Sozialstaat: Ein Loch ist im Eimer

sozialstaat: ein loch ist im eimer

Rainer Hanks Kolumne „Hanks Welt“ erscheint wöchentlich in der F.A.S.

Unser Wohlfahrtsstaat ist großzügig. Die Sozialleistungsquote hierzulande liegt bei etwa 30 Prozent; sie beziffert die Summe aller Sozialausgaben im Verhältnis zum Bruttosozialprodukt. In absoluten Zahlen waren das im Jahr 2022 rund 1200 Milliarden Euro. Nur in Frankreich und Belgien ist die Quote noch höher.

Man kann dies als Gebot der Anständigkeit einer Gesellschaft interpretieren, wie es der Bundeskanzler regelmäßig tut. Man kann es auch als klug bezeichnen: Wer unverschuldet in Not gerät, wird vom sozialen Netz aufgefangen. Im Wissen darum können die Bürger in ihrem Leben Risiken eingehen, das ist die Voraussetzung für die wirtschaftliche Dynamik eines Landes.

Von Sozialabbau sprechen, wie die SPD es derzeit tut, kann man freilich nicht. Die Ampel hat den Wohlfahrtsstaat aufgebläht: Bürgergeld und Mindestlohn wurden kräftig erhöht, die Zahl der wohngeldberechtigten Haushalte wurde auf zwei Millionen verdreifacht, das Rentenniveau soll bei 48 Prozent festgeschrieben werden, was zu Beitragserhöhungen führt.

Dass ein Land viel Geld für Soziales ausgibt, heißt freilich nicht, dass sein Sozialsystem auch transparent und effizient ist. Und dies wiederum könnte bedeuten, dass ein Sozialstaat, der ineffizient ist, auch ein Gerechtigkeitsproblem hat, weil er das Steuergeld seiner Bürger verschwendet und dieses nicht bei den wirklich Bedürftigen ankommt.

„Das System ernährt sich selbst“

Kürzlich hat mir ein Leser geschrieben, der dazu etwas zu sagen hat: Der Mann war 25 Jahre in unterschiedlichen Führungsfunktionen in diversen Kommunalverwaltungen tätig, die letzten 20 Jahre davon als stellvertretender Behördenleiter einer Kreisverwaltung. Rund 15 Jahre war er auch als Sozialdezernent für Hartz IV und Sozialhilfe zuständig. Der Mann betont, er halte den Sozialstaat für eine große Errungenschaft, und bezeichnet Sozialleistungen als den „Kitt der Gesellschaft“. Aber er habe aus eigener Erfahrung große Zweifel, ob das Geld seine Ziele erreicht. Er bemängelt, dass der Sozialstaat eine Wohlfahrtsindustrie geschaffen hat, die behaglich und ebenfalls wenig effizient von diesem lebt. Das kann man zum Beispiel an der privaten, kirchlichen und staatlichen Pflegebranche studieren, die es in diesem Ausmaß erst seit Einführung der Pflegeversicherung Mitte der Neunzigerjahre gibt. Die organisiert sich inzwischen in einer starken Lobby innerhalb des mächtigen Paritätischen Wohlfahrtsverbands. Mein Kreisdirektor bringt es auf die Formel: „Das System ernährt sich selbst.“

Nun ist jedes Umverteilungssystem per se ineffizient dergestalt, dass weniger rauskommt als einbezahlt wird. In seinem Klassiker über „Gleichheit und Gerechtigkeit“ (1975) spricht der Ökonom Arthur Okun von einem „Versickerungseffekt“, der durch Umverteilung entsteht. Weil ein Teil der von den Reichen zu den Armen transferierten Einkommen in der Bürokratie landet, steigen die Einkommen der Armen und sozial Bedürftigen nicht im gleichen Umfang wie die Einkommen der Reichen schrumpfen. Daraus ergibt sich ein grundsätzlicher Zielkonflikt zwischen Gerechtigkeit und Effizienz. Arthur Okuns sehr anschauliches Bild ist das Leck im Eimer, auf Englisch der „leaky bucket“.

