Ensemble Modern heimst Jubel ein

Mit György Ligeti (1923–2006) stand einer der großartigsten Komponisten des 20. Jahrhunderts im Mittelpunkt des jüngsten Konzerts des Ensemble Modern im Mozart Saal der Alten Oper. Ligetis Markenzeichen ist die Polymetrik, das Überlagern verschiedener Geschwindigkeiten, aus dem sich komplexe Rhythmen ergeben. Ansätze dieses Phänomens erlebt schon, wer mit der einen Hand einen Dreier-, mit der anderen einen Zweiertakt klopft und einen Lang-kurz-kurz-lang-Rhythmus erhält. Ein Sieben-zu-acht-Rhythmus ist entsprechend vielschichtiger. Die Komplexität solcher Überlagerungen lässt sich unendlich steigern. Manche Trommelkulturen beruhen auf diesem additiven Prinzip.

Um auch in vertracktesten Verhältnissen und in hohem Tempo die Rhythmen voll auskosten zu können, ohne sich verzählen oder irritieren zu lassen, baute der amerikanisch-mexikanische Komponist Conlon Nancarrow (1912–1997) seine über Lochstreifen aus Papier gesteuerten und mit Vakuum-Pumpen betriebenen Konzertflügel, die Player-Pianos. Von Nancarrows Experimenten fasziniert, mutet Ligeti diese Aufgabe leibhaftigen Menschen zu. Das Ensemble Modern hat oft genug gezeigt, dass es so etwas spielen kann, zumal unter der Leitung von Stefan Asbury. So auch diesmal.

Das Tolle an Ligeti ist, dass es bei ihm bei solchem Experimentieren gelingt, im emphatischen Sinne Musik zu machen. Im ersten Teil erklangen sechs seiner Klavier-Etüden, die drei noch lebende Komponisten, der Australier Chris Paul Harman, der Däne Hans Abrahamsen und der Deutsche Johannes Schöllhorn, zu Ensemblestücken gemacht, also gleichsam instrumental koloriert hatten. Die ersten aufrichtigen Bravos erklangen nach der herzhaften „Fantaisie Mécanique“ (1994) von Ligetis 1961 in Südkorea geborener Schülerin Unsuk Chin.

Klänge, die den Boden beben ließen

Noch mehr Beifall, Johlen und Bravos erntete die Uraufführung von „Melting Pianotude“ (2023) des 1978 geborenen Schweizer Komponisten Michael Pelzel für Transducer-Flügel und Ensemble. Dafür wurde der Flügel mit MIDI-Abnehmern gespickt, die synchron die angeschlagenen Töne verändern und dem ursprünglichen Klang wieder beimischen. Das klang, als würde jedem angeschlagenen Ton eine Art Wirbelschleppe folgen. Am Beginn der Klangreise hörte man flappende Geräusche, wie von einem Schwarm riesiger Fledermäuse, mit silbrigen Klangschatten.

Gegen Mitte des Stücks traten Oboist, Posaunist und Hornist mit Schläuchen um den Hals zum Flügel. Was sie machten, sah man nicht. Aber es hörte sich an, als würden sie die Flügelsaiten nach unten stimmen. Wenig später bebte unter den Zuhörern der Boden von mächtigen Impulsen, die jedoch hier, im Unterschied zu funktionalen Musiken, nicht unwidersprochen blieben. Insgesamt eine mitreißende Klang-Erlebnisreise. Ebenso viel Beifall bekam das abschließende „Kammerkonzert für 13 Instrumentalisten“ von Ligeti (1969/70). Mit Klängen, die im dritten Satz an Kinder erinnerten, die lustvoll auf einem quietschenden Eisentorflügel hin- und herschwingen.

Das Konzert wird im Radioprogramm hr2 am 21. März um 20.04 Uhr gesendet.

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