Wasser in Berlin-Mitte: Mediterranes Kolorit, eben eine echte Seafood-Bar.
„Ihr Lieben“, damit begannen Gudrun und Christof Ellinghaus ihre Mail an den Guide Michelin. Und weiter: „Nichts ist so beständig wie die Veränderung.“ Die beiden Gastronomen wussten nicht mal, wen genau sie da anschreiben sollten, erzählt die Chefin des ehemaligen Sterne-Restaurants Cordo.
Sie nutzten einfach die Unternehmensadresse. Nur was sie schreiben wollte – das hatte sich Gudrun Ellinghaus gut überlegt. Seit Monaten diskutierten sie, ihr Mann und ihr Küchenchef Yannic Stockhausen darüber, was mit dem Cordo passieren sollte. Von Schließung des Sternerestaurants bis zu einem transformierten Konzept reichte die Spanne. Alles war möglich.
Am Ende entschieden sie sich für eine möglichst niedrigschwellige Seafood-Bar, die schlicht Wasser heißt und im leicht umdekorierten Cordo seit Ende Januar besucht werden kann. Die Gastronomen schlossen ihre E-Mail an den Michelin, ihr Küchenchef Yannic Stockhausen verzichte daher auf seinen Stern.
Sie habe einen Riesenrespekt für Yannic, sagt Gudrun Ellinghaus, die mich zu ihrer Überraschung im Wasser entdeckt. Noch fühle es sich ohne Stern komisch an, für ihren Koch sei der Verzicht aber am schwersten. Im Frühjahr 2020 hatte der Michelin den damals noch nicht mal 30-Jährigen für sein „wahres Talent“ und „reichlich Kreativität“ ausgezeichnet, weil Stockhausen gerne mal einen Kopfsalat mit Kalbskopf und Miesmuscheln kombinierte.
Kein Schnickschnack, auch nicht beim Interieur.
Natürlich könnte ich nun nach meinem Besuch im Wasser einen Text schreiben, in dem es wieder um die Krise des Fine Dinings in dieser Stadt geht. Auch Gudrun und Christof Ellinghaus haben zuletzt darum gekämpft, wenigstens immer genau den „Arsch über Latte“ zu kriegen, wie es Gudrun, diese humorvolle, offene Gastgeberin, so wunderbar plastisch schildert. Oder aber ich schreibe eine Hymne auf die Transformation – auch innerhalb dieser Spanne ist alles möglich.
Es wird Letzteres werden. Denn für mich ist die „Bistrofizierung“ des Ex-Cordo voll aufgegangen – für die Gastronomen, für die Gäste.
Seit jeher liebe ich es, mich spontan zum Essen zu verabreden. Etwas, das als Kehrseite des Menü-Only-Trends in der gehobenen Gastronomie verloren ging. An einem Dienstagabend spazieren eine Freundin und ich kurz nach 18 Uhr ins Wasser. Wir sind nicht die ersten, auch wird sich im Laufe des Abends jeder der 40 Plätze füllen. Aber der Laden lädt Kurzentschlossene geradezu ein. Links neben dem Eingang sind genügend Bistro-Hochtische, von hier aus hat man den besten Blick auf die geflieste Austernbar. Die Wände sind nun meerblau umgestrichen und deuten stilisierte helle Wellen an. Vom Gastraum bis zur mit knallbunten Fisch-Windspielen dekorierten Toilette atmet alles eine neue Lässigkeit – und ja: Humor.
Volle Seafood-Bars, die nach Muscheln, Frittiertem und Tintenfisch über Holzkohle duften, kenne ich aus meinen Sommerferien in Spanien. Schwer, das Gleiche im über 2000 Kilometer entfernten Berlin zu verlangen. Auch haben Pulpo, Garnelen, Skrei und Co. in Deutschland verständlicherweise ihren Preis. Beim Blick in die Karte, die in kleinere, rohe Speisen sowie größere warme geteilt ist, wird mir jedoch schnell klar: Yannic Stockhausen schafft etwas Eigenes, das keine Referenz hat.
Statt wie in Spanien ein Pfund blaue Garnelen pur mit Zitrone und Meersalz zu verputzen, was fantastisch schmeckt, aber hier sehr teuer wäre, setzt der Küchenchef Meeresprodukte und heimische Fische gekonnt als Highlights ein. Er kreiert geniale, sättigende Gerichte mit ihnen und um sie herum, so kontrastreich in Aromen und Texturen wie einst seine Menüs.
