Sie haben Angst vor 5G, unterrichten «Salben nach Jesus Christus» und danken Putin: So ticken die Erfinder der «Stopp-Impfpflicht»-Initiative
Demonstration während der Corona-Pandemie im September 2021 in Winterthur. Annick Ramp / NZZ
«Die wirksamste Medizin ist die natürliche Heilkraft, die im Inneren eines jeden von uns liegt.» Auf dieses eine Zitat des altgriechischen Arztes Hippokrates greifen Heilpraktiker gerne zurück, um ihrer Tätigkeit einen Anschein von Wissenschaftlichkeit zu verleihen. Auch auf der Website von Jeannette Daghari findet sich der Satz. Daghari ist nach eigenen Angaben «Aurachirurgin», Lehrerin für «Salben nach Jesus Christus» und für «Resonanzfeldheilung». Für Tausende von Franken bietet sie unter anderem Seminare an, in denen man erlernen kann, wie man sich mit Licht ernährt.
Daghari gehört dem 18-köpfigen Komitee «Stopp Impfpflicht» an, über dessen Volksinitiative «für Freiheit und körperliche Unversehrtheit» am 9. Juni abgestimmt wird. Diese verlangt, dass niemand zwangsweise geimpft werden darf – was zwar schon heute gilt. In Zukunft sollen aber auch Impfzertifikats-Lösungen selbst bei extrem tödlichen Seuchen verboten werden. Die Initiative ist so restriktiv, dass die Polizei gemäss Wortlaut gegen den Willen der Betroffenen nicht einmal mehr Alkoholkontrollen durchführen dürfte.
Unter Fachleuten gilt die Initiative als technisch verunglückt, was sich auch in der Zustimmung widerspiegelt: Chance auf eine Annahme bestehen gemäss ersten Umfragen nicht ansatzweise. Zurückzuführen ist das auf das Unvermögen der Initiantinnen und Initianten: Es sind Getriebene, die unter dem Eindruck der Pandemie und aus Abneigung gegen den Staat in ein unausgegorenes Initiativprojekt stolperten. Sie haben sich von radikalen Impfgegner instrumentalisieren lassen, die bis heute die Auffassung vertreten, dass der Nutzen einer Impfung eine Glaubensfrage ist.
Zum Beispiel vom Impfkritiker Daniel Trappitsch, der seit Jahren dabei ist, wenn es irgendwo gegen Schutzimpfungen geht. Schon vor über zehn Jahren bekämpfte er das Tierseuchen- und das Epidemiengesetz, beides ohne Erfolg – und beides mit der Warnung vor drohenden Zwangsimpfungen. Trappitsch ist Präsident der impfkritischen Vereinigung «Netzwerk Impfentscheid», die auf ihrer Website und auf ihrem Telegram-Kanal medizinische Verschwörungstheorien verbreitet. Zum Beispiel Behauptungen des mit einem Berufsverbot belegten englischen Arztes Andrew Wakefield, wonach Impfstoffe Autismus auslösen.
Trappitsch selber hat verschiedene Schriften verfasst, beispielsweise darüber, wie «Impfungen die Entwicklung des spirituellen Bewusstseins behindern». Während Corona sorgte Trappitsch für Schlagzeilen, weil er sich «aus politischen Gründen» weigerte, Krankenkassenprämien und Steuern zu bezahlen. Trappitsch führt eine Liste mit Ärzten, die Impfungen kritisch gegenüberstehen oder sie ganz ablehnen.
Wie beispielsweise Manuel Padrutt, ein Naturheilarzt aus Graubünden und treuer Gefolgsmann Trappitschs. Padrutt wirbt dafür, den «biologischen Kreislauf der Natürlichkeit und des wirklichen Lebens» zu begehen, «wie vor 250 Jahren, als es noch keine Impfmedikamente» gab. Die bitteren Konsequenzen nimmt Padrutt scheinbar locker in Kauf: «Dieser Weg führt uns auch in die Sterblichkeit, der aber doch um einiges gesünder für die Menschheit ist.»
Aus der impfskeptischen Szene stammt auch Annemarie Heisler, die mit ihrem Mann, einem Hausarzt, während Corona die Bewegung «Widerstand2020» aufbaute. Die Gruppierung fiel rasch wieder in sich zusammen. Heislers Mann Andreas erreichte während der Pandemie aber wegen falscher Maskenatteste und von ihm gestreuten, aber nachweislich falschen Gerüchten über einen angeblichen Impftoten einige Bekanntheit. Er verlor deswegen zeitweise sogar die Zulassung als Arzt. Annemarie Heisler arbeitet heute als Hundetrainerin.
