«Managerlöhne und der Niedergang der CS haben einen Einfluss auf das Abstimmungsresultat»

«managerlöhne und der niedergang der cs haben einen einfluss auf das abstimmungsresultat»

Im Juni kommen gleich zwei Krankenkassen-Initiativen vors Volk. Politologe Oliver Strijbis über die Finanzierung, das Momentum der Linken, Managerlöhne und Uneinigkeiten im Lager der SVP.

Am 9. Juni stimmt die Schweiz über die Prämien-Entlastungs-Initiative der SP und die Kostenbremse-Initiative der Mitte ab. Was sagt Ihr Prognosemarkt zur Ausgangslage?

Oliver Strijbis: Der Prognosemarkt sagt für beide Vorlagen ein knappes Rennen voraus. Der Ja-Anteil liegt jeweils sehr nahe bei 50 Prozent. (Mehr zur Methodik des Prognosemarktes am Ende des Interviews).

Bei Ihrer Abstimmungsbörse wird auf das Abstimmungsresultat gewettet.

Exakt. Die besten Teilnehmenden gewinnen jeweils mehrere 100 Franken, ausbezahlt wird jedes halbe Jahr, nach jeweils zwei Abstimmungssonntagen. Weil echtes Geld im Spiel ist, überlegen sich die Teilnehmenden ernsthaft, welches Ereignis eintreten könnte, und wetten nicht auf den Ausgang, den sie sich wünschen. Das stärkt die Aussagekraft des Prognosemarktes. Die aktuelle Stichprobe besteht aus rund 100 Personen, die etwas vom Politgeschäft in der Schweiz verstehen. Darunter sind Politologinnen, Studenten und Campaigner.

«managerlöhne und der niedergang der cs haben einen einfluss auf das abstimmungsresultat»

Oliver Strijbis.

Zur Person

Oliver Strijbis ist Professor für Politikwissenschaft an der Franklin University Switzerland in Lugano. Zu seinen Forschungsgebieten gehören die Migration, aber auch politisches Verhalten und die ethnische Zugehörigkeit.

Braucht es dann überhaupt noch Umfragen?

Unbedingt, es muss beides geben. Umfragen kann man nicht ersetzen. Beim Prognosemarkt interpretiert eine grosse Gruppe von Expertinnen und Experten die Umfragen, er fungiert als analytische Ergänzung.

Sprechen wir zuerst über die Prämien-Entlastungs-Initiative der SP. Welche Rolle spielt es, dass die Finanzierung – wie bereits bei der 13. AHV-Rente – erneut unklar ist?

Nach der Annahme der 13. AHV-Rente ging der Prognosemarkt zunächst von einem Ja für die Prämien-Entlastungs-Initiative aus. Die Interpretation war da, dass diese Art von Vorlagen beim Stimmvolk Chancen hat. Nun steigt aber der Nein-Anteil. Die Gegner haben gelernt, in der öffentlichen Debatte wird verstärkt über die Finanzierung diskutiert. Dies macht es für die Prämien-Entlastungs-Initiative schwieriger. Doch das Rennen ist absolut offen.

Prämien-Entlastungs-Initiative

Die Initiative verlangt, dass niemand mehr als 10 Prozent seines verfügbaren Einkommens für die Krankenkassenprämie aufwenden muss. Alles über dieser Schwelle wird durch Prämienverbilligungen gedeckt, zu zwei Dritteln finanziert durch den Bund, zu einem Drittel durch die Kantone. Das BAG rechnet bei einem JA mit Mehrausgaben von 3,5 bis 5 Milliarden Franken pro Jahr.

Bundesrat und Parlament lehnen die Initiative ab. Das Parlament hat jedoch einen indirekten Gegenvorschlag ausgearbeitet. Dieser verlangt, dass die Kantone in Zukunft einen Mindestbetrag für die Finanzierung der Prämienverbilligung ausgeben müssen. Dieser Mindestbetrag ist an die kantonalen Gesundheitskosten gekoppelt.

Die 13. AHV-Rente kommt den Rentnerinnen und Rentnern zu Gute. Herrscht bei Teilen der Bevölkerung die Meinung vor, dass nun die Familien an der Reihe sind?

Solche Überlegungen spielen meiner Meinung nach eine nicht so grosse Rolle. Das Argument der Finanzierung dürfte wichtiger sein. Zumal die Prämien-Entlastungs-Initiative die Prämien aller auf 10 Prozent deckelt, nicht nur diejenigen der Familien, sondern auch der Rentner.