Ein Beispiel ist, wie er die mit Fett marmorierten Sashimi-Scheiben der Gelbschwanzmakrele kombiniert, diesen Raubfisch aus dem Südpolarmeer. Ihr cremiges, jodiertes Fischaroma bleibt zentral. Dazu schmiegen sich filetierte Blutorangen und Streifen vom Chicorée sowie eine intensive knallorangene Vinaigrette aus Karotte, Soja und Mirin an. Auch wenn der Fisch längst weg ist, will man die Soße noch ewig mit dem hausgebackenen Brot aufschlecken.
Austern in allen Varianten, so hip waren die Meeresfrüchte lange nicht.
Vom Saibling dagegen, den die Küche, sofern gerade erhältlich, von den regionalen Müritzfischern bezieht, wird reichlich rohes Filet verwendet. Der Küchenchef umhüllt es mit einer Mandelemulsion, die das Cremige des lachsverwandten Fisches unterstreicht. Seine Zitrusnuancen kitzelt er zusätzlich mit fein geschredderten Kaffir-Limettenblättern hervor, die mich sofort nach Asien beamen. Ein paar Salzkristalle obenauf sind die Vollendung.
Zuvor, als Auftakt, hatten wir uns zum Glas feinperligen Brut nature vom Pfälzer Weingut Leiner drei Fines-de-Claire-Austern gegönnt. Sie mussten einfach sein – so frisch, aromatisch und fest im Muskelfleisch, wie man sie sich nur wünschen kann. Obwohl ich Austern am liebsten nur mit Zitrone schlürfe, muss ich sagen, Stockhausens thai-inspirierte, süß-sauer-scharfe Fischsoße mit Palmzucker, Ingwer, Koriander, Knoblauch schmeckt genial dazu.
Dass der in Hamburg aufgewachsene Koch, der zuvor unter Sven Elverfeld im Wolfsburger Dreisternerestaurant Aqua und im zweifach besternten „Haerlin“ in Hamburg gearbeitet hat, eine Liebe für Streetfood hegt, daraus hat er nie einen Hehl gemacht. Sein Hobby: als Aushilfe an thailändischen und mexikanischen Streetfood-Ständen jobben. Auch was er mit Fisch anstellen kann, gab er hin und wieder an den legendären Seafood-Sundays im Cordo zum Besten.
Miesmuscheln – dazu passt natürlich Weißwein.
Gastronomie heißt: mit der Zeit gehen. Das wissen die beiden Inhaber und ihr Koch. Sie haben schon einige Transformationen hinter sich. Einst modelten sie ihre 2008 gegründete wilde Weinbar namens Cordobar ins seriöse Cordo um. Nun wurde es zur lässigen Fischbar.
Nach zwei extrem schlonzigen, mild-scharfen Tacos mit mariniertem Rotkohl und Tintenfisch im Teigmantel wagen wir uns an das, was für mich extrem spannend klingt: Miesmuscheln mit steirischem Wurstsalat. Ich habe Miesmuscheln mit Orangenmarmelade gegessen. Diese Kombi ist noch schräger und schmeckt irre gut. Der Wurstsalat ist als Zitat zu verstehen: Hauchfeine Streifen Fleischwurst und Gurke bilden ein Topping auf herrlich intensiven Muscheln, die klassisch mit Zwiebeln, Lauch, Weißwein und Essig gedämpft sind. Den Wow-Effekt bringt das Kürbisöl, das sich mit dem Muschelessigsud zur Suppe vermischt. Ich löffle sie bis zum letzten Tropfen aus.
In Berlin haben wir einen weiteren Stern weniger, essen deswegen aber nicht schlechter. Auch der Michelin ist gespannt, seine Antwort ließ nicht lange auf sich warten: Man habe vollstes Verständnis und werde Konzept und Küche genau beobachten. Auch im Wasser bleiben die Dinge nicht auf ewig. Oder wie schrieben Gudrun und Christof Ellinghaus so schön? „Nichts ist so beständig wie die Veränderung.“
Rohe Speisen 18–38 Euro, warme Speisen 12–38 Euro, Brot mit Estragonbutter 9 Euro, Desserts 10–16 Euro
Wasser Seafood-Bar. Große Hamburger Straße 32, 10115 Berlin. Di–Sa ab 18 Uhr. www.inswasser.berlin
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