Spaniens Regierungschef Pedro Sánchez tritt doch nicht zurück. Selbst Verbündete kritisieren jetzt seine politische Pirouette
Die Entscheidung Pedro Sánchez’ blieb bis zuletzt der Öffentlichkeit verborgen. Bernat Armangue / AP
Pedro Sánchez hat offenkundig einen Hang zur Dramatik. Mit düsterer Miene verliess Spaniens Regierungschef letzten Mittwoch abrupt das Madrider Abgeordnetenhaus, als bekanntwurde, dass gegen seine Gattin Begoña Gómez Ermittlungen wegen Korruptionsverdacht aufgenommen werden sollen. In einem offenen Brief an alle Spanier, der noch am Mittwochabend folgte, fragte er sich, ob es sich lohne, im Amt zu bleiben, wenn der Preis dafür Schmutzkampagnen gegen die eigene Familie seien. Fünf Tage lang werde er nun gemeinsam mit seiner Ehefrau darüber nachdenken.
Die Spanier hatten mehrheitlich damit gerechnet, dass Sánchez am Montag zurücktreten würde und dass im Sommer gewählt werden muss. Dann kam die unerwartete Kehrtwende in Form einer institutionellen Erklärung, die Sánchez Punkt 11 Uhr – ungewöhnlich früh für spanische Verhältnisse – vor seinem Regierungspalast abgab: «Wir werden die Angriffe ertragen und ihnen standhalten.»
Sánchez’ Ehefrau, die kein politisches Amt ausübt, wird unter anderem vorgeworfen, bei der Vergabe von staatlichen Corona-Hilfsgeldern einen ihrer Geschäftspartner mit einem Empfehlungsschreiben begünstigt zu haben. Sánchez und die First Lady hatten die Vorwürfe stets bestritten. Gómez leitete inzwischen rechtliche Schritte gegen mehrere digitale Nachrichtenportale ein. Doch diese werden sich davon schwerlich beeindrucken lassen. Er rechne damit, dass die «Diffamierungskampagne» gegen das Ehepaar anhalten werde, so Sánchez denn auch in seiner Ansprache.
Er werde allen Schwierigkeiten zum Trotz im Amt bleiben und wenn möglich dieses sogar noch kraftvoller ausfüllen als zuvor. «Wir haben zu lange zugesehen, wie Schmutzkampagnen, die vor Jahren noch undenkbar waren, das öffentliche Klima vergiften», so rechtfertigte Sánchez seine Pirouette, mit der selbst seine engsten Vertrauten nicht mehr gerechnet hatten. Die Mobilisierung seiner Landsleute, die am Wochenende in mehreren Städten für seinen Verbleib im Amt demonstriert hatten, habe ihn und seine Gattin zum Weitermachen bewegt.
Mit den Gefühlen der Wähler gespielt
Doch die anfängliche Freude in den Reihen der Sozialisten wurde schnell gedämpft durch die kritischen Töne in den Reihen von Sánchez’ Verbündeten im Parlament, den Linksparteien und kleinen Regionalparteien. Sánchez ist seit 2018 an der Macht, seit dem Sommer letzten Jahres steht er einer Minderheitsregierung vor und ist deshalb bei jeder Abstimmung im Parlament auf die Unterstützung der Kleinparteien angewiesen.
Besonders weh tat daher wohl die Reaktion von Kataloniens Regierungschef Pere Aragonès, einem der wichtigsten Verbündeten von Sánchez im Parlament. Der Ministerpräsident habe mit seiner Auszeit überreagiert und mit den Gefühlen der Spanier gespielt, so Aragonès. Er unterstellte Sánchez wahlpolitisches Kalkül, um seine Anhänger mit dem Gespenst eines Rücktritts vor dem Urnengang in Katalonien im Mai und den Europawahlen im Juni zu mobilisieren.
Kritische Töne hagelte es auch bei den traditionell verbündeten Linken. Sánchez habe sich mit seinem Rückzieher lächerlich gemacht, sagte Pablo Iglesias, Gründer der Linkspartei Podemos und ehemaliger Vizepräsident in Sánchez’ Regierung.
«Chance zum Rücktritt verpasst»
Doch sollte der spanische Ministerpräsident gehofft haben, dass sich das aufgeheizte Klima in Spaniens Politik nach dieser fünftägigen Pause etwas beruhigt, hat er sich wohl getäuscht. Santiago Abascal, der Chef der ultrarechten Partei Vox, bezeichnete den Regierungschef gleich nach dessen Ansprache als «Despoten» und «Autokraten».
Fast genauso hart ging der Oppositionsführer Alberto Núñez Feijóo vom Partido Popular mit Sánchez ins Gericht. Was Sánchez getan habe, sei nicht komisch, sondern tragisch. Seine Unberechenbarkeit sei ein schweres Handicap. Der Regierungschef habe eine hervorragende Chance verpasst, zurückzutreten. Er habe in seinen Jahren an der Macht die Polarisierung der spanischen Gesellschaft nur weiter vorangetrieben und das Land wieder in zwei Lager gespalten.
Eine ähnliche Diagnose stellt die Politologin María Luengo, die allerdings auf konkrete Schuldzuweisungen verzichtet. Die wachsende Polarisierung sei vor allem der generellen Verrohung in der spanischen Politik geschuldet, so Luengo im spanischen Rundfunksender SER, und dies sei bei allen Parteien zu beobachten. Zwei feindliche Blöcke stünden sich unversöhnlich gegenüber. Sánchez versprach in seiner Erklärung eine demokratische Erneuerung von Spaniens Politikbetrieb. Doch dies wirkt angesichts der angespannten Situation nur wie ein frommer Wunsch.