Suchfonds: Suche Unternehmen, biete mich als Chef
120 Prozent: Till Bossert hat den Umsatz von Geschäftsführer zu Herchenbach Industrial vervielfacht.
Deutschlands Unternehmer haben ein Nachwuchsproblem. Durch den demographischen Wandel steigt die Anzahl der Unternehmen, die nach Nachfolgeregelungen suchen, gleichzeitig sinkt jedoch die Anzahl junger Kandidaten. Laut einer Sonderauswertung des KfW-Gründungsmonitors 2023 streben immer weniger junge Leute eine berufliche Selbständigkeit an.
Eine Lösung dafür ist in Deutschland noch weitgehend unbekannt: Search Funds (Suchfonds). „Search Funds bringen drei Parteien zusammen: einen angehenden Jungunternehmer, einen übergabewilligen Altunternehmer und Finanzinvestoren“, sagt Unternehmensberater Leonhard Wagner von der Beratungsgesellschaft EY. Jungunternehmer, die nicht selbst gründen wollen oder können, werden aus einem Pool von bis zu 18 Investoren gefördert und suchen mit deren Hilfe über einen Zeitraum von rund zwei Jahren nach einem geeigneten Unternehmen, das sie übernehmen und aufwerten wollen. Suchphase und Übernahme werden von den Investoren finanziert, die dafür Anteile am Unternehmen erhalten.
Berater auf der Suche: Leonhard Wagner nennt als hartes Kriterium einen operativen Gewinn von 1,5 bis 5 Millionen Euro.
„Zu 120 Prozent Geschäftsführer mit Leib und Seele“
Harvard-Professor Irving Grousbeck hat das Konzept Mitte der Achtzigerjahre entwickelt. Durch die Nachfolgeproblematik habe Deutschland dafür grundsätzlich eine gute Ausgangslage, sagt Wagner. Bisher gab es hierzulande etwa 15 Suchfonds. Wagner erklärt das vor allem mit fehlenden formellen Strukturen.
Suchfonds seien in anderen Ländern, neben den USA etwa in Großbritannien und Spanien, auch durch die Aktivität von Business Schools und deren MBA-Programme viel prominenter. Gemeinsam mit Michael Grote, Professor für Unternehmensfinanzierung an der Frankfurt School of Finance & Management, hat Wagner eine Studie zu Suchfonds herausgebracht.
Auch wenn Grote davon ausgeht, dass Suchfonds wohl ein Nischeninstrument bleiben werden – Wagner ist optimistisch, dass sich das Konzept in Deutschland durch „die Erfolgsstorys bisheriger Search Funds“ weiterverbreiten wird.
Skepsis gegenüber dem Modell teils „extrem hoch“
Eine dieser Erfolgsstorys ist die von Till Bossert. Gemeinsam mit seinem Arbeitskollegen Tobias Raeber übernahm er 2015 das Unternehmen Herchenbach Industrial Buildings aus einer „typischen Nachfolgesituation“. Seither ist er „zu 120 Prozent Geschäftsführer mit Leib und Seele“. Seit der Übernahme hat sich das Unternehmen aus Hennef, ein Anbieter von modularen Lager- und Industriehallen für Geschäftskunden, zu einem der Marktführer in Deutschland entwickelt. „Wir haben uns auf der Umsatzseite ungefähr verfünffacht“, sagt Bossert stolz.
Doch wieso hat er sich überhaupt für das Konzept der Suchfonds entschieden? Nach seinem Wirtschaftsingenieurwesen-Studium wählte Bossert zunächst einen, wie er sagt, klassischen Einstieg: „Die große weite Welt der Unternehmensberatung.“ Dort habe er gemerkt, was er machen wollte (etwas Unternehmerisches) und was nicht (in einem großen Konzern arbeiten).
So habe es dann zwei Optionen gegeben: gründen oder kaufen. „Ich hatte jetzt nicht die zündende Idee, aber etwas Bestehendes besser zu machen und da die Ärmel hochzukrempeln, konnte ich mir gut vorstellen.“ Über Raeber hörte er zum ersten Mal von Suchfonds – und wurde neugierig. Nach Gesprächen mit ehemaligen Suchern stand für ihn fest: Das ist etwas für mich. Und so machte er sich gemeinsam mit Raeber ans Werk.
