DLD in München: Auch Tech-Profis fragen sich, wie es weitergeht.
Auch auf Deutschlands wohl wichtigster Tech-Konferenz DLD ist Künstliche Intelligenz das Thema der Stunde. Gut ein Jahr nach dem Erscheinen der auf KI basierenden Anwendung ChatGPT ist jedoch etwas anders auf der „Digital Life Design“, die vergangene Woche in München stattfand. Die anfängliche Begeisterung über die anscheinend unendlichen Möglichkeiten der neuen Technologie ist einer gewissen Skepsis gewichen.
2023 war ChatGPT gerade der Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden, die Aufregung war groß, und die Möglichkeiten schienen grenzenlos. Manche Unternehmen riefen schon die nächste industrielle Revolution aus. Ein Jahr später sind die Nutzerzahlen zurückgegangen. Die erste Euphorie ist vielfach der Sorge um die Gefahren einer KI gewichen, die so intelligent ist, dass sie ihre Erfinder ausbootet. „Die Interessen von KI-Entwicklern stimmen nicht immer mit den Interessen der Menschheit überein“, sagte der Psychologe und KI-Experte Gary Marcus während seines DLD-Vortrags.
Die großen Sprachmodelle, die eigenständig Texte schreiben können, wirken zunehmend wie eine beeindruckende Lösung, für die man noch das passende Problem finden muss. Gleiches gilt für KI-Bildgeneratoren wie Midjourney, die in Windeseile beeindruckende Bilder erschaffen, von denen immer noch keiner weiß, wofür man sie braucht und wie es sich mit den Urheberrechten verhält. Der Ökonom Daron Acemoğlu schrieb in einem Beitrag für das amerikanische Tech-Magazin „Wired“, man solle sich auf die „große KI-Enttäuschung“ vorbereiten. Hochtrabende Vorhersagen über KI würden in diesem Jahr durch „enttäuschende Leistungen und gefährliche Ergebnisse zunichtegemacht“. Generative KI werde von vielen Unternehmen eingesetzt, sich aber nur als eine mittelmäßige Automatisierung erweisen, die Arbeitskräfte verdränge, aber keine großen Produktivitätssteigerungen mit sich bringe.
Nette Geschichten – oder mehr?
Dem gegenüber stehen Vertreter der großen Tech-Konzerne wie Amazons Technikchef Werner Vogels, der in seinem DLD-Vortrag die Potentiale der Technologie hervorhob. KI könne Hunger bekämpfen, etwa indem sie Bauern helfe, schnell schlechte Reissaaten auszusortieren. KI-gesteuerte Drohnen könnten Impfstoffe in abgelegene Regionen transportieren. KI könne Datenbanken mit verschwundenen Frauen und Kindern mit neu eingetragenen Escorts abgleichen, um Menschenhandel und Zwangsprostitution zu bekämpfen. Die Verbreitung dieser Anwendung liegt freilich weit in der Zukunft.
Peter Meier, der mit seinem Programm Paperchill mittels KI die Verarbeitung von Rechnungen oder Steuerunterlagen automatisieren will, fasste die Debatte in einer Diskussion so zusammen: „Generative KI ist eine riesige Veränderung in der Benutzeroberfläche.“ Die interessante Frage sei jetzt: „Kann die KI nicht nur nette Geschichten erzählen, sondern tatsächlich Probleme in der echten Welt lösen?“
2,6 bis 4,4 Billionen Dollar Wertschöpfung im Jahr?
Die Unternehmensberatung McKinsey beantwortet diese Frage anders als der Skeptiker Acemoğlu mit Ja. KI habe das Potential, 2,6 bis 4,4 Billionen Dollar Wert im Jahr zu schöpfen, ist sich Michael Chui sicher. Chui ist Partner im McKinsey Global Institute, dem Forschungsinstitut des Beratungskonzerns. 75 Prozent davon entfielen aber auf vier Anwendungsbereiche, sagte Chui während eines Vortrags. Im Marketing könne KI etwa künftig ganze Kampagnen erstellen und realisieren, mit Videos, Bildern, Musik. „So weit sind wir noch nicht, aber es bewegt sich in diese Richtung.“
Einen weiteren Produktivitätsschub durch KI gebe es in der Softwareentwicklung. „Unsere eigenen Entwickler sind um 10 bis 70 Prozent produktiver durch KI geworden, abhängig von der Aufgabe“, berichtete Chui. Eine der offensichtlichsten Anwendungsfelder ist nach seiner Ansicht der Kundenservice. Weniger offensichtlich, aber dafür mit umso größerem Potential: Forschung und Entwicklung. „Sie können der KI sagen, sie solle ein Medikament entwickeln oder ein Auto designen“, sagte Chui.
Solche Visionen haben inzwischen auch die meisten Dax-Unternehmen. „Viele Dax-Unternehmen versuchen, eigene Projekte mit großen Sprachmodellen umzusetzen“, sagte Rasmus Rothe der F.A.Z. auf der DLD-Konferenz. Rothe ist Mitbegründer von Merantix, einem in Berlin ansässigen Investor und Entwickler von KI-Start-ups. Viele Unternehmen haben inzwischen einen eigenen KI-Chatbot. Aber: „Nur weil die Mitarbeiter ein Tool haben, mit dem sie Infos schneller nachgucken können, wird das Unternehmen nicht auf einmal 20 Prozent produktiver“, sagt Rothe. Man müsse viel tiefer in die Geschäftsprozesse reingehen, um wirklichen Mehrwert zu schaffen.
