Gegen alle Sicherheitsregeln: Deutsche Offiziere reden über heikle Waffendetails – und Russland hört mit

gegen alle sicherheitsregeln: deutsche offiziere reden über heikle waffendetails – und russland hört mit

Der deutsche Luftwaffenchef Ingo Gerhartz ;(links) und Bundeskanzler Olaf Scholz im vergangenen Sommer bei einer Nato-Übung in Norddeutschland. Morris Macmatzen / Getty

Es ist ein militärisches und politisches Desaster, was seit Freitag über den höchsten deutschen Luftwaffensoldaten und drei weitere Offiziere in der Welt ist. Ingo Gerhartz, Chef der Luftwaffe und im kommenden Jahr für einen der höchsten Nato-Posten vorgesehen, spricht über eine offenbar ungesicherte Leitung mit den anderen Offizieren über den Einsatz des Marschflugkörpers Taurus in der Ukraine. Das 37-minütige Gespräch von Mitte Februar enthält heikle Informationen und wurde mutmasslich von einem russischen Geheimdienst abgehört. Staatsmedien in Moskau haben den Mitschnitt nun veröffentlicht.

Das Verteidigungsministerium in Berlin hat gemäss der «Tagesschau» die Authentizität des Gesprächs inzwischen bestätigt. Eine Anfrage dieser Zeitung wurde vom Ministerium zurückhaltend beantwortet: «Wir prüfen, ob Kommunikation im Bereich der Luftwaffe abgehört wurde. Das Bundesamt für den Militärischen Abschirmdienst hat alle erforderlichen Massnahmen eingeleitet.» Zum Inhalt der offenbar abgehörten Kommunikation könne man nichts sagen.

Der Vorgang wirft Fragen auf. Die vordringlichste lautet: Wieso verstossen hohe Offiziere der Bundeswehr in eklatanter Weise gegen die militärische Kommunikationssicherheit (Comsec)? Das Gespräch fand offenkundig über Webex statt, also als Videokonferenz über das Internet. Haben diese Verstösse vielleicht gar System?

Webex ist ein US-Unternehmen, dessen Dienste weltweit genutzt werden. Das deutsche Verteidigungsministerium führt darüber zum Beispiel Hintergrundgespräche mit Journalisten. Eine Anleitung der Universität der Bundeswehr München für Videokonferenzen lässt indes den Schluss zu, dass zumindest dort der Gebrauch von Webex für Gespräche mit geheimen Inhalten aus Sicherheitsgründen verboten ist.

Am Anfang des Mitschnitts erfährt der Zuhörer, dass Brigadegeneral Frank Gräfe, Abteilungsleiter Einsatz im Kommando Luftwaffe in Berlin und einer der Gesprächsteilnehmer, in einem Hotel in Singapur sitzt und sich anscheinend über einen Computer in seinem Zimmer eingewählt hat. Das geht aus einem lockeren Austausch Gräfes mit einem anderen Offizier über das Hotel hervor, in dem er sich befindet. Statt etwa eine verschlüsselte Leitung beispielsweise in der deutschen Botschaft in Singapur zu benutzen, wie es Fachleute in einer solchen Situation für angeraten gehalten hätten, kommuniziert der General sehr wahrscheinlich über eine ungesicherte Verbindung.

Gespräch hätte in abhörsicheren Raum gehört

Doch es ist nicht nur das Wie des Gesprächs, das irritiert, sondern auch das Was. Die vier Offiziere diskutieren über Themen, die Militärs in abhörsicheren Räumen persönlich und direkt besprechen sollten. Es sind Aspekte, die Russland wertvolle Einblicke in den Taurus geben, die wichtige Verbündete desavouieren, den Bundeskanzler blossstellen und Deutschlands Position in der Nato Schaden zufügen.

