Karl-Theodor zu Guttenberg - Was die Tiraden eines Vaters in Berlin-Mitte über unser Weltbild verraten

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Karl-Theodor zu Guttenberg Sebastian Gollnow/dpa

„Nichts funktioniert in unserem Land.“ Ich stehe an einer Kreuzung in Berlin und blicke zu dem Mann, der sich soeben lautstark echauffiert hat. An seiner Seite die Ehefrau und zwei kleine Töchter. Die Ampelanlage ist defekt. Die Autofahrer ringen regelvergessen mit ihrer Überforderung.

Passiert gelegentlich. Nicht nur in Deutschland. Neben mir setzt der Familienvater seine Tiraden fort: „Alles geht den Bach hinunter. Die Wirtschaft. Unsere Schulen. Das Gesundheitssystem. Ein Desaster. Dann die Flüchtlinge. Und diese ganze schreckliche Stadt eine einzige Baustelle.”

Ich sehe mich um. Wir befinden uns in einer der schönsten Ecken von Berlin-Mitte. Das triste Grau der Nachwendezeit ist längst gewichen. Nirgends steht ein Gerüst. Weit und breit keine Straßensperrung. „Selbst das Wetter ist beschissen”, sekundiert seine Frau. Eine interessante Wahrnehmung. Seit geraumer Zeit bahnt sich nämlich die Sonne ihren Weg durch die schweren Wolken. Die Kinder blicken nach oben. Ratlos.

Eines stubst seine Eltern an, die sich unablässig weiter aufregen: „Aber es scheint doch die Sonne. Der Himmel ist wunderschön.” Tatsächlich leuchtet er an diesem frühen Abend in schillernden Farben. Die Mutter grantelt: „Für zwei Minuten, dann regnet es wieder. Es ist zum Mäusemelken.“ Beide Mädchen feixen über die praktische Umsetzung des Mäusemelkens – bis wir alle vom Trubel auf der anderen Straßenseite abgelenkt werden.

„Unmöglich“ – Sogar ein entlaufener Dackel sorgt für Empörung

Dort ist ein junger Dackel seinem Herrchen entwischt. Mehrere Passanten versuchen erfolglos, ihn einzufangen. Er rettet sich in ein Lokal. Ausgerechnet. Eine herrlich groteske Szene. „Unmöglich, diese Hundehalter“, stänkert der Vater.

Ich frage mich, mit welchem Weltbild diese Kinder wohl aufwachsen. Verlieren wir mit zunehmenden Alter die Fähigkeit, uns an den vordergründig kleinen Dingen, Schönheiten und Kuriositäten dieser Welt zu erfreuen? Ist das „Ja, aber“ ein konstituierendes Merkmal unserer heutigen Mentalität? Es zieht sich jedenfalls durch Kommentarspalten, Rezensionen und allabendliche Talkrunden.

Die Begriffe Zuversicht und Optimismus scheinen derzeit gute Aussichten für eine Sonderausstellung im nahegelegenen Deutschen Historischen Museum zu haben.

Warum Sie „Ampelausfall in Berlin“ auch mit Humor begegnen können

Natürlich gibt es Gegenbeispiele. Menschen, die sich nicht aufgerufen fühlen, jeder Begebenheit eine negative Wendung zu geben. Die einem „Ampelausfall in Berlin“ mit Humor begegnen würden (bei aller Versuchung zu wunderbaren Analogien – und allem Verständnis für die zuweilen erdrückenden Sorgen unserer Zeit).

Lichtblicke – da andernfalls eine Gesellschaft, in der selbst ein halbvolles Glas als Zumutung empfunden wird, innerlich zu verdorren droht.

Beschwerde bei magischem Augenblick: Ich erwäge, Mäuse zu melken

Einige Tage später. Osterferien in Nordschweden. Ich sehe nach vielen vergeblichen Anläufen erstmals die Polarlichter und bin hingerissen von der Magie des Augenblicks. Bis sich jemand beschwert, dass die Aurora am Nachthimmel eine einzige Enttäuschung sei. Auf dem Handy wären die Farben viel spektakulärer. Ich erwäge, Mäuse zu melken.

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