Erster Schritt: Investorensuche. Weil sie zu den ersten „Suchern“ in Deutschland gehörten, sei das verfügbare Investorennetzwerk in Europa entsprechend klein gewesen. Den ersten deutschen Suchfonds gab es im Jahr 2011, den zweiten im Jahr 2013. „Wir mussten an sehr viele Türen klopfen, und die Skepsis gegenüber dem Modell ist bei denen, die das nicht kennen, extrem hoch“, sagt Bossert.
„Wir haben uns sehr viele Klatschen und hochgezogene Augenbrauen abgeholt. Aber das ist halt Teil des Prozesses, da muss man durch.“ Er lacht. Irgendwann hätten sie die Koffer gepackt, um in den USA Investoren, die schon in Suchfonds investiert hatten, zu überzeugen, in den deutschen Markt einzusteigen. Nachdem das gelungen war, habe man „den Sack mit restlichen Investoren aus Europa vollgemacht“.
Vom Investmentbanker zum Investor
Einer dieser Investoren ist Jan Woitschätzke. Der ehemalige Investmentbanker investiert seit Jahren in deutsche Search Funds. 2004 hatte der 54-Jährige selbst ein Unternehmen „gesucht, gefunden und gekauft“. „Ich habe im Endeffekt das Gleiche gemacht, was Search Funds machen“, sagt Woitschätzke. Allerdings habe er damals von dem Konzept noch nichts gewusst. Er sei dann von Deutschlands erstem Searcher angesprochen worden, ob er investieren wolle, und habe schnell erkannt, was für eine „super Sache“ das Konzept sei.
Seitdem investiert er in deutsche Search Funds – bis heute. Denn auch in diesem Jahr hat Woitschätzke schon weitere Beteiligungen an Suchfonds zugesagt. Bossert habe ihn damals kontaktiert, da Woitschätzke zuvor ja schon in andere deutsche Search Funds involviert war. Die Entscheidung, bei Bossert als Investor einzusteigen, sei dann schnell gefallen, sagt er. Person, Vision und Konzept hätten ihn überzeugt. Nach der Übernahme von Herchenbach habe ihn Bossert dann gefragt, ob er in den Beirat gehen wolle.
Auch bei vielen anderen ehemaligen Search Funds ist er noch unterschiedlich involviert, bei manchen sitzt er ebenfalls in den Beiräten. Die „große Stärke“ des Modells sei, „dass man mit den handelnden Personen zusammenarbeitet“.
„Wir hatten einen sehr persönlichen Ansatz mit konsistenter Story“
Insgesamt hätten die zwei Jahre der Suchphase eine mittlere sechsstellige Summe gekostet, aufgebracht von einer Vielzahl von Investoren, erzählt Bossert. Und nachdem der Suchfonds „Kronos Kapital“ gegründet, alle Verträge aufgesetzt und die Höhe der Beteiligung der Investoren beschlossen war, konnte die Suche nach geeigneten Firmen beginnen.
Geeignet heißt, dass die Unternehmen bestimmte Qualitätsstandards erfüllen müssen. „Das härteste Kriterium“ sei ein operativer Gewinn von 1,5 bis 5 Millionen Euro, sagt Wagner. Zudem sollte das Unternehmen über robuste Finanzmittelzuflüsse verfügen und möglichst wenig Investitionsbedarf bestehen. Unternehmen, die diese Kriterien erfüllen, gebe es in Deutschland genug, etwa Dienstleistungs- oder Softwareunternehmen, sagt Wagner. Maschinenbaufirmen dagegen seien aufgrund ihres stetigen Investitionsbedarfs weniger geeignet. Die Überlegung hinter den Qualitätsanforderungen sei, dem Sucher in einem stabilen Umfeld Zeit zu geben, sich in seine neue Rolle, die Branche und das Unternehmen einzuarbeiten.
