Zum ARD-Politthriller "Am Abgrund" : "Tatort"-Kommissar Hans-Jochen Wagner: "Nur wer raus geht und etwas ändert, bewirkt etwas"

“Tatort”-Kommissar Hans-Jochen Wagner spielt im ARD-Politthriller “Am Abgrund” einen aufrechten EU-Politiker, der einer Korruptionsaffäre auf die Schliche kommt. Es geht um einen unglaublichen Skandal. Doch wie gelingt es, in Zeiten vieler paralleler Krisen weiter für das Gute zu kämpfen?

Der Politthriller “Am Abgrund” (Mittwoch, 6.3., 20.15 Uhr, Das Erste) erzählt zum ARD-Thementag “#UnsereErde – Kampf um Rohstoffe” eine unglaubliche Geschichte: Es geht um EU-Politiker, die sich von Aserbaidschan, einem wichtigen Lieferanten neuerdings hoch im Kurs stehender Rohstoffe, einkaufen lassen, um für den autokratischen Staat zu werben. Der Fiction mit “Tatort”-Kommissar Hans-Jochen Wagner aus dem Schwarzwald folgt eine Dokumentation. Beide Filme stammen von Investigativ-Journalist und Grimmepreisträger Daniel Harrich (“Meister des Todes”). Der ist bekannt dafür, die Gesellschaft auf große Skandale und Ungerechtigkeiten aufmerksam zu machen, über die vorher kaum jemand etwas wusste. Hans-Jochen Wagner ist ein politischer Mensch und Mitglied bei den “Grünen”. Doch auch er steht vor dem Problem, dass wir es gegenwärtig mit so vielen Krisen der Gesellschaft zu tun haben, dass man sich emotional schnell überfordert fühlt – und sich vielleicht lieber in Private zurückziehen mag. Wie lässt sich der Kampf für eine bessere Gesellschaft mit der eigenen Gesundheit in Einklang bringen, Hans-Jochen Wagner?

teleschau: Sie bezeichnen sich als politischen Menschen und “Grünen”. Wie viel wussten Sie über die Problematik der neuen Rohstoffe?

Hans-Jochen Wagner: Also zunächst mal: Ich bin Grünen-Sympathisant und auch der Partei beigetreten – weil ich das schon lange vorhatte und nach der letzten Bundestagswahl dachte: Ich will das jetzt unterstützen. Trotzdem bin ich natürlich Schauspieler und kein Politiker, was bedeutet, dass ich auch einen kritischen Blick auf diese Partei haben kann. Über Seltene Erden und neue Rohstoffe, die man sich neuerdings sichern muss, wusste ich vor dem Film genauso wenig, wie wohl die meisten anderen Zuschauer, die nun vielleicht erstmals mit dem Thema in Berührung kommen. Da muss man sich einarbeiten …

teleschau: Man muss sich derzeit in viele Themen einarbeiten, wenn man die Welt verstehen will. Sehen Sie das genauso?

Wagner: Ja, es ist wirklich der Wahnsinn. Die Welt ist sehr komplex geworden. Jeder muss eine Art “Tool” entwickeln, wie und auf welche Weise man sich mit all diesen Fragen beschäftigen kann und will. Und dann gibt es ja immer noch die Frage: Was kann ich eigentlich tun? Man muss diese Frage realistisch, vielleicht sogar pragmatisch beantworten. Sonst wachsen einem die Dinge über den Kopf, man resigniert und versinkt im Frust.

“Meine Helden sind Menschen, die sich auf kommunaler Ebene politisch engagieren”

teleschau: Was würden Sie jemandem sagen, der sich den ARD-Thementag “#unsereErde – Kampf um Rohstoffe” anschaut und denkt: Darum kann ich mich jetzt nicht auch noch kümmern!

Wagner: Sehr viele Probleme schlagen gegenwärtig auf uns ein. Trotzdem ist das natürlich kein Grund, einen solchen Thementag nicht zu machen. Das Problem und die Ungerechtigkeit, dass wir als Demokratien autoritäre Systeme unterstützen oder massive Umweltschäden in Kauf nehmen, um neue Handys und mehr zu produzieren, ist ja real. Man muss diese Dinge eben aufs eigene Verhalten runterbrechen. Wenn der Thementag nur den Effekt hat, dass wir unser Handy länger benutzen oder ordentlich recyceln lassen, wäre, wenn das viele Menschen machen, schon viel erreicht.

teleschau: Man muss also nicht gleich die ganz Welt retten?

Wagner: Ja, vielleicht muss man es so sehen, um nicht zu verzweifeln. Ich kaufe beispielsweise gut gebrauchte Handys, wenn mein letztes zu alt geworden ist. Es ist schon mal ein Anfang, um Rohstoffe zu sparen. Außerdem gibt es auch so etwas wie Fairphone. Wir sollten alle über unser Konsumverhalten nachdenken. Auch im Sinne der Rohstoffe, die wir verbrauchen. Wir Verbraucher haben eine große Macht, über die wir ein bisschen zu selten nachdenken. Die Dinge ändern sich überraschend schnell, wenn wir bestimmte Sachen nicht mehr kaufen.

teleschau: Sind Sie, abseits von engagierten Filmen, auch politisch aktiv?

