SP-Prämieninitiative startet mit deutlichem Ja – doch reicht dies?
Würde jetzt abgestimmt, nähmen 60 Prozent die Prämienentlastungsinitiative an. Es gibt aber Indizien, dass sich dies bis am 9. Juni ändern könnte. Gut sieht es für Albert Röstis Stromgesetz aus.
Noch ist die SP (hier bei der Einreichung ihrer Prämienentlastungsinitiative) auf Siegeskurs. Doch bei der 13. AHV-Rente war Pierre-Yves Maillard (vorne rechts) erfolgreicher unterwegs.
Gelingt der SP und den Gewerkschaften nach dem Ja zur 13. AHV-Rente ein zweiter Coup? In der ersten Welle der repräsentativen Abstimmungsumfrage von Tamedia und «20 Minuten» kommt die Prämienentlastungsinitiative auf einen Ja-Anteil von 60 Prozent. Lediglich 36 Prozent wollen Nein stimmen, der Rest ist noch unentschlossen.
Das Schweizer Volk könnte also innerhalb weniger Monate eine zweite Initiative annehmen, die einen Sozialausbau verlangt. Das wäre fast revolutionär. Denn zuvor hat es dies in der Geschichte der Eidgenossenschaft noch nie gegeben.
Selbst bei der SVP und der Mitte stösst die linke Prämienentlastungsinitiative heute mehrheitlich auf Zustimmung. Sie will dafür sorgen, dass kein Haushalt mehr als zehn Prozent seines verfügbaren Einkommens für Krankenkassenprämien ausgeben muss. Einzig bei den Freisinnigen kommt das schlecht an. Unter ihnen wollen deutlich mehr Nein als Ja auf den Stimmzettel schreiben.
Interessant ist auch der Einkommensgraben: Unter jenen, die weniger als 4000 Franken pro Monat verdienen, sagen 75 Prozent Ja zur Prämienentlastungsinitiative. Unter den mehr als 16’000 Franken Verdienenden sind es dagegen nicht einmal halb so viele, nämlich bloss 31 Prozent. Eine deutliche Mehrheit der Hochbezahlten lehnt die Initiative ab.
In der Westschweiz und im Tessin ist die Zustimmung mit 69 respektive 71 Prozent deutlich höher als in der Deutschschweiz, wo gegenwärtig 57 Prozent ein Ja einlegen wollen.
Prämieninitiative startet schwächer als 13. AHV-Rente
Noch ist es für die Befürworter zu früh, um den Champagner kaltzustellen. Volksinitiativen starten nämlich oft mit einer breiten Zustimmung und verlieren dann im Verlauf des Abstimmungskampfs an Rückhalt. Denn: Zu Beginn dominiert das Einverständnis mit dem Grundanliegen. Viele honorieren die Benennung des Problems. Während des Abstimmungskampfs findet dann eine vertiefte Auseinandersetzung mit der vorgeschlagenen Lösung statt, wobei der Ja-Anteil in der Regel schrumpft.
Das war auch bei der 13. AHV-Rente der Fall, aber weit weniger ausgeprägt als bei anderen Initiativen. Denn hier zeigte sich schon früh eine starke Entschlossenheit. Bei der 13. AHV-Rente sagten in der ersten Umfragewelle 71 Prozent, sie würde Ja stimmen, wovon lediglich 8 Prozent noch ein «eher» hinzufügten. Bei der Prämienentlastungsinitiative sind es nun insgesamt 60 Prozent Ja, wovon 15 Prozent «eher».
Damit startet die SP-Initiative nicht nur schwächer als die 13. AHV-Rente. Das Ja ist wegen des höheren «Eher»-Anteils auch weniger gefestigt als damals. Dies könnte am Ende entscheidend sein. Bei der 13. AHV-Rente sagten an der Urne schliesslich 58 Prozent Ja – also 13 Prozent weniger als in der ersten Umfragewelle. Kommt es bei der Prämienentlastungsinitiative zu einem Rückgang im selben Ausmass, reicht es am Ende nicht. Zumal nebst dem Volks- auch das Ständemehr erreicht werden muss.
