Schön wohnen auf wenig Platz

schön wohnen auf wenig platz

Blick ins Grüne: Ein Tiny House lässt sich gut im Garten aufstellen.

Minimalismus hat Konjunktur. Und das schon seit einigen Jahren. Ob es der Überdruss am Überfluss ist, die Faszination der Reduktion oder es auch nur die steigenden Zinsen sind, die die Finanzierungskosten für den Erwerb von Grundstücken und für den Hausbau enorm verteuert haben – immer mehr Menschen interessieren sich für Mikrohäuser.

Tiny Houses oder Tiny Homes heißen die winzigen Wohngebäude, die trotzdem richtige Häuser mit Küche und Bad, Strom, fließend Wasser und entsprechender Abwasserentsorgung sind – nur eben etwas kleiner. Mit dem Interesse steigt die Zahl der Anbieter auf dem Markt, der freilich immer noch eine Nische ist.

Auch Martin Kemp aus Hamburg ist unter die Minimalisten gegangen. Kostensicher bauen und schnell, lautet seine Devise. Kemp ist Architekt mit zehn Jahren Berufserfahrung. Er arbeitete lange in einem klassischen Architekturbüro. Irgendwann aber suchte er etwas Neues und begann, sich mit dem Holzmodulbau zu beschäftigen. „Das war zu Beginn der Corona-Zeit“, sagt er.

schön wohnen auf wenig platz

Umzug leicht gemacht: Ein Mikrohaus gibt’s auch auf Rädern.

„Bei uns wird das größte Haus am häufigsten nachgefragt“

Tiny Houses gab es da schon. Und alles deutete darauf hin, dass sich auf diesem Feld ein Zukunftsmarkt entwickeln würde, eine neue Form des Wohnens. „2021 habe ich dann die Mima Minimalhaus Manufaktur gegründet.“ Ganz einfach war das nicht, weil Gründen in Deutschland schon allein wegen all der Bürokratie nicht einfach ist. Dazu kam die Suche nach einem Holzbauunternehmen, das umsetzen sollte, was Kemp plant und das auch die Kapazitäten für die Serienproduktion hatte.

Auf einem Drei-Meter-Raster entwarf Kemp drei verschiedene Minimalhausmodelle mit drei mal sechs, drei mal neun und sechs mal neun Quadratmeter Fläche, entweder mit Flach- oder Satteldach. Acht solcher Häuser hat das Hamburger Unternehmen 2023 gebaut, vier weitere sind gerade in Produktion.

„Bei uns wird das größte Haus am häufigsten nachgefragt“, sagt Martin Kemp. Mit den Bauherren und Bauherrinnen der vier Häuser, die derzeit produziert werden, hat er gerade eine Werksbesichtigung in dem Holzbauunternehmen hinter sich, dem die Umsetzung obliegt. Da konnten die Kunden die Baufortschritte ihrer Häuser begutachten.

Schließlich werden sie komplett geliefert und installiert, buchstäblich mit Kran und Schraubenzieher. „Transparenz ist uns wichtig“, sagt der Architekt. Immerhin gäben die Kunden solcher Häuser einschließlich der Investition in das Grundstück, auf dem sie aufgestellt werden, schon mal bis zu 300.000 Euro dafür aus.

Ein Grundstück braucht man trotzdem

Wer sich ein Tiny House zulegt, der braucht ein Grundstück, das auch bebaut werden darf. Und er benötigt für sein Haus eine Baugenehmigung. Längst ist die Branche der Tiny Houses ihren Anfängen entwachsen. Mit den Konzepten Gartenhaus oder Gartenlaube, Datsche oder umgebauter Bauwagen auf Rädern haben Tiny Houses nichts mehr zu tun – es sind gerade keine Räumlichkeiten, die man angeblich überall einfach aufstellen kann, wie viele noch immer glauben.

In Deutschland gilt strikt: ohne Genehmigung kein Wohnen. Klar, man darf sich genehmigungsfrei ein Häuschen in den eigenen Garten setzen, aber eben kein Tiny House mit Strom-, Wasser- und Abwasseranschluss. Die genehmigungsfreien Varianten sind ausschließlich Aufenthaltsräume, mehr nicht. Ein Tiny House hingegen ist zum Wohnen da, auf kleinstem Raum zwar, aber mit allem Drum und Dran. In Gartenhäusern zu wohnen ist verboten.