Reale Anwendung in Produktionsabläufen komplizierter als erwartet
Rothe nennt ein Beispiel: Das hauseigenen Dienstleistungsunternehmen Merantix Momentum habe zuletzt ein Projekt für einen Baustoffhändler in der Beschaffung realisiert. Der habe bei Anfragen von Kunden oft zu lange gebraucht. Jetzt analysiert ein großes Sprachmodell die eingehenden E-Mails, versteht die Anfrage, fragt automatisch bei den Lieferanten des Händlers an, wertet wiederum dessen Antworten aus und generiert dann ein Angebot. Am Ende schaut ein Mensch noch einmal über das Angebot drüber, bevor er es abschickt.
„Mit den aktuellen Grundlagenmodellen lässt sich schon viel Wert schaffen“, sagt Rothe. „Das Problem ist die Integration in die Geschäftsprozesse.“ Viele Unternehmen hätten festgestellt, dass die Übernahme von auf dem Papier tollen KI-Anwendungen in echte Produktionsabläufe viel komplizierter ist als erwartet. Dafür könne KI mittelfristig sehr viel Wert schaffen, ist Rothe überzeugt.
„Nun geht es um spezialisierte, auch kleinere Modelle“
Claudia Nemat, die im Vorstand der Deutschen Telekom für Technologie und Innovation zuständig ist, weiß um die Schwierigkeiten und ist trotzdem zuversichtlich mit Blick auf die Zukunft. „KI wird die Art, wie wir leben und arbeiten, sehr stark ändern“, sagte sie der F.A.Z. am Rande der DLD-Konferenz. Der anfängliche KI-Hype habe viele wachgerüttelt. „Jetzt ist die Zeit für spezifische Anwendungen mit praktischem Nutzen. Nun geht es um spezialisierte, auch kleinere Modelle. Sie werden den Unterschied machen.“
Die Deutsche Telekom setzt KI nach ihren Angaben schon seit einigen Jahren und in vielfältigen Gebieten ein. Als Beispiele nannte Nemat den Glasfaserausbau, Cybersicherheit und Chatbots für Mitarbeiter. „Wir könnten nicht 2,5 Millionen Glasfaseranschlüsse im Jahr verlegen, wenn wir nicht KI nutzen würden für eine automatisierte Glasfasertrassenplanung“, erläuterte Nemat. Man setze zudem Sprachmodelle ein als Mitarbeiter-Bot. So könnten etwa Glasfaserspezialisten fragen: „Muss das gelbe mit dem blauen Kabel verbunden werden?“, ohne „Tausende PDF-Dokumente durchzugehen“. Auch gegen Hackerangriffe sei Künstliche Intelligenz im Einsatz. „Unser Netz wird in der Minute 19.000 Mal angegriffen. Ohne automatisierte Mustererkennung und KI wäre es nicht möglich, in Echtzeit darauf zu reagieren.“
Nicht jeder muss KI-Experte sein
Kunden können sich nach Nemats Einschätzung künftig auf deutlich bessere Chatbots einstellen. Schon heute sei im Konzern eine Technologie im Einsatz, die „auch die 20 Prozent eher seltenen Fragen“ beantworten könne. „Zum Beispiel: Ich habe den Tarif XY, will für 3 Wochen in die Türkei, kann ich den Tarif mitnehmen zu diesen Konditionen?“
Aber hängt die Kundschaft damit künftig kürzer in nervigen Telefon-Warteschleifen? „Viele interaktive Sprachsysteme sind furchtbar – mit ‚Wählen Sie 1, 2, 3, 4 oder 5‘ –, das wissen wir“, räumte Nemat ein. „Unseres ist und wird immer besser, vor allem auch, wie es die Mitarbeitenden im Service unterstützt.“ Ziel des Konzerns sei es, bis Ende 2025 alle Interaktionen der Servicemitarbeiter mit Kunden durch KI zu unterstützen. „Die KI hilft, besser auszusortieren, welche Art von Antwort für welchen Kunden geeignet ist, von voll automatisiert bis Menschenteams. Beispielsweise haben wir spezielle Teams, die sich ausschließlich damit beschäftigen, älteren Menschen empathisch zu helfen.“
Die weit verbreitete Sorge, dass KI Jobs vernichtet, versuchte Nemat zu dämpfen: „Wie immer in technologischen Entwicklungen werden sich Tätigkeiten verändern. Arbeit geht nicht verloren, sie verändert sich.“ Die wichtigste Schlussfolgerung sei: lebenslanges Lernen. „Das Modell ‚Ich gehe zur Schule, dann zur Uni und mache dann meinen Job 40 Jahre bis zur Rente‘ existiert ja schon heute nicht mehr.“ Die Telekom wolle europaweit 70.000 Mitarbeitern, für die das Thema KI relevant sei, Basiswissen zur Technik vermitteln. 40.000 habe man schon erreicht. „Nicht jeder muss ein KI-Experte sein oder ein Nerd“, sagt die Managerin. „Es braucht gar nicht so viel: Kritisches Denken und Fragen sowie empathisches Handeln werden viel, viel wichtiger.“
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