«Im Abstimmungskampf, der bisher noch verhalten ist, dürfte sich der Blick vermehrt auf die Kosten der Initiative richten, was den Gegnern hilft», sagt Politologe Lucas Leemann, der die Umfrage mit seiner Firma Leewas für Tamedia und «20 Minuten» durchgeführt hat. Noch sei die Unterstützung der SVP-Basis leicht im Ja, aber das könne sich noch ändern.
Kostenbremse-Initiative verliert markant an Rückhalt
Die erste Umfragewelle fand am 17. und 18. April statt und umfasst 12’395 modellierte Antworten. Vergleicht man die Resultate mit jenen unserer Nachbefragung unmittelbar nach der Abstimmung vom 3. März, so zeigt sich bereits ein kleiner Rückgang des Ja-Anteils bei der Prämienentlastungsinitiative. Damals waren nämlich 64 Prozent dafür, jetzt noch 60 Prozent.
Noch stärker ist die Zustimmung zur Kostenbremseinitiative eingebrochen. Wollten Anfang März noch 72 Prozent dem Volksbegehren der Mitte zustimmen, sind es jetzt nur noch 54 Prozent – davon fast die Hälfte «eher». Auf der anderen Seite ist die Zahl der Nein-Sager von 11 auf 38 Prozent gestiegen.
Wie bei der Prämienentlastungsinitiative zeigt sich auch hier ein Einkommensgraben: Während 60 Prozent der weniger als 4000 Franken Verdienenden die Kostenbremseinitiative annehmen wollen, sind es bei den über 16’000 Franken Verdienenden nur 43 Prozent.
Unter den Parteien ist naheliegenderweise vor allem die Mitte dafür. Aber auch bei den übrigen Parteien kommt die Initiative noch auf eine mindestens relative Ja-Mehrheit – wenn auch nicht sehr deutlich.
Ein weiterer Rückgang der Zustimmung scheint laut Lucas Leemann absehbar: «Die Konsequenzen der Initiative sind unklar, was es für die Gegnerschaft einfach macht, ein Schreckensszenario mit einem Leistungsabbau zu zeichnen.»
Nur die eigene Partei stimmt gegen Albert Rösti
Gut sieht es hingegen fürs Stromgesetz aus. Es soll dafür sorgen, dass mehr Strom aus erneuerbaren Energien produziert wird und die Schweiz ihre Abhängigkeit von Energieimporten reduzieren kann – vor allem im Winter. 65 Prozent wollen laut Umfrage dem Gesetz zustimmen, das von Albert Rösti noch als Nationalrat massgeblich geprägt und nun als Energieminister vertreten wird.
Landschaftsschützer haben dagegen das Referendum ergriffen. «Trotzdem wollen nur 13 Prozent der Grünen Nein stimmen, das ist bemerkenswert», sagt Lucas Leemann. Auch in den meisten anderen Parteien kommt die Vorlage gut an. Einzig bei der SVP ist mit 53 Prozent eine Mehrheit der Basis dagegen. Sie stellt sich wie ihre Parteispitze gegen ihren eigenen Bundesrat. Doch im Moment sieht es danach aus, als würde dieser an der Urne obsiegen.
Keine Chance haben dürfte dagegen die «Stopp-Impfpflicht»-Initiative. Sie verlangt, dass «Eingriffe in die körperliche und geistige Unversehrtheit» einer Person deren Zustimmung bedarf. In der ersten Umfragewelle kommt sie lediglich auf eine Zustimmung von 29 Prozent. Demgegenüber wollen 51 Prozent Nein sagen, und 20 Prozent sind noch unentschlossen.
«Diese Initiative fällt bei allen Parteien durch ausser bei der SVP, wo sie wenigstens eine relative Mehrheit erreicht», so Leemann. «Das Rennen ist hier wohl gelaufen, es wird kaum für ein Volks- und Ständemehr reichen.»
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