Der Miniaturraum ist längst ein Geschäftsmodell geworden – spätestens seit einer der Mitgründer von Airbnb, Nathan Blecharczyk, in die Branche investiert. Der Milliardär hat sich vor gut einem Jahr an dem Berliner Start-up „Raus“ beteiligt, dem es in einer Anschlussfinanzierungsrunde gelungen ist, drei Millionen Euro einzusammeln.

„Raus“ wurde 2021 von drei Freunden gegründet und hat an idyllischen Orten kleine Häuschen aufgestellt, die auf der Homepage des Unternehmens als „Cabins“ angeboten werden – zu Preisen von bis zu 160 Euro für eine Nacht. Ein Naturerlebnis zwar, aber sicher kein Dauererlebnis, denn die Häuschen haben weitgehend keinen Anschluss an Infrastruktur wie Wasser, Abwasser und Strom. Die Toilette ist ein Kompostmodell. Angeschlossen sein müssen sie auch nicht: Sie sind der Stadtflucht geschuldet – um wirkliche Tiny Houses handelt es sich nicht.

Die meisten Häuser werden fest installiert

Zwischen 70 und 80 Anbieter von echten Mikrohäusern gibt es derzeit in Deutschland am Markt, sagt Peter Pedersen aus Neumünster. Er ist Präsident des inzwischen gegründeten Bundesverbands Mikrohaus (BVMH). Pedersen ist ein begeisterter Verfechter von Minimallösungen beim Wohnen, außerdem hat er ein eigenes Unternehmen, das Mikrohäuser baut. „Rolling Tiny Houses“ hat er es genannt. Mehr noch: Er selbst plant mit seiner Frau, sich ein Minihaus auf Kreta zu errichten. Als Urlaubssitz sozusagen und natürlich in Eigenregie.

„Mit der Bauwagen-Community haben wir nichts zu tun“, sagt Pedersen. „Die Tiny Houses, die unsere Mitglieder im Bundesverband anbieten, sind baugenehmigungspflichtig, energieeffizient und in jedem Fall legal.“ Will sagen: Sie werden nicht einfach irgendwo aufgestellt, auch nicht bei Bauern auf einem Fleckchen gepachteter Wiese.

„Tiny Houses sind normale Häuser“, sagt Pedersen, solche übrigens, die 80 Prozent seiner Kunden gewerblich kauften. Etwas naiv sei deshalb der Name gewesen, den er seinem Unternehmen vor sieben Jahren gegeben habe. Denn es rollt auch bei Pedersen nicht alles. „Die rollenden Häuser sind eigentlich eine Sonderversion.“ Das Gros der 250 Häuser, die sein Unternehmen bisher verkauft habe, werde fest installiert.

Aber wofür eigentlich? Für Gewerbeparks zum Beispiel, in denen neue Büros entstehen sollen. Auch das stadteigene Tiny House als Begegnungsstätte gibt es, aber noch beliebter sind Tiny Houses als besondere Ferienhäuser. Allein am gewerblichen Markt werden jedes Jahr bis zu 300 solcher Häuser verkauft. Unter den Privatkunden bilden die sogenannten Best Ager die größte Kundengruppe, diejenigen also im Alter von 50 Jahren an aufwärts, deren Kinder aus dem Haus sind. „Wenn dann das Grundstück und das Haus zu groß sind, wollen sich manche umorientieren“, sagt Pedersen.

Der Hamburger Architekt Martin Kemp hat bisher interessanterweise vor allem für Kunden in Baden-Württemberg geplant und verkauft. Ein Paar in den Dreißigern wohnt auf 54 Quadratmetern im Garten der Eltern. Ein Architektenpaar hat zwei Häuser gekauft, die es vermietet, andere haben in Esslingen ein Haus als Altersruhesitz bezogen, wieder andere haben sich in einem Wochenendgebiet ein Ferienhäuschen für die Familie zugelegt. Die Hippiezeiten des minimalistischen Wohnens, in denen Menschen sich mit reichlich Woodstock-Feeling ausrangierte Bauwagen um- und ausbauten, sind endgültig vorbei.