Wagner: Es wäre übertrieben, wenn ich das behaupten würde. Ja, ich poste auf Instagram Dinge, die mir auffallen oder die ich politisch interessant oder unterstützenswert finde. Das ist aber keine wirkliche politische Arbeit. Meine Helden sind Menschen, die sich auf kommunaler Ebene politisch engagieren. Dort wird konkrete Arbeit gemacht. Ich habe eine Datsche im Umland von Berlin und gehe dort öfter mal in Sitzungen des Gemeinderats. Dort bekomme ich mit, was ehrenamtlich gemacht wird. Ortsvorstand oder Bürgermeister zu werden, ist dort wirklich eine Heldentat. Es bringt sehr viel Arbeit, Stress und auch Anfeindungen mit sich, die diese Leute aushalten müssen.

“Ein bisschen ist es heute wie in der Biedermeier-Zeit”

teleschau: Wird über unsere Demokratie vor allem dort entschieden?

Wagner: Darüber wird dort auf jeden Fall auch entschieden – und das nicht zu knapp. Jeder kann in der Kommunalpolitik etwas tun und sich engagieren. Für wichtige Dinge! Stattdessen im eigenen Kämmerlein zu sitzen und auf den Kapitalismus oder die deutsche Außenpolitik zu schimpfen, bringt hingegen gar nichts. Wer etwas ändern will, sollte vor der Haustür damit anfangen.

teleschau: Wenn Sie Ihre Erfahrungen im Berliner Umland ansprechen – würden Sie sagen, es sind immer weniger Menschen, die sich engagieren?

Wagner: Ich habe den Eindruck, dass es auf dieser Ebene der Kommunalpolitik tatsächlich sehr wenige Menschen sind. Vor allem, wenn man bedenkt, wie viel man dort ändern kann. Ich komme ja aus Baden-Württemberg und dort war es in meiner Kindheit und Jugend schon fast ein Schimpfwort, wenn man sagte, dass jemand in der BI, also der Bürgerinitiative, aktiv ist. Nach dem Motto: Jeder, der etwas will, gründet eine Initiative oder einen Verein. Aber genau das fehlt heute so ein bisschen bei uns. Die Bereitschaft, sich an der Basis zu engagieren und ehrenamtlich zu arbeiten.

teleschau: Weil sich alle ins Private zurückziehen?

Wagner: Ja, vielleicht. Ein bisschen steckt da die Überforderung wegen der vielen Reize drin. Und natürlich auch unsere digitalen Möglichkeiten und “Verpflichtungen” zur Kommunikation. Die Vereine haben Probleme, Leute zu finden, die Aufgaben übernehmen. Oder auch an der Grundschule meines Sohnes: Da wurde gesagt, dass das Elternengagement nach Corona deutlich runtergegangen ist. Ein bisschen ist es heute wie in der Biedermeier-Zeit. Damals gab es gewaltige gesellschaftliche Umbrüche. Und die Reaktion der Leute darauf war, dass sie sich ins Private zurückgezogen und eingeigelt haben.

“Die Mehrheit kann mehr als nur schweigen”

teleschau: Die eigene Wohnung als Schutzraum …

Wagner: Ja, man geht in sein Schneckenhaus, wenn man es denn hat, aus einem Gefühl der Überforderung heraus. Dort sagt man dann die ganze Zeit: “Mein Gott, es ist alles so furchtbar.” Das Gegenteil wäre jedoch richtig. Nur wer rausgeht und etwas ändert, bewirkt etwas. Davon lebt unsere Demokratie und nicht davon, dass jeder eine politische Meinung hat. Ich bin weit davon entfernt, ein Vorbild dafür zu sein, wie man sich verhalten sollte. Wir müssen uns aber darüber klarmachen: Wenn wir nichts tun, wird die Sehnsucht nach einem starken Mann, der für uns über alles bestimmt, immer größer.

teleschau: Dass die Menschen gegen AfD und Rechtsradikalismus auf die Straße gehen, macht Ihnen Mut?

Wagner: Ja, es ist ein sehr positives Beispiel dafür, was die Mehrheit bewegen kann. Sie kann nämlich mehr als nur schweigen.

teleschau: Was tun Sie selbst?

Wagner: Ich versuche auf dem Land, wo ich jedoch nur mit einem Nebenwohnsitz gemeldet bin, im Ortsverein darüber nachzudenken, wie man auf die Klimaveränderung reagieren kann. Da existiert ein See, der geschützt werden muss. Gott sei Dank gibt es Leute, die dort im Team etwas auf die Beine stellen wollen. Oder die Schule meines Sohnes – das ist eine Elterninitiative-Schule, wo ich auch einiges mache. Und doch ist es noch zu wenig. Ich könnte aktiver sein.