Im Gespräch werden mehrere Dinge klar, die in der Debatte um eine Lieferung von Taurus an die Ukraine von Kanzler Olaf Scholz und Verteidigungsminister Boris Pistorius bisher gar nicht oder anders kommuniziert wurden. Dazu zählt, dass die Zieldaten für den Flugkörper sehr wohl von Ukrainern selbst programmiert werden könnten. Es reichten dafür sieben Wochen Ausbildungszeit, so die deutschen Luftwaffenoffiziere. Scholz hat bisher behauptet, die Programmierung könnten nur Bundeswehrsoldaten vornehmen. Weil dies aber einer Kriegsbeteiligung gleichkäme, könne Deutschland Taurus nicht liefern.

Zudem wird in der Besprechung deutlich, dass Deutschland bis zu 100 Stück des Marschflugkörpers verfügbar machen könnte. Dies wäre zwar kein «Game Changer», doch würden sie der Ukraine wohl dennoch eine grosse Hilfe sein. Mit dem 500 Kilometer weit reichenden, sehr präzisen Marschflugkörper liessen sich die russischen Nachschubverbindungen im Hinterland der Ukraine empfindlich stören.

Wichtige Informationen für die Russen

Schliesslich kommt im Gespräch der Offiziere heraus, wie viele Monate es dauern würde, die Taurus nach einer politischen Entscheidung einsatzbereit zu machen. Diese Information könnte für Russland von grosser operativer Bedeutung sein – etwa um auszurechnen zu können, wann das Land mit entsprechenden Angriffen rechnen müsste.

Doch es sind nicht allein die Fakten zum Einsatz des Taurus, die im Gespräch detailliert diskutiert werden. Es sind auch die teilweise von Luftwaffenchef Gerhartz vorgetragenen Informationen über den Einsatz der Taurus-ähnlichen Flugkörper der Briten und Franzosen (Storm Shadow und Scalp). Man hört, dass die Briten den Ukrainern mutmasslich vor Ort bei der Integration der Waffen in die Flugzeuge und bei ihrer Programmierung helfen. Zudem plaudern die deutschen Offiziere aus, über wie viele Storm Shadow und Scalp sowie über wie viele Kampfjets die Ukrainer wohl noch verfügen. Aus Sicht der Alliierten und der Ukrainer dürfte das schwerwiegend sein.

Dabei geht es weniger um den Fakt an sich. Die Russen dürften höchstwahrscheinlich wissen, wie viele Jets die Ukraine noch hat. Doch sie bekommen es nun von einer westlichen Quelle bestätigt. Nato-Fachleute berichten, dass Deutschland innerhalb des Bündnisses ohnehin als unzuverlässig im Umgang mit heiklen Informationen gelte. Jetzt büsse das Land weiteres Vertrauen ein. Der aktuelle Schaden sei kaum wiedergutzumachen.

Für Empörung in Russland sorgt aber ein letzter Gegenstand in dem Gespräch der Luftwaffenoffiziere. Längere Zeit tauschen sie sich über die Ziele des Taurus aus: Munitionsdepots und die Brücke von Kertsch auf die Halbinsel Krim. Geradezu obsessiv diskutiert die Runde Zieldaten, Satellitenbilder und ob es eine Kriegsbeteiligung wäre, wenn diese Informationen von der Bundeswehr kämen. Dabei dürften die Ukrainer die Daten ihrer wichtigsten Ziele längst selbst haben.

Man erfährt, dass eine durchaus beträchtliche Anzahl an Taurus notwendig wäre, um die Kertsch-Brücke zu zerstören. Man erfährt, wie lange die Programmierung dauern würde und dass die Luftwaffe davon auszugehen scheint, dass eine Programmierung durch den Hersteller keine Kriegsbeteiligung Deutschlands darstellte. Und man erfährt von der Überlegung, den Ukrainern die Zieldaten nicht per Datenleitung zu übermitteln, sondern «das File» in Polen zu übergeben, auch wenn es dann mehr Zeit brauche, ehe der Angriff erfolgen könne.