Es macht aber den Eindruck, dass die Gegner mit dem Argument der Finanzierung – das BAG rechnet mit 3,5 bis 5 Milliarden Franken pro Jahr – das Stimmvolk aktuell nicht so gut erreichen?

Dies hat damit zu tun, dass die Wirtschaftsverbände, die FDP und der Wirtschaftsflügel der SVP an Deutungshoheit verloren haben. Bei der 13. AHV-Rente zeigte sich das klar, auch dort ist man mit dem Warnen vor den Kosten nicht durchgedrungen. Deshalb betonen die Gegner im Kampf gegen die Prämien-Entlastungs-Initiative noch intensiver, dass nicht klar ist, wie diese finanziert werden soll. Die Finanzierung ist ihr wichtigstes Gegenargument, da haben sie keine andere Wahl.

Bei den Sorgen der Bevölkerung rangieren die hohen Krankenkassenkosten jeweils weit oben. Ist der Zeitpunkt besonders günstig für eine solche Initiative?

Ja, auf jeden Fall. Vor zehn Jahren hätte eine solche Initiative wahrscheinlich keine Chance gehabt.

Werden Initiativen, die einen Sozialausbau zur Folge haben, salonfähig?

Die Linke hat sicher ein Momentum und zeigt aktuell, dass sie in der Lage ist, mehrheitsfähige Vorlagen zu zimmern. Das Framing beider SP-Initiativen ist sehr geschickt und intuitiv. Als Stimmbürger ist man im ersten Moment rasch der Meinung, dass es diese Vorlagen braucht.

Kürzlich wurde der hohe Lohn von UBS-CEO Sergio Ermotti publik. Der Ärger war bei Teilen der Bevölkerung gross. Ist das ein Faktor?

Definitiv. Die Wirtschafts- und Arbeitgeberseite erlebt aktuell nicht ihre beste Phase. Managerlöhne und der Niedergang der Credit Suisse haben sicher einen Einfluss auf das Abstimmungsresultat.

Welche Rolle spielt die SVP im Abstimmungskampf?

Ich glaube, dass die SVP erneut Mühe haben wird, die eigenen Reihen zu schliessen. Bei der 13. AHV-Rente hat sich gezeigt, dass die SVP ihre Wählerinnen und Wähler nicht von einem Nein überzeugen konnte. Das war für den Abstimmungsausgang entscheidend. Ich kann mir gut vorstellen, dass dies bei der jetzigen Vorlage wieder eine Rolle spielen wird.

Zur Prämien-Entlastungs-Initiative gibt es einen indirekten Gegenvorschlag. Schwächt dieser die Initiative der SP?

Der indirekte Gegenvorschlag kommt aus dem Parlament und ist auf dem Stimmzettel nicht aufgeführt. Viele Stimmbürgerinnen und Stimmbürger wissen gar nicht, dass es diesen gibt. Ich glaube, dass der Einfluss des indirekten Gegenvorschlags auf das Abstimmungsresultat sehr gering sein wird.

Die SP argumentiert unter anderem mit einem Kompromiss aus den 1990er-Jahren, wonach kein Haushalt mehr als acht Prozent des Einkommens für die Prämienzahlungen ausgeben sollte. Dringt man mit solchen Zahlen zur Stimmbevölkerung durch?

Grundsätzlich gilt in der Politik: je einfacher die Aussage, desto besser. Die Prämien-Entlastungs-Initiative ist gut zu vermitteln, wenn auch nicht ganz so einfach, wie die 13. AHV-Rente. Die Botschaft lautet: Die Prämien dürfen nicht mehr als 10 Prozent des verfügbaren Einkommens ausmachen, fertig. Die SP und die Gewerkschaften haben aus der Vergangenheit gelernt und formulieren ihre politischen Anliegen heute verständlicher.

Gleichzeitig mit der Prämien-Entlastungs-Initiative kommt die Kostenbremse-Initiative der Mitte zur Abstimmung. Fluch oder Segen für die SP?

Eher Fluch. Die SP muss die Nein-Parole herausgeben, obwohl sie wohl kein Interesse hat, überhaupt über die Vorlage der Mitte zu reden. Sie kann nicht auf ein doppeltes Ja setzen, was einfacher zu kommunizieren wäre. Die Ausgangslage ist für die SP sicher nicht ideal.

Diese Ausgangslage hatte die SP im März mit der 13. AHV-Rente und der Renteninitiative der Jungfreisinnigen aber auch.