Weil Suchfonds unter Unternehmern unbekannt sind, ist die Suche selbst sehr vom Sucher getrieben. Dafür eignen sich zwei Herangehensweisen: die proprietären, sprich die direkte, oder die intermediäre Suche, etwa über Broker. Bossert und Raeber entschieden sich für Ersteres. „Wir hatten einen sehr persönlichen Ansatz mit konsistenter Story“, sagt Bossert. „Wir waren nicht Kronos, sondern Tobias und Till.“ Das kam bei den Unternehmern gut an – und führte letztlich zum Erfolg: Nach zwölf Monaten Suche fanden sie im Herbst 2014 Herchenbach, Anfang 2015 stand dann die Übernahme.
Rückzug oder länger führen?
Auch heute, bald neun Jahre später, ist Bossert von dem Konzept überzeugt. Im Durchschnitt würden die meisten „nach sieben, acht Jahren wieder die Segel streichen“. Auch Raeber zieht sich 2019 aus dem operativen Geschäft zurück. Bossert bleibt. Sein Ziel sei, das Unternehmen bestmöglich so lange zu führen, wie er glaube, dass er der Richtige dafür sei.
Das Besondere an dem Ansatz sei ja, dass er etwas für Leute sei, „die sich das ganze Ding strukturiert erarbeiten wollen“. Es gehe nicht nur darum, mit allen Mitteln Nachfolger zu werden, sondern auch darum, ein gutes Unternehmen zu finden. Er sei da, wo er sein wolle. Auf einer Skala von „Wie gut hätte es kommen können?“ sei es eine „Zehn von zehn“.
Gleichzeitig sei es ihm wichtig zu betonen, dass das Konzept nicht für jeden etwas sei. Für ihn habe es gut funktioniert, aber alles habe seine Vor- und Nachteile. Das Verfahren gebe einem zwar etwas mehr Sicherheit als andere Gründungsformen, aber man müsse in jeder Hinsicht „offen an die Geschichte rangehen“ – sei es gegenüber der Branche, dem Unternehmen oder dem Standort. Auch auf Zurückweisung müsse man sich einstellen, denn man hole sich „in allen Phasen viele Neins ab“. Und nach der Übernahme sei die große Herausforderung, das Geschäft zu lernen, während man versuche, Team und Unternehmenskultur weiterzuentwickeln und das Unternehmen auf Wachstumskurs zu bringen. Das dauere.
„Zack, war das Thema tot“
Und viel kann schiefgehen. Etwa, dass sich kein Unternehmen findet und am Ende das Kapital des Suchfonds aufgebraucht ist. Etwa jeder dritte Sucher scheitert daran. Der zweite Fall: Es kommt zur erfolgreichen Übernahme, und das Unternehmen fällt aus – beispielsweise aufgrund von Insolvenz.
Von dieser Art Herausforderung kann Bossert ein Lied singen. „Wir hatten mal einen Deal, wir waren ziemlich weit, den mussten wir ziehen lassen.“ Denn just in jenem Jahr sei dem Unternehmen ein großer Kunde abgesprungen, der 30 Prozent des Umsatzes ausgemacht hatte. Der operative Gewinn sei dadurch so gesunken, dass der Eigentümer zu dem Preis, den Bossert und sein Team noch zu zahlen bereit gewesen wären, nicht mehr verkaufen wollte. „Zack, war das Thema tot“, sagt Bossert.
In solchen Situationen schätze er die Unterstützung der Suchfonds-Gemeinschaft besonders. Dort werde großer Wert auf Erfahrungsaustausch, Rückhalt und Unterstützung gelegt. Denn auch nach der erfolgreichen Abwicklung des Suchfonds blieben viele Teil dieser Community. „Ich bin in mehreren Beiräten für Search Funds. Da gibt man das Wissen an die nächste Generation weiter“, sagt Bossert.
Und wer weiß, vielleicht trainiert er demnächst Wagner. Denn nicht nur um den Ansatz in Deutschland populärer zu machen, hat Wagner seine Masterarbeit zu diesem Thema geschrieben. Vielmehr will er noch in diesem Jahr selbst als Sucher einsteigen.