Siegestag im Treptower Park: Putin soll in Deutschland einmarschieren
Putins Anhänger in Europa: Mitglieder der russisch-nationalistischen Rockergruppe „Nachtwölfe“ vor dem Ehrenmal im Treptower Park.
Um die Mittagszeit an Christi Himmelfahrt, dem 9. Mai, da in Russland der „Tag des Sieges“ begangen wird, wartet am Eingangsportal zum Treptower Park in Berlin eine lange Schlange. Hier stehen vor allem russischsprachige Leute, viele Senioren, einige mit Blumensträußen. Sie wollen das Ehrenmal und den Soldatenfriedhof der Sowjetarmee aufsuchen. Die Wartezeit beträgt mehr als eine halbe Stunde, Polizisten kontrollieren die Taschen jedes Besuchers gründlich. Eine polizeiliche Allgemeinverfügung verbietet heute an den sowjetischen Ehrenmalen der Stadt Symbole, die den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine verherrlichen könnten: russische und sowjetische Fahnen, Sankt-Georgs-Bänder, Militärkleidung, patriotische Gesänge — Kriegsveteranen und Diplomaten wie der russische Botschafter Sergej Netschajew, der ein Georgsband trägt, als er einen Kranz am Mahnmal niederlegt, sind von der Regelung ausgenommen.
Infolge der russischen Großinvasion in der Ukraine gab es schon in den vergangenen zwei Jahren ähnliche Regelungen, um ein würdiges Erinnern an das Ende des Zweiten Weltkrieges zu gewährleisten. Schon damals schmuggelten Besucher verbotene Symbole in den Park, oder sie umgingen die Regeln, indem sie die slowakische Trikolore statt der russischen zeigten oder ihre Russland- und Putin-Shirts vor der Polizeikontrolle unter einer Jacke versteckten.
Die Ukrainer werden zu Nazis erklärt
Der Sieg im „Großen Vaterländischen Krieg“, wie der Zweite Weltkrieg schon zu Sowjetzeiten genannt wurde, findet für Putin eine Fortsetzung in der russischen Großinvasion in die Ukraine. Wobei er an die Stelle der Deutschen perfiderweise die Ukrainer setzt und sie zu Faschisten erklärt, die es zu besiegen gilt.
Das Echo dieses Mythos erlebt man am 9. Mai im Treptower Park. In der Warteschlange vor dem Eingang singt eine ältere russischsprachige Frau laut russische Lieder aus dem Zweiten Weltkrieg, darunter den Klassiker „Heiliger Krieg“ mit den Eingangsversen „Steh auf, du Riesenland!“ Stolz erklärt sie, sie tue das dem Verbot der Deutschen zum Trotz. Ihr Begleiter trägt eine Schirmmütze mit Cuba-Flagge, militärische Anstecker und ein DDR-Shirt. Neben ihnen klagt eine ebenfalls russischsprachige Frau, an deutschen Schulen werde LGBTQ-Propaganda betrieben, daher sterbe die weiße deutsche Rasse aus. Auf dem Gelände vor der Soldatenstatue von Jewgeni Wutschetitsch haben sich Putinisten, Verschwörungstheoretiker und autoritäre Linke versammelt. DKP-Anhänger halten ein Transparent mit der Aufschrift „Frieden mit Russland und China! Hochrüstung und Wirtschaftskrieg stoppen!“, ein Mann fordert per Megafon, Deutschland müsse demilitarisiert und entnazifiziert werden, daneben ertönt Marschmusik vom Band.
Blumen vor Stalin-Zitaten niedergelegt
Die meisten Menschen versammeln sich vor dem Bronzesoldaten, der ein Kind im Arm hält und mit der anderen Hand ein Schwert, das ein Hakenkreuz zerbricht. Sie legen Blumen vor sein Postament, aber auch vor die Steintafeln mit Stalin-Zitaten wie „Ewiges Gedenken für die, die für die Freiheit und Unabhängigkeit unserer Heimat gefallen sind“. Man trifft hier auch englisch- und deutschsprachige Linke, schwarz gekleidet oder in Palästinensertücher gehüllt. Menschen tragen rote Fahnen, Männer in blau-weiß gestreiften Soldatenunterhemden, Frauen in khakifarbenen Militärmützen posieren für ein Gruppenfoto.
Viele tragen „Druschba“-Shirts (zu Deutsch: Freundschaft) mit aufgedrucktem Herz, dessen linke Seite von der deutschen, die rechte von der russischen Fahne ausgefüllt wird. So heißt ein Verein, der Reisen nach Russland organisiert, auch in besetzte ukrainische Gebiete. Die aus Tschechien stammende Hana Höhne, ein Vereinsmitglied, berichtet begeistert, sie sei mit Druschba schon dreimal auf der Krim gewesen und würde sich freuen, wenn Putin in Deutschland einmarschieren würde.
Doch es gibt auch Widerstand: Ein junger Mann hat sich eine ukrainische Fahne um die Schultern gewickelt. Sogleich ereifert sich ein junger Russe: „Das ist eine Banderaflagge!“ und setzt so das Symbol des ukrainischen Staates mit dem ukrainischen Ultranationalisten Stepan Bandera gleich. Er droht dem Ukrainefreund, er werde sich sein Gesicht merken und ihn finden. Aber auch exilrussische Kriegsgegner von der Initiative Demokrati-JA, die aus den Nawalnyj-Protesten hervorgegangen ist und die Ukraine unterstützt, sowie eine Gruppe Deutscher, die einen blau-gelben Kranz vor der Soldatenstatue niedergelegt haben, stellen sich der fehlgeleiteten Russlandliebe der meisten Besucher entgegen. Doch diese beschimpfen sie nur als Kriegstreiber und Faschisten. Die Putin-Propaganda mit ihrem heiligen Krieg gegen die Ukraine hat sich mitten in Deutschland tief in die Herzen gefressen.