Ja, aber dort war klar, was die Renteninitiative wollte: eine automatische Kopplung des Rentenalters an die Lebenserwartung. Ein Dorn im Auge der SP. Sie konnte sich klar dagegen positionieren. Bei der Kostenbremse-Initiative der Mitte weiss niemand genau, was die Auswirkungen wären, käme sie durch.

Kostenbremse-Initiative

Die Initiative der Mitte verlangt, dass die Kosten für die obligatorische Krankenversicherung an die Lohn- und Wirtschaftsentwicklung gekoppelt werden. Steigen die Gesundheitskosten deutlich stärker als Löhne und Wirtschaft, müssen Bund und Kantone eingreifen. Wie dieser Eingriff aussieht, lässt die Initiative offen.

Auch die Kostenbremse-Initiative lehnen Bundesrat und Parlament ab. Der indirekte Gegenvorschlag des Parlamentes sieht vor, dass Ziele für das maximale Kostenwachstum in der obligatorischen Krankenversicherung eingeführt werden.

Und aus Sicht der Mitte?

Generell muss man sagen, dass die Kostenbremse-Initiative wahnsinnig quer in der Landschaft steht. Ich kann mir auch nur schwer vorstellen, wie die Kampagne ablaufen wird. Die Mitte hat Gegner auf beiden Seiten. Sowohl SP als auch SVP lehnen die Vorlage ab. Da ist eine Annahme üblicherweise fast ein Ding der Unmöglichkeit. Gleichzeitig ist die Vorstellung, dass man Gesundheitskosten bremsen kann, in der Bevölkerung weitverbreitet, obwohl dies nicht ganz zutrifft. Auch wenn es schwierig einzuschätzen ist: Es könnte sein, dass die Kostenbremse-Initiative noch ziemlich abstürzt.

Hilft es der Mitte nicht, dass sie im Herbst zu den Wahlgewinnerinnen gehörte und so ihr Siegerimage auf diese Abstimmung ummünzen kann?

Ich glaube, es ist eher umgekehrt. Die Vorlage hilft der Mitte, sich weiter zu profilieren. Das ist ein wichtiger Aspekt dieser Vorlage. Die Mitte kann so zeigen, dass sie Probleme löst. Die Mitte hat oft Schwierigkeiten, sich von anderen Parteien abzugrenzen. Sie hat kein klares Profil, kein klares Thema, das sie besetzt. Sie muss sich jeweils als Konsens-Problemlösungs-Partei profilieren.

Der Prognosemarkt

Eine Abstimmungsbörse funktioniert wie eine Finanzbörse – mit dem Unterschied, dass keine Unternehmens-Aktien, sondern Aktien künftiger Ereignisse gehandelt werden. Ein Ereignis wäre in unserem Fall: «Die Prämien-Entlastungs-Initiative erhält zwischen 50 und 59 Prozent Ja-Stimmenanteil.» Das Ereignis erhält einen Startpreis, beispielsweise 50 Franken. Tritt das Ereignis ein, ist es 100 Franken wert; tritt es nicht ein, ist es wertlos. Die Teilnehmenden wollen Geld verdienen: Halten sie ein Ereignis für wahrscheinlich, kaufen sie dessen Aktien, wenn nicht, werden sie verkauft. Der so entstehende Kurs liefert einen Hinweis auf die Wahrscheinlichkeit eines Ereignisses.

Im Falle der Prämien-Entlastungs-Initiative wurde die Wahrscheinlichkeit, dass die Initiative angenommen wird, in den vergangenen drei Tagen im Durchschnitt bei 44,9 Prozent gehandelt. Der vorhergesagte Ja-Stimmenanteil lag dabei durchschnittlich bei 49,3 Prozent.

Bei der Kostenbremse-Initiative wurde die Wahrscheinlichkeit, dass die Initiative angenommen wird, bei exakt 50 Prozent gehandelt. Der vorhergesagte Ja-Stimmenanteil lag dabei durchschnittlich bei 50,4 Prozent. Gemäss Prognosebörse ist bei beiden Vorlagen alles offen.

Prognosebörsen haben sich vorwiegend in den USA etabliert. Sie nutzen die kollektive Intelligenz der Teilnehmenden. Weil in der Zeit vor Abstimmungen rund um die Uhr gehandelt werden kann, reagieren die Kurse sensibel auf politische Entwicklungen. Sie sind dynamischer als Umfragen. Abstimmungsbörsen ersetzen Umfragen nicht, können aber eine wertvolle Ergänzung sein und das Prognosebild vervollständigen. Die Methode von Oliver Strijbis wurde bereits bei den eidgenössischen Parlamentswahlen im vergangenen Jahr erfolgreich angewandt.

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