Mein Eindruck: Die Löcher im Eimer werden größer. Der Sozialstaat wird im Lauf der Zeit teurer, aber nicht unbedingt besser. Anschauung dafür bietet das verkorkste Kindergrundsicherungsprojekt der Familienministerin, für das bekanntlich 5000 neue Verwaltungsstellen vorgesehen waren. Sie allein würden 500 Millionen Euro verschlingen.

Scheinbuchungen von links nach rechts

Das ist kein Ausreißer, sondern hat System. Kürzlich hat der Normenkon­trollrat – ein Gremium zur Entbürokratisierung – gezeigt, wie der Sozialstaat vor lauter Leis­tungswirrwarr und Ineffizienzen sich selbst lähmt. So hat ein alleinerziehender Vater mit pflegebedürftiger Mutter Anrecht auf zwölf verschiedene Sozialleistungen, für deren Bewilligung acht verschiedene Stellen zuständig sind. Das intransparente System mit nicht auf­einander abgestimmten staatlichen Leis­tungen müsse entflochten und besser sortiert werden, fordert der Rat.

Ich bitte Ronnie Schöb um Nachhilfe. Der Professor lehrt Finanzwissenschaft an der Freien Universität in Berlin, gehört dem Wissenschaftlichen Beirat beim Bundesfinanzminister an und hat vor geraumer Zeit ein schönes Buch über den Sozialstaat veröffentlicht mit dem Untertitel „Weniger ist mehr“. Schöb sprudelt über vor konkreten Beispielen eklatanter Ineffizienzen: So werden nach Einführung der neuen Kindergrundsicherung einem Kind, dessen Familie Bürgergeld zusteht, die 120 Euro Kinderwohnkostenpauschale, die die neue Kindergrundsicherung gewährt, beim Bürgergeld wieder abgezogen, weil die neue Grundsicherung ebenfalls eine Wohnpauschale enthält. Solche Scheinbuchungen von der linken in die rechte Tasche darf man im Kafka-Jahr kafkaesk nennen.

Bizarr sind auch die regionalen Unterschiede der Förderung. So kann es passieren, dass in zwei Haushalten mit vergleichbar großem Wohnraum in Leipzig und München, die beide Anspruch auf Bürgergeld haben, nach Abzug der vom Amt erstatteten Wohnkosten der Familie in Leipzig 600 Euro mehr für den alltäglichen Bedarf übrig bleiben, wiewohl die Lebenshaltungskosten in München deutlich höher sind. Verstehe es, wer wolle!

„Fordern und Fördern“ müssen wieder gleichrangig werden

Schlimmer noch: Das neue Bürgergeld senkt den Anreiz zu arbeiten. Das ist kontraproduktiv und aus Sicht des Steuerzahlers Geldverschwendung. Wer mehr hinzuverdient, hat am Ende weniger Geld übrig. Deshalb bieten sich gemischte „Geschäftsmodelle“ an, die den Empfang von Bürgergeld mit einem Minijob kombinieren. Ein bisschen arbeiten lohnt sich; ein bisschen mehr arbeiten lohnt sich nicht. Dass der Sozialstaat Arbeitslosigkeit produziert, ist absurd in Zeiten, in denen überall Arbeit nachgefragt wird.

Statt gleich den sozialen Kahlschlag an die Wand zu malen, wäre es gescheit, die Ampel würde sich den Förderzoo unseres Sozialstaates vorknöpfen. Als Leitfaden empfiehlt sich ein Vorschlag des wissenschaftlichen Beirats beim Finanzminister. Die Eckpunkte lauten: Anreize zur Aufnahme bezahlter Arbeit verbessern, Eigenverantwortung stärken, Transferentzugsraten schrumpfen. Kurzum: „Fordern und Fördern“ muss wieder gleichrangig behandelt werden. Und zwar nicht nur mit Rücksicht auf das Geld der Steuerzahler, sondern auch mit Blick auf den Bürger, dessen wahres „Bürgergeld“ der Lohn für seine Arbeit sein soll und nicht die Stütze vom Jobcenter.

Dies wäre ein erster Schritt, der sich am ordnungspolitischen Grundversprechen der sozialen Marktwirtschaft orientiert: Wer sich selbst nicht helfen kann, dem muss geholfen werden. Wer sich selbst aber helfen kann, von dem wird Eigenverantwortung verlangt. Das ist besser als ein Staat, der seine Bürger paternalistisch entmündigt.

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