Thrasio : Vom Amazon-Jäger zum Sanierungsfall: Absturz eines Milliarden-Start-ups
Das US-Unternehmen Thrasio hat in den vergangenen Jahren Dutzende Amazon-Händler aufgekauft und wollte auch in Deutschland groß durchstarten. Foto: dpadata-portal-copyright=
Das Milliarden-Start-up Thrasio galt als heißeste Wette im E-Commerce. Das Geschäftsmodell: Kleine Amazon-Händler aufkaufen und weiterentwickeln. Doch nun hat das US-Unternehmen Insolvenz angemeldet.
Bescheidenheit klingt anders: „Wir liefern der Welt die beliebtesten Produkte“, heißt es auf der deutschen Homepage des US-Unternehmens Thrasio. „Gemeinsam bringen wir Ihre Produkte groß raus.“ Doch das dürfte nun schwieriger werden.
Der einstige Wachstumsstar, der Milliardenbeträge bei Investoren eingesammelt hat, steckt seit längerem in finanziellen Schwierigkeiten und hat nun ein Insolvenzverfahren nach Chapter 11 des amerikanischen Insolvenzrechts gestartet. Das Verfahren ist Teil einer Vereinbarung mit Kreditgebern, die dem Unternehmen frisches Kapital zur Verfügung stellen und Schulden in Höhe von 495 Millionen Dollar abbauen sollen. “Mit einer gestärkten Bilanz und neuem Kapital werden wir besser in der Lage sein, unsere Marken zu unterstützen”, wurde Unternehmenschef Greg Greeley in einer Erklärung zitiert.
Bis vor Kurzem galt Thrasio noch als eine der heißesten Wetten im E-Commerce. Im Kern besteht das Geschäftsmodell des Unternehmens darin, erfolgreiche Amazon-Händler zu übernehmen, so genannte FBA-Seller. Also Anbieter, die ihre Produkte auf dem Marktplatz des E-Commerce-Giganten verkaufen und Amazons Logistik-Service „Fulfillment by Amazon“ nutzen. Anschließend werden die Amazon-Marken in die Thrasio-eigene Konsumgüterplattform integriert und sollen so schneller wachsen und höhere Erträge erzielen.
„Die Zeit ist reif, Ihr Amazon-Business zu verkaufen? Wir machen Ihnen den Ausstieg leicht“, verspricht das US-Unternehmen denn auch auf seiner deutschen Onlineseite.
Das Ende des Hypes
Tatsächlich hat Thrasio in den vergangenen Jahren Dutzende Amazon-Anbieter aufgekauft, wurde als „Jäger der Amazon-Marken“ gefeiert und wollte auch in Deutschland groß durchstarten. „Wir investieren 500 Millionen Dollar in Europa“, kündigten Thrasio-Manager vor zwei Jahren an. Der beispiellose Boom des Onlinehandels in der Coronapandemie hatte offenbar gigantische Erwartungen geweckt – und rief schnell Nachahmer auf den Plan. Der Finanzdatendienstleister Marketpulse zählte zeitweise mehr als 90 solcher Aufkäufer.
Doch der Onlineboom scheint vorerst vorbei zu sein, zumindest in Deutschland. Das geht aus der vom Kölner Handelsforschungsinstitut EHI veröffentlichten Studie „E-Commerce-Markt Deutschland 2023“ hervor. Danach mussten die 1000 umsatzstärksten Onlineshops im vergangenen Jahr in Summe erstmals seit Studienbeginn im Jahr 2008 einen Umsatzrückgang hinnehmen. Und auch in diesem Jahr rechnet das EHI „mit einer Fortsetzung des rückläufigen Trends“, wie der Leiter des Forschungsbereichs E-Commerce, Lars Hofacker, berichtete.
Auch in den USA ist das Wachstum im E-Commerce eingebrochen und die von Thrasio versprochenen Synergien bleiben offenbar aus.
Zudem trieben die Aufkäufer die Preise für Shops zeitweise in absurde Höhen. “Die Thrasio-Insolvenz zeigt, dass das Geschäft der FBA-Aufkäufer nicht die Gelddruckmaschine ist, für die es einige gehalten haben”, sagt Jan Bechler, Gründer und Geschäftsführer der E-Commerce-Agentur Front Row, die Unternehmen wie Unilever und Bosch bei ihren Aktivitäten auf Amazon unterstützt. “Je abhängiger ein solches Unternehmen von Investoren ist, umso ungemütlicher wird es nun”, so Bechler. “Vermutlich stehen der Branche weitere schlechte Nachrichten bevor.”
Transparenzhinweis: Dieser Text wurde im Oktober 2023 zuerst publiziert und wegen des Chapter-11-Antrags von Thrasio aktualisiert.
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