O2-Übernahme: Herr Álvarez greift durch

amazon, o2-übernahme: herr álvarez greift durch

Der Telefonica CEO Jose Maria Alvarez-Pallete beim Entrepreneur of the Year Award in Barcelona 2022.

Für José María Álvarez-Pallete ist die Lage klar: Der Telekomsektor in Europa steht am Scheideweg, warnt der Chef des spanischen Marktführers Telefónica eindringlich im Gespräch mit der F.A.Z. „Ich will, dass das alle verstehen.“ Die Europäische Union müsse wieder zurückfinden auf den Pfad von Wettbewerb und Deregulierung. Der Spanier fühlt sich eingeengt durch die Regulierung in Brüssel und fürchtet, dass Europa im Rennen mit anderen Weltregionen buchstäblich den Anschluss verliert. Mit dieser Botschaft sucht er derzeit die Öffentlichkeit. So wie gerade während des Weltwirtschaftsforums im schweizerischen Davos geschehen, wo Álvarez-Pallete seit Jahren zu den Stammgästen zählt.

Dass er es ernst meint mit seiner Forderung, beweist die auf den ersten Blick eher ungewöhnliche Unterstützung einer Fusion seiner Wettbewerber Orange und Másmóvil auf dem Heimatmarkt, die schon seit mehr als eineinhalb Jahren in Brüssel auf Eis liegt. Álvarez-Pallete versteht nicht, warum sich die Prüfung so lange hinziehe. In Spanien gebe es mehr als 100 Mobilfunkanbieter, „danach hätten wir immer noch reichlich Konkurrenz“. Dass er dadurch die Marktführerschaft – nach Mobilfunkverträgen und Umsatz – verlieren dürfte, ist dem 59 Jahre alten Manager womöglich gar nicht unrecht, verschöbe sich damit doch das Hauptaugenmerk der Regulierer.

Álvarez-Pallete kam 1999 zu Telefónica, nachdem er zunächst als Berater und für die Zementindustrie gearbeitet hatte. Die Konzernkarriere verlief stetig nach oben, seit 2016 trägt er den Titel „Chairman and CEO“, was ihm operativ die Fäden in die Hand gibt. Nachdem er das einstige Staatsunternehmen übernommen hatte, musste er rasch die drückende Schuldenlast reduzieren, die Vorgänger César Alierta durch seine Einkaufstour vor allem in Lateinamerika angehäuft hatte. Zur fälligen Umstrukturierung gehörte die Fokussierung auf die Märkte Spanien, Brasilien, Deutschland und Großbritannien. Zudem trieb er die Digitalisierung und den Ausbau des Netzes voran.

Wie Álvarez mit den Großverbrauchern umgehen will

Derzeit steht Álvarez-Pallete auch dem Weltverband der Mobilfunkanbieter vor. Mit seiner Kritik an den europäischen Regelwerken legt er im F.A.Z.-Gespräch noch nach: Die Regulierer gingen nämlich von falschen Definitionen relevanter Märkte aus. Telefónica sei zum Beispiel in Spanien als dominanter Akteur für Pay TV geführt. Doch in Brüssel und Madrid wisse man gar nicht über die Marktanteile großer Streamingplattformen wie Netflix oder Amazon Bescheid, weil diese nicht gesondert veröffentlicht würden. „Man gibt die Daten nicht raus und wird deshalb nicht reguliert? Das kann doch nicht sein“, findet der Spanier, der bei dem Thema hörbar in Fahrt kommt.

Der Manager mit dem akkuraten Seitenscheitel, dessen Miene sich nur aufheitert, wenn die Sprache auf seinen Lieblingsverein Real Madrid kommt, treibt wie seine Kollegen das Thema „Heavy User“ um. Gemeint sind rund ein halbes Dutzend Kunden, die mehr als 50 Prozent des Datenverkehrs auf den Netzen verursachen. In diese illustre Runde gehören neben amerikanischen Streaming- und Videoanbietern auch die Dienste von Meta sowie die ursprünglich chinesische Plattform Tiktok.

Weil der Datenverkehr jedes Jahr um 30 Prozent wächst, müssen die Telekomkonzerne viele Milliarden in ihre Netze investieren. Das Geld verdienen aber andere damit. Branchenvertreter wie Telekom-Chef Tim Höttges fordern deshalb von den Tech-Riesen einen „fair share“, also eine angemessene Beteiligung an den Netzkosten. Álvarez-Pallete verfolgt einen etwas anderen Ansatz. „Es ist nicht deren Geld, das ich will, sondern einen verantwortungsvollen Umgang mit den Kapazitäten im Netz.“

Seine Idee: Wer mehr als 50 Prozent der Kapazitäten benutzt, bekommt zwei Jahre Zeit, um den Anteil wieder unter 50 Prozent zu drücken. Erst wenn das nicht gelingt, folge eine Beteiligung am Ausbau. Für diese Idee will er in den kommenden Monaten Mitstreiter werben. Der Mobilfunkkongress in Barcelona in rund einem Monat bietet die nächste große Bühne.

Was der Einstieg von Saudi Telecom bedeutet

Doch auch zu Hause hat Álvarez-Pallete derzeit alle Hände voll zu tun, um die Zukunft des Konzerns zu sichern, der in diesem Jahr 100 Jahre alt wird. Das vergangene halbe Jahr sei schon anstrengend gewesen, verrät er mit einem Schmunzeln. Den Sommerurlaub hatte ihm eine Nachricht aus Deutschland zerschossen. Anfang August gab das Mobilfunkunternehmen 1&1 bekannt, künftig das 5-G-Netz seines Wettbewerbers Vodafone nutzen zu wollen und sich damit von O2, seinem bisherigen Partner für die 4-G-Technologie, zu trennen.