Ebenfalls aus der Innerschweiz kommt die frühere SVP-Nationalrätin Yvette Estermann. Seit Anbeginn kämpft sie an vorderster Front für die Initiative. Auch sie ist eine schillernde Figur: Unlängst wurde bekannt, dass sie sich als Nationalrätin im Kampf gegen die Psychiatrie und die Pharmabranche von Scientology einspannen liess. Estermann, die ihre medizinische Ausbildung in der Slowakei gemacht hatte, wurde es 2012 untersagt, sich als Dr. med. zu bezeichnen. Ihr fehle dafür den nötigen Abschluss.
Estermann ist bekannt mit dem Kopf der Stopp-Impfpflicht-Initiative, Richard Koller. Koller war vor langer Zeit Sekretär der Luzerner SVP, bis ihn die Partei 2017 im Streit um eine Volksinitiative entliess. Das politische Parkett aber wollte Koller nicht verlassen. Er hat die Freiheitliche Bewegung Schweiz gegründet, die mehrere Volksinitiative lanciert und geplant hat. So steht er hinter einer Initiative, die verlangt, dass der Bund genügend Bargeld sicherstellt. Dazu gibt es unterdessen einen indirekten Gegenvorschlag.
Das ist nicht sein einziges Vorhaben: Koller kämpft mit Initiativprojekten gegen die Windkraft, gegen das E-Voting, für «bedingungslose Nahrungs-Grundversorgung» – und gegen die flächendeckende Mobilfunk-Abdeckung. Aus dem Kreis der 5G-Skeptiker hat Koller gleich mehrere Personen ins «Stopp-Impfpflicht»-Komitee geholt.
So den Oberbaselbieter Albert Gort, der in Titterten eine «Infostelle Elektrosmog» betreibt und mit seinem Warnungen seit mittlerweile einem Vierteljahrhundert durchs Land zieht. Sonst tritt er nicht in Erscheinung. Auch Charly Pache gehört zu den Anti-5G-Aktivisten im Komitee. Der schillernde Freiburger kandidierte einst für die Piratenpartei als Nachfolger von Alain Berset für den Ständerat. Er engagierte sich für Losverfahren in der Demokratie und gegen den biometrischen Pass.
In einen weit grösseren Kontext stellt dagegen Christian Oesch seine Abneigung gegen 5G und Impfungen. Oesch ist Gründer des «Vereins WIR» und Anhänger zahlreicher Verschwörungserzählungen. Seiner Ansicht nach treiben die UNO und das WEF den sogenannten «Great Reset» voran, eine neue Weltordnung «zur Versklavung aller Völker».
Corona oder die Anschläge von 11. September 2001 sind danach eine inszenierte «Ablenkung» auf dem Weg dazu. Alles hänge mit allem zusammen – und alle steckten mit Klaus Schwab unter einer Decke: «Ob Bill Gates, Jeff Bezos, Angela Merkel, Emmanuel Macron, Viktor Orban oder Wladimir Putin – sie alle sind als ‹Young Global Leader› durch die Schule des WEF gegangen».
Der bekannteste Kopf unter den Initianten aber ist Comedian Marco Rima, der sich während der Pandemie politisierte und an den Demos der Corona-Skeptiker für eine Portion Glamour sorgte. Rimas politische Gehversuche endeten rasch: 2023 kandidierte er erfolglos für den Ständerat und liess seither politisch nichts mehr von sich hören. Auch als Comedian hat Rima mit seinem Ausflug in die Corona-Skeptiker-Szene an Ansehen verloren.
So kommt im Komitee ein wildes Sammelsurium aus Leuten, Ideen und Spleens zusammen. Vom Männercoach und Corona-Skeptiker Pablo Hess bis zu Istvan Stephan Hunter, der sich für Rudolf Steiners Theorie der «Dreigliederung des sozialen Organismus» engagiert. Manches klingt gewöhnungsbedürftig, anderes macht fassungslos – und mitunter fröstelt es einem. Etwas wenn man Komiteemitglied Benedict Schweizer auf den sozialen Medien folgt. Hemmungslos bezieht er dort Position gegen die Ukraine: Naturrechtlich stehe das Allgemeinwohl des Weltfriedens über der Souveränität eines einzelnen Staates, schrieb er dort kurz nach dem russischen Einmarsch: «Dank geht an Putin, der der direkten Konfrontation präventiv entgegenwirkt.»
Kaum weniger martialisch und konfus formulierte er seine Meinung nach der Annahme der Volksinitiative für eine 13. AHV-Rente. Echte Demokratie schaffe sich in einer wertelosen Gesellschaft irgendwann selbst ab. Sie münde in einer Diktatur der Bürokratie, die das Individuum aussauge, schrieb Initiant Schweizer und folgert ganz konsequent: «Ich bin und bleibe Antidemokrat.»
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