Weniger Geld für Arbeitslose? Viel Aufregung, wenig Grund dafür

weniger geld für arbeitslose? viel aufregung, wenig grund dafür

Weniger Geld für Arbeitslose? Viel Aufregung, wenig Grund dafür

Guten Morgen!

Am Dienstag veröffentlichte die Statistik Austria eine Zahl, die gleichzeitig eine gute und eine nicht so gute Nachricht ist. Im Jahresdurchschnitt 2023 waren in Österreich 206.400 Arbeitsstellen unbesetzt. Das sind zwar um zehn Prozent weniger als 2022 – damals waren so viele Stellen vakant wie noch nie seit Beginn der Aufzeichnungen. Es waren aber 2023 immer noch deutlich mehr Stellen offen als in den Jahren davor.

Das Gute daran: Unternehmen in Österreich schaffen immer noch sehr viele Jobs. Das weniger Gute: Viele von diesen Jobs können nicht besetzt werden.

Ich bin ja der Meinung, dass man die Beschwerden über den „Fachkräftemangel“ immer auch ein bisschen mit Vorsicht genießen sollte. Denn dass ein Betrieb Stellen nicht besetzen kann, heißt nicht automatisch, dass es dafür keine Leute gäbe. „Das ist so, als würde ich als Wirt glauben, dass jeder, der nicht bei mir isst, fastet“, sagte mir einmal etwas zugespitzt ein Arbeitsmarktexperte.

Manche Unternehmen haben die demografische Wende verschlafen, manche haben sich nicht modernisiert, manche sind immer noch zu wählerisch. Die betriebliche Personalpolitik stoße beim Versuch, ältere durch jüngere Arbeitskräfte zu ersetzen, „zunehmend an ihre Grenzen“, heißt es in einer unlängst publizierten Arbeitsmarktanalyse.

Aber daraus zu schließen, dass keinen Mangel gibt, wäre auch falsch. Es gibt ihn, und er wird noch größer werden. Der demografische Wandel, der oft als Erklärung für den Fachkräftemangel herhalten muss, hat noch nicht einmal richtig begonnen. Und die große Pensionierungswelle der Babyboomer steht uns erst bevor.

Um mehr Menschen in den Arbeitsmarkt zu bringen, wollte die türkis-grüne Regierung die Arbeitslosenversicherung umbauen. Im Kern ging es darum, die Möglichkeit, dass Menschen geringfügig zum Arbeitslosengeld dazuverdienen, stark einzuschränken. Etwa zehn Prozent der Bezieher von Arbeitslosengeld und Notstandshilfe – 341.000 waren es im Jahr 2023 – verdienen geringfügig dazu. Für sie zahlt es sich oft nicht aus, einen voll versicherungspflichtigen Job anzunehmen, weil sie mit AMS-Bezügen und geringfügigem Zuverdienst genauso gut aussteigen. „Inaktivitätsfalle“ heißt das im Fachjargon.

Verhandelt wurde auch ein „degressives Arbeitslosengeld“: Das Arbeitslosengeld sollte deutlich erhöht und mit anhaltender Dauer abgesenkt werden. Daraus wurde bekanntlich nichts, weil Grüne und Türkise irgendwann bemerkten, dass zwischen ihnen unüberwindbare ideologische Gräben liegen.

Jedenfalls erneuerte die ÖVP kürzlich ihren Vorschlag. Den Türkisen schwebt ein „degressives, zeitabhängiges Arbeitslosengeld mit einem Absinken der Ersatzrate von aktuell 55 Prozent auf unter 50 Prozent” vor. Diese Forderung ist weder neu noch spektakulär. In einigen Ländern, mit denen sich Österreich übrigens gern vergleicht, gibt es dieses „degressive Modell” längst: In Schweden erhalten Arbeitslose zu Beginn bis zu 80 Prozent des zurückliegenden Einkommens als Arbeitslosengeld, mit der Zeit sinkt es deutlich ab.

Natürlich ist die Aufregung groß. Wieder einmal kursiert die Angst vor einem großflächigen Sozialabbau: „Bei den Ärmsten zu kürzen kommt für uns nicht infrage”, sagte etwa die neue Caritas-Präsidentin Nora Tödtling-Musenbichler. Statt zu kürzen, müsse der aktuelle Satz von derzeit 55 Prozent des letzten Nettoeinkommens erhöht werden.

Dafür, dass das noch nicht geschehen ist, kann sich die Caritas-Präsidentin eigentlich bei den Grünen bedanken, die die Reform gekippt haben. Vorgesehen war nämlich, dass mit der Reform das Arbeitslosengeld auf 70 Prozent der letzten Bezüge angehoben wird. Kürzungen hätte es keine gegeben. Nur eben die Einschränkung des geringfügigen Zuverdienstes.

Im Übrigen glaube ich, dass die Angst vor dem großen Sozialabbau völlig unbegründet ist, selbst wenn die ÖVP das wollte, und auch völlig gleich, wer in der nächsten Regierung sitzt. Mit der SPÖ gibt es sowieso keine Kürzungen – die will der Arbeitslosigkeit überhaupt mit staatlichen Jobgarantien beikommen. Und die FPÖ ist in vielen sozialpolitischen Fragen näher an den Roten als an den Schwarzen/Türkisen, wie meine Innenpolitik-Kollegen kürzlich schön analysiert haben.

Wieder einmal sehr viel Lärm um nichts also.

Herzlich, Ihre

Jeannine Hierländer

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