Der Verlust bescherte der Münchner Tochtergesellschaft von Telefónica ein gewaltiges Problem, denn schrittweise werden rund 12 Millionen 1&1-Kunden umziehen – und O2 geht damit ein Betrag in dreistelliger Millionenhöhe verloren. Der Aktienkurs von O2 rutschte nach Bekanntwerden dementsprechend ab.

Die Schockwellen aus Deutschland reichten bis nach Madrid. Im Norden der Hauptstadt, nahe dem Flughafen Barajas, steht die glitzernde Konzernzentrale von Telefónica. Mit etwas mehr als 20 Milliarden Euro Marktkapitalisierung gilt der Mobilfunkkonzern aber geradezu als Schnäppchen (Deutsche Telekom: 113 Milliarden Euro).

Saudi Telecom nutzte denn auch prompt die Gelegenheit und sicherte sich 9,9 Prozent, was in Spaniens Politik für helle Aufregung sorgte. „Man sieht daran, dass wir attraktiv sind“, versucht Álvarez-Pallete das Blatt ins Positive zu wenden. Sein Unternehmen gilt in Sachen intelligente Netze als Vorreiter in Europa. Die Regierung war extrem besorgt, die Kontrolle über ein strategisch wichtiges Unternehmen zu verlieren, und eilte Álvarez-Pallete zu Hilfe. Deshalb kehrt der Staat fast ein Vierteljahrhundert nach der Privatisierung nun als Telefónica-Aktionär zurück und erwirbt über die Staatsholding SEPI 10 Prozent der Aktien, was einige Kritik hervorruft.

Zudem ließ Álvarez-Pallete schon im November mitteilen, dass man die restlichen Anteile an O2 in Deutschland für rund 2 Milliarden Euro übernehmen will. Marktbeobachter werten diesen Zug als Versuch, die Konzernstruktur zu straffen. Am Montag gab Telefónica bekannt, dass man nach Ablauf des Angebots an die Aktionäre jetzt 93 Prozent hält. Weil die Übernahme das Problem der ohnehin hohen Verschuldung noch verschärft, hat der Telefónica-Chef seinem Konzern ein neues Sparprogramm verordnet.

Im Dezember war von Gewerkschaftsseite von mehr als 5100 Arbeitsplätzen die Rede, die bis 2026 abgebaut werden sollten – von insgesamt nur noch etwas mehr als 20.000 Beschäftigten im Heimatland. Anfang Januar einigte man sich auf 3400 vor allem ältere Mitarbeiter, denen man ein freiwilliges Ausscheiden anbieten will. Álvarez-Pallete wird auch 2024 mit dem Konzernumbau voll beschäftigt sein.

News Related

OTHER NEWS

Ukraine-Update am Morgen - Verhandlungen mit Moskau wären „Kapitulationsmonolog" für Kiew

US-Präsident Joe Biden empfängt Wolodymyr Selenskyj im Weißen Haus. Evan Vucci/AP/dpa Die US-Regierung hält Verhandlungen zwischen der Ukraine und Russland zum jetzigen Zeitpunkt für „sinnlos”. Bei einem Unwetter in Odessa ... Read more »

Deutschland im Wettbewerb: Subventionen schaden dem Standort

Bundeskanzler Olaf Scholz am 15. November 2023 im Bundestag Als Amerikas Präsident Donald Trump im Jahr 2017 mit Handelsschranken und Subventionen den Wirtschaftskrieg gegen China begann, schrien die Europäer auf ... Read more »

«Godfather of British Blues»: John Mayall wird 90

John Mayall hat Musikgeschichte geschrieben. Man nennt ihn den «Godfather of British Blues». Seit den 1960er Jahren hat John Mayall den Blues geprägt wie nur wenige andere britische Musiker. In ... Read more »

Bund und Bahn: Einigung auf günstigeres Deutschlandticket für Studenten

Mit dem vergünstigten Deutschlandticket will Bundesverkehrsminister Wissing eine junge Kundengruppe dauerhaft an den ÖPNV binden. Bei der Fahrkarte für den Nah- und Regionalverkehr vereinbaren Bund und Länder eine Lösung für ... Read more »

Die Ukraine soll der Nato beitreten - nach dem Krieg

Die Ukraine soll nach dem Krieg Nato-Mitglied werden. Die Ukraine wird – Reformen vorausgesetzt – nach dem Krieg Mitglied der Nato werden. Das hat der Generalsekretär des Militärbündnisses, Jens Stoltenberg, ... Read more »

Präsidentin droht Anklage wegen Tod von Demonstranten

Lima. In Peru wurde eine staatsrechtlichen Beschwerde gegen Präsidentin Dina Boluarte eingeleitet. Sie wird für den Tod von mehreren regierungskritischen Demonstranten verantwortlich gemacht. Was der Politikerin jetzt droht. Perus Präsidentin ... Read more »

Novartis will nach Sandoz-Abspaltung stärker wachsen

ARCHIV: Das Logo des Schweizer Arzneimittelherstellers Novartis im Werk des Unternehmens in der Nordschweizer Stadt Stein, Schweiz, 23. Oktober 2017. REUTERS/Arnd Wiegmann Zürich (Reuters) – Der Schweizer Pharmakonzern Novartis will ... Read more »
Top List in the World