eigenmächtigkeiten erlauben konnte. «Bei uns kursierte nicht zufällig der Satz, in der Ukraine gebe es zwei Armeen, die von Saluschi und die von Sirski», sagt Melnik. Zumindest diese Spaltung der Befehlsgewalt sei jetzt aufgehoben.

Aber Kiews politische Szene glaubt nicht, dass Selenski und sein Team an diese positive Nebenwirkung dachten, als sie Saluschni feuerten. «Im Präsidialamt betrachtete man den Oberkommandierenden als grosse Bedrohung», sagt der Politologe Reiterowitsch. Vor allem Selenskis Stabschef Andri Jermak sei auf Umfragewerte fixiert. Und laut den KIIS-Meinungsforschern vertrauten im Dezember 62 Prozent Selenski, aber 88 Prozent Saluschni.

Obwohl der Oberkommandierende nie politische Ambitionen geäussert hatte und das Kriegsrecht in absehbarer Zukunft keine Wahlen zulässt, hätten Jermak und Co. Saluschni als Konkurrenten von Selenski gefürchtet, sagt Reiterowitsch. «Die sind chronisch im Wahlkampfmodus», spottet ein Kiewer Mediensprecher.

Melnik spricht von «kranken Leuten mit stark deformierten Prioritäten». Es gehe um die Existenz des Staates, sie aber dächten an Popularitätsraten. «Ich habe schon in einem Interview gesagt: Der Präsident hätte diese Berater erschiessen lassen sollen.»

Knapp zwei Jahre hat der nationale Abwehrkampf Selenskis grosse

Kompetenz- und Kaderprobleme verdeckt. Wie er stammen viele seiner Berater aus dem Showgeschäft und besassen keine politische Erfahrung. Das trifft auch auf Jermak zu, der bis 2019 als Wirtschaftsanwalt und Filmproduzent aktiv war. Er gilt inzwischen als zweitmächtigster Mann der Ukraine, der vor allem hinter den Kulissen Personalfragen regelt.

Oppositionelle werfen Jermak vor, er behindere die Arbeit der Antikorruptionsorgane nach Kräften. 2020 tauchten Tonaufnahmen auf, auf denen dessen Bruder Denis einem Gesprächspartner einträgliche Ämter versprach. Es gab auch Vorwürfe wegen Jermaks russlandfreundlicher Haltung.

Aber vor allem fiel Jermak als Chefunterhändler in Gesprächen mit Russland durch Inkompetenz auf. So ging er vor dem Krieg auf eine Hauptforderung Moskaus ein und versprach direkte Verhandlungen mit den prorussischen Separatisten im Donbass. Nach heftigem Protest der liberalpatriotischen Opposition zog er seine Zustimmung hastig wieder zurück. «Einer der Gründe für Putins Angriff war wahrscheinlich die Wut im Kreml über das unberechenbare Vor und Zurück von Selenskis Verhandlungsteam», vermutet ein hoher Kiewer Sicherheitsbeamter.

Jermak verkauft seine Politik der Öffentlichkeit über wortgewaltige Berufsblogger, die er als seine Berater installierte, etwa den inzwischen ausgeschiedenen Olexi Arestowitsch oder Michailo Podoljak. Gegenüber «Forbes» versicherte er, es gebe in der Ukraine keine Innenpolitik mehr. Aber seine innenpolitischen Intrigen gelten immer mehr Leuten in Kiew als verderblich.

Selenski patzt weiter

Laut Reiterowitsch stammt ein Grossteil der Telegram-Kanäle, die Selenskis gescheiterte Verabschiedung Saluschnis Ende Januar publik machten, von Jermaks Leuten. So hätten sie Selenski vor die Wahl gestellt, sich entweder mit einem Rückzieher zu blamieren oder den populärsten Mann der Ukraine zu feuern.

Selenski beging den grösseren Fehler und patzte danach weiter. Er verkündete, das dritte Kriegsjahr müsse die Entscheidung bringen, setzte damit Sirski sofort unter massiven Zeitdruck. Sollte der neue Oberkommandierende scheitern, trägt Selenski die Hauptverantwortung, sollte Sirski aber siegen, droht dem Präsidenten in den Umfragewerten ganz neue Konkurrenz.

Zwei Jahre lang galten Selenski und Saluschni als Erfolgsgespann. Der ehemalige Schauspieler und Komiker sammelte mit emotionalen Auftritten im Westen Waffenhilfspakete, der habilitierte Philosoph Saluschni improvisierte mit diesen Waffen präzise Schläge gegen den Feind. Jetzt versiegt die Waffenhilfe, das war Selenski Aufgabenbereich. Eigentlich hat er Grund zurückzutreten.

Im Februar 2022 machte ihn seine Antwort auf ein US-Asyl-Angebot zum Nationalhelden: «Ich brauche Munition, keine Mitfahrgelegenheit.» Moralisch würde Selenski jetzt erst wieder überzeugen, wenn er diese Worte auf ein Plakat schriebe und sich damit auf die Treppen vor dem Washingtoner Capitol stellte.

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