“Vielleicht sind wir deshalb ein bisschen eingeschlafen, um uns abzugrenzen”

teleschau: Ist die uns nachfolgende Generation aktiver?

Wagner: Ja, ich denke schon. Ich gehöre zur jüngeren Kohorte der Boomer, bei denen ich das Gefühl habe, dass wir eher in Richtung Schneckenhaus tendieren. Vielleicht, weil unsere Eltern zum Teil aus einer engagierteren Generation kamen. Vielleicht sind wir deshalb ein bisschen eingeschlafen, um uns abzugrenzen.

teleschau: Kann man mit einem solchen Film etwas bewirken?

Wagner: Daniel Harrichs Prinzip als Filmemacher ist, dass er Aufmerksamkeit für bestimmte Themen schafft, die zum Teil unglaublich skandalös sind, über die aber kaum jemand Bescheid weiß. Gerade im Verbund mit der Doku, die nach der Fiction kommt, ist das schon ein Brett, das uns aufrüttelt. Man weiß hinterher mehr. Und es wurde eine große Öffentlichkeit fürs Problem hergestellt. Insofern bewirkt man mit so einem Abend schon etwas. Und wenn es nur zur Folge hat, dass man das eigene Smartphone anders anschaut und drüber nachdenkt. Dann hätten wir schon etwas erreicht.

teleschau: Im Film geht es nicht nur um Umweltsünden, sondern vor allem auch um Korruption. Politiker aus westlichen Demokratien, die wie auch im Film von autoritären Regimen eingekauft wurden, um in ihrem Sinne zu entscheiden. Ist das nicht Gift für unsere Demokratie?

Wagner: Ja, das ist es. Trotzdem muss man so etwas natürlich aufdecken und darüber berichten. Auch das bedeutet Demokratie. Dass wir so etwas aufdecken, bestrafen und besser neu organisieren. Es geht um Verstrickungen von Aserbaidschan mit der EU, dem Deutschen Bundestag und auch der deutschen Industrie. Das ist schon ein Riesending, das einen da auch in der Doku erwartet.

Am Abgrund

News Related

OTHER NEWS

Ukraine-Update am Morgen - Verhandlungen mit Moskau wären „Kapitulationsmonolog" für Kiew

US-Präsident Joe Biden empfängt Wolodymyr Selenskyj im Weißen Haus. Evan Vucci/AP/dpa Die US-Regierung hält Verhandlungen zwischen der Ukraine und Russland zum jetzigen Zeitpunkt für „sinnlos”. Bei einem Unwetter in Odessa ... Read more »

Deutschland im Wettbewerb: Subventionen schaden dem Standort

Bundeskanzler Olaf Scholz am 15. November 2023 im Bundestag Als Amerikas Präsident Donald Trump im Jahr 2017 mit Handelsschranken und Subventionen den Wirtschaftskrieg gegen China begann, schrien die Europäer auf ... Read more »

«Godfather of British Blues»: John Mayall wird 90

John Mayall hat Musikgeschichte geschrieben. Man nennt ihn den «Godfather of British Blues». Seit den 1960er Jahren hat John Mayall den Blues geprägt wie nur wenige andere britische Musiker. In ... Read more »

Bund und Bahn: Einigung auf günstigeres Deutschlandticket für Studenten

Mit dem vergünstigten Deutschlandticket will Bundesverkehrsminister Wissing eine junge Kundengruppe dauerhaft an den ÖPNV binden. Bei der Fahrkarte für den Nah- und Regionalverkehr vereinbaren Bund und Länder eine Lösung für ... Read more »

Die Ukraine soll der Nato beitreten - nach dem Krieg

Die Ukraine soll nach dem Krieg Nato-Mitglied werden. Die Ukraine wird – Reformen vorausgesetzt – nach dem Krieg Mitglied der Nato werden. Das hat der Generalsekretär des Militärbündnisses, Jens Stoltenberg, ... Read more »

Präsidentin droht Anklage wegen Tod von Demonstranten

Lima. In Peru wurde eine staatsrechtlichen Beschwerde gegen Präsidentin Dina Boluarte eingeleitet. Sie wird für den Tod von mehreren regierungskritischen Demonstranten verantwortlich gemacht. Was der Politikerin jetzt droht. Perus Präsidentin ... Read more »

Novartis will nach Sandoz-Abspaltung stärker wachsen

ARCHIV: Das Logo des Schweizer Arzneimittelherstellers Novartis im Werk des Unternehmens in der Nordschweizer Stadt Stein, Schweiz, 23. Oktober 2017. REUTERS/Arnd Wiegmann Zürich (Reuters) – Der Schweizer Pharmakonzern Novartis will ... Read more »
Top List in the World