Shein und Temu: Die konträren Strategien gegen die chinesische Billigkonkurrenz
Soll wieder mehr zu tun haben: ein Mitarbeiter am Zalando-Logistikzentrum in Lahr
Die vergangenen Jahre waren nicht einfach, gibt Tarek Müller im Gespräch mit der F.A.Z. zu. Der Markt für den Onlinemodehandel sei um 10 bis 15 Prozent geschrumpft. Auf die sinkende Nachfrage hätten viele Anbieter mit mehr Rabattaktionen reagiert, was wiederum die Margen unter Druck gesetzt habe. Müller ist Mitgründer und Geschäftsführer des Onlinemodehändlers About You und hat den Börsenwert seines Unternehmens seit dem Börsengang 2021 um mehr als 80 Prozent einbrechen sehen, gekrönt vom Rausschmiss aus dem S-Dax.
Die Zeiten rasanten Wachstums sind für die einstigen Stars des deutschen Onlinehandels vorbei. Der Umsatz von About You wuchs im Geschäftsjahr 2023/2024 im Vorjahresvergleich um 1,6 Prozent auf 1,94 Milliarden Euro, teilte das Unternehmen am Dienstag mit. Durch Sparbemühungen und Effizienzsteigerungen hat sich die Marge zwar deutlich verbessert. Unter dem Strich steht aber immer noch ein Verlust von 112,2 Millionen Euro nach 229 Millionen Euro Verlust im Vorjahr. Der Umsatz des Berliner Konkurrenten Zalando schrumpfte 2023 gar um 1,9 Prozent auf knapp 10,1 Milliarden Euro.
Zwar sehen sowohl Zalando als auch About You wieder einen leichten Aufwärtstrend in der Nachfrage. Der über Zalandos Plattform gehandelte Brutto-Warenwert stieg im ersten Quartal um 1,3 Prozent auf 3,3 Milliarden Euro. „Wir kehren auf den Wachstumspfad zurück“, sagte Finanzchefin Sandra Dembeck am Dienstag bei der Vorstellung der Quartalszahlen. Und auch das Umsatzwachstum von About You zog im letzten Quartal des vergangenen Geschäftsjahres mit 5,2 Prozent deutlich an. Doch die geopolitische Lage bleibe nun mal volatil, sagt Müller, was sich in einer breiten Prognosespanne zeigt: Zwischen 1 und 10 Prozent Wachstum stellt About You für das kommende Geschäftsjahr in Aussicht.
Strategie kopieren oder ausweichen?
Auch abseits der Konjunkturflaute mangelt es nicht an strategischen Fragen, allen voran zur erstarkenden Konkurrenz aus China. Anbieter wie Shein und Temu haben aggressiv nach Europa expandiert und den etablierten Onlinehändlern durch günstige Preise, Apps mit cleveren Kaufanreizen und das schnelle Reagieren auf Trends Marktanteile abgejagt. Dass die Zahl der aktiven Zalando-Kunden von 5,1 Millionen auf 4,9 Millionen zurückgegangen ist, führt Finanzchefin Dembeck unter anderem darauf zurück, dass sie zu Konkurrenten mit günstigeren Angeboten abgewandert seien. Zalando und About You reagieren aber sehr unterschiedlich auf die neuen Wettbewerber.
„Wir wollen nicht im Segment der Ultra-Fast-Fashion und der ultra-niedrigen Preise konkurrieren“, sagte Dembeck. Zalando setzt stattdessen unter anderem vermehrt auf höherpreisige Markenprodukte und Luxusartikel. Müller von About You will sich hingegen einen entscheidenden Punkt bei Shein und Temu abgucken: die Lieferkette. Die Unternehmen können auch deshalb oft innerhalb eines Tages auf neue Trends reagieren, weil sie „just in time“ in asiatischen Fabriken produzieren lassen und von da an die komplette Logistik übernehmen – aber erst, wenn der Kunde bestellt hat. About You will das Modell im kommenden Geschäftsjahr übernehmen und Mode direkt vom Hersteller verkaufen, allerdings vor allem aus europäischen Fabriken, etwa aus Portugal oder der Türkei. „Wir treffen den europäischen Geschmack besser als die asiatische Konkurrenz und haben kürzere Lieferwege“, sagt Müller.
„Die Marge im Handelsgeschäft ist begrenzt“
Aber auch abseits von Temu und Co. befindet sich die Branche im Wandel. „Die Transformation vom Onlinehandelsmodell zur Plattform ist genau so hart wie die Transformation vom stationären Händler zum Onlinehändler“, sagt Alexander Graf. Er ist Gründer von Spryker, einem Softwareanbieter für Händler und Hersteller, und arbeitet seit mehr als 20 Jahren in der Branche. Die Anleger wünschen sich die Wachstumsraten vergangener Zeiten, erwarten aber gleichzeitig eine weiter steigende Profitabilität – keine einfache Aufgabe. „Die Marge im Handelsgeschäft ist begrenzt“, sagt Graf.
Die großen deutschen Onlinehändler würden daher immer stärker zum Medienunternehmen, weil über Werbung eine höhere Rendite erzielt werden könne. „Wer alleine auf die Handelsmarge angewiesen ist, ist bei schwächelnder Nachfrage total aufgeschmissen.“ Es gehe zunehmend nicht mehr nur darum, wie viele Produkte verkauft würden, sondern vor allem, wie lange Anbieter Nutzer auf der Plattform hielten. Bei About You macht das Werbegeschäft aktuell mit 56 Millionen Euro 2,8 Prozent des Umsatzes aus. Perspektivisch seien auch 4 bis 5 Prozent denkbar, sagt Müller. Aber: „Man darf die Kundenerfahrung auch nicht zu stark beschneiden, sodass sie nur noch beworbene Inhalte sehen.“