Dass Militärs Fragen wie diese besprechen, ist grundsätzlich richtig. Ihre Aufgabe besteht auch darin, die politisch Verantwortlichen fundiert zu beraten. Doch jemand wie Luftwaffenchef Gerhartz sollte wissen, dass er das Ziel russischer Ausspähversuche sein könnte. Warum er dennoch heikle militärische und operative Informationen mutmasslich über eine nicht abhörsichere Leitung bespricht, bleibt bis auf weiteres sein Geheimnis. Schon in der Offiziersschule lernen deutsche Soldaten einen Satz: «Ich darf keine vertraulichen Gespräche über ungesicherte Kanäle führen.» Ob Gerhartz den Alliierten jetzt noch als Befehlshaber des Joint Forces Command der Nato in Brunssum (Niederlande) vermittelbar ist?

In der deutschen Politik ist die Aufregung gross. Bundeskanzler Scholz sprach von einer sehr ernsten Angelegenheit, die sehr zügig aufgeklärt werden müsse. Der Vorsitzende des Geheimdienstausschusses des Bundestages, Grünen-Politiker Konstantin von Notz, sieht einen «für die Sicherheit Deutschlands und seiner Verbündeten maximal gravierenden Vorgang». Russland setze mittlerweile alle Mittel ein, um politisch zu spalten, von anderen Geheimdienstoperationen abzulenken und die Lieferung weiterer Unterstützung für die Ukraine zu verhindern.

Roderich Kiesewetter, Aussenpolitiker der oppositionellen CDU, vermutet, dass Russland über weitere Mitschnitte abgehörter Gespräche der Bundeswehr verfüge. Das Regime in Moskau wolle offensichtlich unbedingt die Lieferung von Taurus verhindern, sagte er.

News Related

OTHER NEWS

Live-Panne bei „The Masked Singer“: Kandidat versehentlich enttarnt

Der Kiwi ist ein Teilnehmer von „The Masked Singer“ – doch bei seiner Performance am 26. November 2023 ging etwas schief. Die Maske verrutschte und der Promi darunter wurde enttarnt. ... Read more »

Fünf Tote nach Unwetter in Region Odessa - Die Nacht im Überblick

Infolge eines schweren Unwetters sind in der südukrainischen Region Odessa mindestens fünf Menschen ums Leben gekommen. Weitere 19 Anwohner seien durch den Sturm verletzt worden, sagte der ukrainische Präsident Wolodymyr ... Read more »

Die Verkäuferin, die den Dieb in die Flucht trieb

Ein Räuber versuchte sein Glück in einer Bäckerei, nicht ahnend, dass er leer ausgehen würde. Die Verkäuferin trieb den Täter nämlich mit einem lauten Schrei in die Flucht. Nun hat die ... Read more »

In Beaver Creek begann die «Odi-Mania»: Odermatt hat sogar King Roger den Rang abgelaufen

Vier Jahre nach seinem ersten grossen Triumph in Beaver Creek hat Marco Odermatt als Skirennfahrer alles gewonnen. Und gemäss einer Studie hat der Buochser im letzten Frühling sogar «King» Roger ... Read more »

Die Katze von Taylor Swift ist das drittreichste Haustier der Welt mit einem Vermögen von 474 Millionen R$.

Veröffentlichung Olivia Benson, die Katze von Taylor Swift, hat nicht nur das Herz der Sängerin erobert, sondern zeichnet sich auch als eines der reichsten Haustiere der Welt aus, mit einem ... Read more »

Kurz zuvor sagte er noch «Ja, ich will»: Bräutigam erschiesst an Hochzeit Braut und drei Gäste

Bei einer Hochzeit in Thailand werden die Braut und drei Gäste erschossen. Der Täter: Bräutigam Chatorung S. Er richtete sich nach dem Blutbad selbst. Bräutigam erschiesst an Hochzeit Braut und ... Read more »

Bundesratswahl am 13. Dezember: FDP fürchtet Geheimplan gegen Cassis

Die FDP befürchtet bei den Bundesratswahlen ein politisches Manöver gegen ihren Magistraten Ignazio Cassis. Dabei würde der Partei ein Bundesratssitz weggenommen und dafür der Kanzlerposten zugeschanzt. FDP fürchtet Geheimplan gegen ... Read more »
Top List in the World