Studie der FU Berlin: Gefährden politische Umfragen unser Zusammenleben?
Politik, Medien und Zivilgesellschaft haben einen großen Einfluss auf die Meinungen in Deutschland.
Eine aktuelle Studie von Soziologen der Freien Universität Berlin (FU) in Dahlem und der Universität Bielefeld zeigt, dass nur wenige Fragen in Umfragen das Potenzial haben, die Gesellschaft zu polarisieren. Die Soziologen Céline Teney und Giuseppe Pietrantuono von der FU Berlin und Tobias Wolfram von der Universität Bielefeld haben untersucht, welche Faktoren in Umfragen Bürgerinnen und Bürger zu Gegnern oder Befürwortern politischer Aussagen machen können. Die Studie wurde am Montag in dem Online-Fachmagazin PlosOne veröffentlicht, wie die FU Berlin mitteilte.
Die Forschenden haben die Antworten auf insgesamt 817 Fragen analysiert, die das Meinungsforschungsinstitut Civey in verschiedenen Umfragen deutschen Bürgerinnen und Bürgern zwischen Januar und Oktober 2022 gestellt hat. Dabei sind sie zu dem Ergebnis gekommen, dass nur 20 Prozent der Fragen ein nennenswertes Polarisierungspotenzial aufwiesen. „Eine nennenswerte distributive Polarisierung lässt sich in Deutschland bei keinem Thema beobachten“, sagte Makrosoziologin Teney. Diese läge jedoch erst vor, wenn sich die überwiegende Mehrzahl der Bürger für einen der beiden Pole des Meinungsspektrums entscheiden würde.
Die strittigste Frage war dabei: „Sollte jeder Erwachsene automatisch als Organspender gelten, wenn er nicht explizit widerspricht?“. Hier zeigten sich die meisten Antworten auf den zwei Polen, die eine deutliche Zustimmung oder Ablehnung darstellen. Alle Umfragethemen hatten der FU zufolge eine politische Stoßrichtung und reichten von Fragestellungen wie „Für wie bürokratisch halten Sie Deutschland?“ über „Sollten Plastiktüten sofort verboten werden?“ bis zu hin zu „Sollten homosexuelle Paare die gleichen Adoptionsrechte haben wie heterosexuelle Paare?“
Die Forschenden betonen, dass die soziologische Forschung wiederholt nachgewiesen hat, dass von einer Meinungspolarisierung in Deutschland keine Rede sein kann. „Wir hoffen, dass unsere besonders große Stichprobe von Fragen dazu beitragen wird, die Debatte auf die wahren Gefahren für unser Zusammenleben zu lenken: Desinformation und eine verrohende Diskussionskultur“, so Teney. Hier müssten der Wissenschaftlerin zufolge Politik, Medien und Zivilgesellschaft ansetzen, statt sich an der falschen Diagnose „Polarisierung“ abzuarbeiten.
In ihrer Studie sind die Forschenden erstmals umfassend Faktoren nachgegangen, die Ballungen an den Polen begünstigen. Sie fanden heraus, dass mediale Präsenz und Formulierung wesentliche Einflussfaktoren sind. Außerdem weisen „harte“ politische Fragen ein höheres Polarisierungspotenzial auf als Fragen mit einem sozio-kulturellen Hintergrund.
Quelle: Freie Universität Berlin