Insofern ähnelt vieles beim Erwerb eines Tiny House dem klassischen Hausbau – nur ist das Mikrohaus eben deutlich günstiger, weil schon die Wohnfläche so viel kleiner ist. Und weil der Keller fehlt. „Bauland wird dafür in der Regel nicht extra ausgewiesen“, weiß Verbandspräsident Pedersen, der auch darauf hinweist, dass man für Tiny Houses unbedingt ein reguläres Baugrundstück braucht.

Allerdings gibt es keine Regel ohne Ausnahme: Natürlich gibt es auch Kommunen, die dem Trend entgegenkommen. Die Residenzstadt Celle zum Beispiel hat den ersten Bebauungsplan für eine Minihaussiedlung verabschiedet, für Gebäude also mit maximal 50 Quadratmeter Wohnfläche. Die Häuser dürfen nicht höher als 4,50 Meter sein. In der zweiten Reihe sind dann nur noch kleinere Tiny Houses zugelassen. Es gelten alle baurechtlichen Vorschriften. Und die sind deutlich rigider als etwa in Osteuropa, von wo ebenfalls viele Mikrohaus-Bauunternehmen kommen.

Schlüsselfertig ist teuer

Wie viel aber kostet nun so ein Tiny House? Das kommt darauf an: Wird es schlüsselfertig geliefert, ist es teurer, als wenn der Eigentümer es selbst noch ausbaut. Dann spielt die Wohnfläche eine Rolle und natürlich die Ausstattung. Bisher galt auch: Auf Rollen ist es günstiger als ohne.

Das fertige Tiny House koste je nach Hersteller zwischen 30.000 und 80.000 Euro, schreibt zum Beispiel die LBS, die solche Projekte auch finanziert. Gleichwohl ist ein solches Miniheim nicht unbedingt etwas für Leute mit kleinem Geldbeutel. Denn schon dieser Betrag muss in vielen Fällen finanziert werden.

Auch Zusatzkosten, die zur schlüsselfertigen mobilen Immobilie noch dazukommen, werden schnell vergessen – darunter ja nicht nur das Grundstück per se, sondern eben auch die Anschlussgebühren, die Versorgungstechnik, die Außenanlagen und allerlei andere Baunebenkosten.

Und dann kommt es eben doch auch sehr stark darauf an, an welchem Ort man sich niederlässt. Denn die Grundstückspreise können in Hamburg etwa schnell das Zehnfache der Preise betragen, die etwa in Brandenburg verlangt werden.

Warum nur in der Natur, in Gärten und am Stadtrand bauen?

Martin Kemp denkt mit seinen Minimalhäusern inzwischen noch viel weiter. Warum nur in der Natur, in Gärten und am Stadtrand bauen? „Es gibt in den Städten viele leer stehende Dachflächen, die sich für Minimalhäuser gut eignen“, sagt er.

Parkhäuser zum Beispiel, deren oberste Decks häufig ungenutzt blieben. Solche Flächen ließen sich temporär oder fest zweckentfremden, sofern man die Eigentümer dafür gewinnen kann. Eine echte Minimalhaussiedlung könnte hoch oben auf den leeren Dächern entstehen mit Bäumen in großen Kübeln, die für ein grünes Ambiente sorgen.

„Hamburg benötigt Wohnraum, mit der Idee dieser innerstädtischen Projekte könnte ein Beitrag geleistet werden, ohne zusätzliche Flächen in Anspruch zu nehmen“, ist Kemp überzeugt. Der Mehrwert: Es entstehen innerstädtische Wohnflächen über den Dächern der Stadt, und aus bisher versiegelten Dachflächen werden grüne Bereiche, in denen sogar Minigärten zur Verfügung stünden. Ein weiterer Clou an der Sache ist: Soll das Gebäude eines Tages dann doch einer anderen Nutzung zugeführt werden, könnten die Häuser problemlos auf eine andere Dachfläche umziehen.

Doch dazu braucht es noch viel Überzeugungsarbeit. Martin Kemp jedenfalls baut erst mal weiter: Derzeit stehen neben den vier bereits erwähnten Minihäusern auch zwanzig Baumhäuser in Mecklenburg-Vorpommern auf dem Programm, die ein Ferienanbieter in Auftrag gegeben hat.

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