Strategiepapier: Wie die Linke aus der Krise kommen will
Janine Wissler, Parteivorsitzende der Linken
Sören Pellmann hat gerade wieder erfahren, wie schwer der Wahlkampf für die Linke sein kann. Kaum hatte der Vorsitzende der Linken-Gruppe im Bundestag in einer Nachtaktion in seinem Leipziger Wahlkreis die Wahlplakate für Europa- und Kommunalwahlkampf aufgehängt, musste er wenige Stunden später feststellen, dass viele davon beschmiert und wieder abgerissen worden sind. So hat Pellmann es am Wochenende auf X dokumentiert. Allerdings dürfte ihm auch klar sein, dass es derzeit noch ganz andere Schwierigkeiten für seine Partei gibt.
Sören Pellmann, Vorsitzender der Linken-Gruppe im Bundestag
Denn viel schwerer als ein paar zerstörte Plakate wiegt für die Linke, dass nach Jahren des internen Streits zwar Sahra Wagenknecht und ihre Anhänger die Partei Ende vergangenen Jahres verlassen haben – die Umfragen jedoch kurz vor der Europawahl und den drei so wichtigen Landtagswahlen im Osten wenig Gutes verheißen.
In Sachsen und Brandenburg liegt die Linke weit hinter dem Bündnis Sahra Wagenknecht und muss gar um den Einzug in den Landtag bangen. In Thüringen droht der gerade am Samstag als Spitzenkandidat bestätigte einzige Ministerpräsident der Partei sein Amt zu verlieren.
Ein gemeinsames Papier als Signal der Geschlossenheit
So ist Pellmann an diesem Wochenende nicht nur unterwegs gewesen, um Plakate aufzukleben. Die ganze Spitze von Partei und Gruppe versucht gerade, eine Wahlkampf-Wende hinzubekommen. Am Wochenende gab es neben einer Strategietagung zusammen mit den Landesvorsitzenden in Templin auch etwas ganz Ungewöhnliches zu vermelden: die Veröffentlichung eines gemeinsamen Strategiepapieres der Gruppenvorsitzenden (neben Pellmann ist das Heidi Reichinnek) und der Parteivorsitzenden Janine Wissler und Martin Schirdewan.
Dass die vier sich zusammengetan haben, um auf vier Seiten aufzuschreiben, wie die Linke wieder aus der Krise kommen soll, ist dabei schon das wichtigste Signal nach all den Jahren der Spannung auch zwischen Partei- und einstiger Fraktionsführung. Die Botschaft: Die Lage ist ernst, wir haben es begriffen, wir haben eine gemeinsame Vorstellung, wie es besser werden soll. Der Titel: „Für einen sozialen Politikwechsel – die Weichen richtig stellen.“ Also: Die Linke will sich auf ihre Kernthemen konzentrieren, allen voran Fragen der sozialen Gerechtigkeit und der Verteilung.
„Unser Ziel ist es, das in den letzten Jahren verlorene Vertrauen zurückzugewinnen und den Menschen deutlich zu machen, dass wir ihre Alltagssorgen im Blick haben“, heißt es in dem Papier. „Wir wollen genauso die Stimme derjenigen sein, die von der Ampel-Regierungspolitik enttäuscht sind, wie von denen, die sich in den letzten Jahren von der Politik in Gänze nicht mehr wahrgenommen fühlen.“ Und: „Für uns als Partei, aber auch für die ganze Gesellschaft steht bei den kommenden Wahlen viel auf dem Spiel.“
Das Spiel gewinnen will die Linke mit Forderungen nach einer Viertagewoche, einem Mindestlohn von 15 Euro, kostenlosem Mittagessen an Grundschulen, Senkung der Krankenkassenbeiträge bis zu einem Einkommen von 6000 Euro, einer Offensive beim öffentlichen Wohnungsbau und einem bundesweiten Mietendeckel. Möglich machen soll das alles eine Abschaffung der Schuldenbremse, eine angemessene Besteuerung großer Erbschaften, bei der aber der Fortbestand von Unternehmen gesichert werden soll, und die Wiedereinführung der Vermögensteuer.
Überraschender ist da schon, was gar nicht oder nur kurz in dem Papier erwähnt wird. So gibt es zwar einen ausführlichen Absatz zur Klimapolitik, jedoch nur wenige Zeilen zur Außenpolitik: Soziale Gerechtigkeit erfordere Frieden, heißt es da. Man fordere ein Ende „von Eskalation und Aufrüstung, von der vor allem die Rüstungskonzerne profitieren“. Gar keine Ausführung gibt es zu einem Thema, das den ein oder anderen Wähler gerade im Osten dann doch bewegen dürfte, Anhänger von Wagenknecht ohnehin: Migration und Integration.