So arbeitet ein Fluglotse

Jonathan Strenske sorgt am Flughafen Hannover dafür, dass in der Luft kein Unfall passiert. Was bei der Arbeit wichtig ist, erzählt er hier.

so arbeitet ein fluglotse

So arbeitet ein Fluglotse

Wenn Jonathan, 23, ins Mikrofon spricht, klingt es ein bisschen so, als würde er eine Fantasie-Sprache benutzen. Er sagt Dinge wie »DLH049« oder »RWY27R«. Diese Abkürzungen stehen für Flugzeugnamen oder Rollbahnen. Alle Menschen, die im weltweiten Flugverkehr arbeiten, können solche Abkürzungen verstehen, egal welche Sprache sie sprechen. Wer einen Buchstaben sagen will, muss sich an international einheitliche Bezeichnungen halten. P nennen alle Fluglotsinnen und Fluglotsen »Papa«, M »Mike« und N »November«. Zahlen werden auf Englisch ausgesprochen.

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Jonathans Job ist es sicherzustellen, dass Flugzeuge geordnet nacheinander starten und landen, ohne zusammenzustoßen. Sein Büro befindet sich in 65 Meter Höhe, im Tower des Flughafens Hannover. Von unten ähnelt der Kontrollturm einem Ufo, von innen einer Kommandozentrale aus Glas. Aus dem Tower hat man eine Sicht von 360 Grad, kann also einmal rundherum blicken. Flugzeuge, Häuser und Bäume sehen von hier winzig klein aus.

Überall im Raum stehen aneinandergereihte Bildschirme. Auf manchen davon behält Jonathan den Luftraum im Blick. »Den kann man sich vorstellen wie eine Käseglocke über dem Flughafen«, sagt er. Alles, was hier passiert, beobachtet Jonathan genau. »Auf dem Radar sehe ich, was sich in der Luft auf mich zubewegt«, erklärt er. Wenn ein Flugzeug in Hannover landen möchte, erhält das Fluglotsen-Team im Tower einen Anruf. »Dann ist es unsere Aufgabe, dafür zu sorgen, dass die Flugzeuge immer genügend Abstand zueinander haben und sicher an ihr Ziel kommen. Alle Flugzeuge zu koordinieren ist wie ein 3D-Puzzle. Mit Puzzleteilen, die sich bewegen«, sagt Jonathan und grinst. Kleine Segelflugzeuge fliegen nied­riger als internationale Passagier­maschinen. Die Flugzeuggröße und -höhe berechnet Jonathan daher mit ein, genau wie die Geschwindigkeit und die Windstärke.

Auf einem Bildschirm blinkt die Uhrzeit: 10.20 Uhr. Dabei zeigt Jonathans Armbanduhr bereits 11.20 Uhr an. »Im Flugverkehr arbeiten wir mit einer Uhrzeit, die weltweit gleich ist. So vermeiden wir Verwirrungen, wenn Flugzeuge aus verschiedenen Zeitzonen kommen«, erklärt Jonathan.

Um zu funken, spricht Jonathan in ein schwarzes Mikrofon, das aus dem Tisch ragt. So kann er mit allen Pilotinnen und Piloten Kontakt aufnehmen. Mit jeweils drei Wörtern erlaubt er Flugzeugen zu starten oder zu landen. »Cleared for take-off« heißt startklar, »cleared to land« gibt die Landeerlaubnis. Jonathan sagt diese Wörter unzählige Male am Tag.

»Dass der Funk ausfällt, ist sehr unwahrscheinlich. Aber für den Notfall haben wir diese Leuchtkanone«, erklärt Jonathan und zieht etwas von der Decke, das wie ein Scheinwerfer aussieht. »Das Gerät funktioniert wie ein Laserpointer. Falls wir nicht mehr per Funk mit den Pilotinnen und Piloten kommunizieren können, kann ich hiermit das Zeichen für die Start- und Landeerlaubnis geben.« Er richtet die Leuchtkanone schräg nach unten. Auf der Landebahn erscheint ein roter Kreis. Wenn der Fluglotse einen Hebel umlegt, wird das Licht grün.

Der Arbeitstag eines Fluglotsen besteht aus verschiedenen Schichten, die jeweils maximal drei Stunden am Stück lang sein dürfen. Dazwischen liegen verpflichtende Pausen. »Je nach Verkehrslage sind die wirklich nötig. Wenn man stundenlang dauerhaft am Funken ist, braucht das Gehirn Erholung«, sagt Jonathan. Dafür gibt es im Tower einen Ruheraum mit Liege­sessel, Fernseher und Bett. Manchmal muss Jonathan auch nachts arbeiten, dann nimmt er für die Pausen seinen Schlafsack mit zur Arbeit. An vielen Flughäfen Deutschlands herrscht nachts ein Flugverbot, etwa weil startende und landende Flugzeuge zu viel Lärm machen würden. In Hannover ist das nicht so. Nachts ist hier zwar weniger los, aber trotzdem ist es wichtig, dass der Fluglotse konzentriert bleibt. »Es kann immer etwas Unvorhergesehenes passieren. Zum Beispiel kann ein Rettungshubschrauber un­seren Luftraum kreuzen. In solchen Fällen muss man schnell reagieren und Flugzeuge notfalls warten lassen«, sagt Jonathan.

In seinem Job trägt der Fluglotse viel Verantwortung. Deshalb ist es schwer, einen Ausbildungsplatz zu bekommen. Man muss jünger als 24 Jahre alt und körperlich fit sein, außerdem gut sehen und hören können. Bei der Aufnahmeprüfung gibt es nur einen Versuch. Wer nicht zugelassen wird, darf sich kein zweites Mal bewerben. Das liegt daran, dass es nicht um Wissen oder Auswendiglernen geht, sondern um räumliches Vorstellungsvermögen, Teamfähigkeit und Konzentration. Es wird beispielsweise getestet, wie gut man sich Zahlen- oder Buchstabenreihen merken kann. »Deshalb kann man sich nicht so gut auf die Prüfung vorbereiten. Entweder man hat die notwendigen Fähigkeiten oder eben nicht«, sagt Jonathan.

Inzwischen ist die Schicht des Tower-Lotsen fast zu Ende. Unten auf der Rollpiste setzt sich ein weißes Flugzeug in Bewegung. »Der darf als Nächster starten«, sagt Jonathan und konzentriert sich auf einen der Bildschirme. Jonathan spricht einen letzten Funkspruch an den Piloten ins Mikrofon, »cleared for take-off« – und dann hebt das Flugzeug ab.

Dieser Artikel erschien in »Dein SPIEGEL« 04/2024.

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