Teile des Schienennetzes sind miserabel – aber immerhin sicher

Zentrale Teile des deutschen Schienennetzes sind in einem miserablen Zustand. Das ist das Ergebnis des jüngsten Netzzustandsberichts, der in der vergangenen Woche veröffentlicht wurde und sich auf das Jahr 2022 bezieht. Rund 16 Prozent des mehr als 33.000 Kilometer langen Netzes seien in einem Zustand, der als „schlecht“ (Note 4) oder gar „mangelhaft“ (Note 5) bezeichnet wird. Insgesamt erhält es nur die Note 3,0 und wird damit als mittelmäßig bewertet. Bei vergleichbaren Untersuchungen kommt das österreichische Netz auf eine Note von 2,1.

Trotzdem könnten sich Bahnkunden bedenkenlos in die Hochgeschwindigkeitszüge der Deutschen Bahn setzen. Das hat der Infrastrukturvorstand der Deutschen Bahn, Berthold Huber, im Gespräch mit der F.A.Z. versichert. „Dieser Zustandsbericht sagt überhaupt nichts über die Sicherheit der Infrastruktur aus, sondern über die Störanfälligkeit der Komponenten“, stellte Huber klar. Vor allem Brücken und Stellwerke sind in einem beklagenswerten Zustand. Im Juli startet die Bahn die Generalsanierung ihrer Hochleistungskorridore, die sich mindestens über die nächsten sieben Jahre hinziehen wird und erstmals auch nach und nach zu monatelangen Vollsperrungen auf zentralen Strecken führen wird.

Bislang wurde das Netz meist „unter dem rollenden Rad“ repariert, was Bauprozesse in die Länge gezogen hat und selten zu einer vollständigen Erneuerung führte. Finanziert werde dies nun durch das „größte Infrastruktursanierungspaket in der deutschen Eisenbahngeschichte“, betonte Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) gegenüber der F.A.Z. Teil der Neuaufstellung ist außerdem eine Bahn-Reform, mit der Bahnhöfe und Schienennetz zum 1. Januar in eine gemeinwohlorientierte Infrastrukturgesellschaft, genannt DB Infra Go, überführt wurden.

Wissing entsetzt

Die große Störanfälligkeit führe dazu, dass insbesondere veraltete Stellwerke zunehmend ausfielen. Als Beispiel nannte Bahn-Manager Huber ein Stellwerk in Ingolstadt, das 1966 gebaut wurde. Sicherheitstechnisch sei dies überhaupt kein Problem, versicherte er – aber wenn die Technik ausfiele, müssten die Züge warten, bevor sie weiterfahren können. Die veraltete und überlastete Schieneninfrastruktur führt deshalb immer wieder zu Störungen, die sich auf das gesamte Netz auswirken und die Pünktlichkeit im vergangenen Jahr auf einem Tiefpunkt gebracht haben. Sie liegt inzwischen nur noch bei rund 60 Prozent. Umgekehrt erreichen vor allem die Ausbaustrecken im Osten Deutschlands eine überdurchschnittlich positive Bewertung. Die Region Südost erreicht eine Zustandsnote von 2,63, die Strecke zwischen dem oberfränkischen Ebensfeld und Leipzig sogar eine Note von 1,76.

Wissing räumte ein, dass ihn die Ergebnisse des jüngsten Netzzustandsbericht entsetzt hätten. Sie könnten allerdings auch nicht überraschen, weil die Störanfälligkeit die logische Konsequenz der Vernachlässigung des Netzes sei. „Dass man das in einer Zeit hat schleifen lassen, in der man der Öffentlichkeit versprochen hat, dass man mehr auf die Schiene verlagern möchte, verstehe ich nicht“, kritisierte er mit Blick auf seine Amtsvorgänger von der CSU. Schon die alte Bundesregierung hat sich ehrgeizige Ziele gesetzt, etwa die Verdopplung der Fahrgastzahlen bis 2030 oder die Steigerung des Marktanteils des Schienengüterverkehrs von derzeit rund 19 Prozent auf 25 Prozent.

Jedenfalls hätten diese Ergebnisse auch seine Position in den schwierigen Haushaltsverhandlungen gegenüber Bundesfinanzminister Christian Lindner gestärkt, betonte Wissing. Das Konzept der Generalsanierung habe Lindner und auch den Bundeskanzler überzeugt. Das sei der Grund gewesen, warum in der aktuellen angespannten Haushaltslage trotzdem zusätzliche Mittel von mehr als 30 Milliarden Euro für die kommenden Jahre sichergestellt werden konnten. Ein Großteil wird die Bahn über eine Eigenkapitalerhöhung erhalten.

Besorgniserregend dürften auch die Kosten sein, die der Netzzustandsbericht als „Nachholbedarf“ nennt. Dieser sei inzwischen auf 90 Milliarden Euro angewachsen, wovon 24 Milliarden Euro einen „dringenden Nachholbedarf“ aufweisen. Im Vergleich dazu betrug er noch 54 Milliarden Euro im Jahr zuvor. Die enorme Steigerung sei im Wesentlichen auf Preiseffekte zurückzuführen, heißt es in dem 25 Seiten langen Bericht. Die gestiegene Inflation in den vergangenen zwei Jahren hat dazu geführt, dass sich die Baukosten in vielen Bereichen stark erhöht haben.

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