„Senior Professionals“ - Ein Unternehmen holt hunderte Rentner aus dem Ruhestand zurück – und die kommen

Zentrale der Firma ZF Friedrichshafen AG. Die ZF Friedrichshafen AG ist ein weltweit aktiver Technologiekonzern und liefert Systeme für die Mobilität von Pkw, Nutzfahrzeugen und Industrietechnik. imago images/Future Image

Im Unternehmen ZF arbeiten mehr als 300 Rentner. Einer von ihnen ist Roland Briese – eigentlich seit vier Jahren im Ruhestand. Er arbeitet als „Senior Professional“ und sieht darin viele Vorteile.

Roland Briese ist gerne unterwegs. Mit seiner Frau und dem Wohnmobil geht es los, auch mal acht bis zehn Wochen am Stück. Ein klassisches Rentnerleben, könnte man sagen. Doch wenn der 67-Jährige von seiner Tour zurückkommt, geht es gleich wieder los – dann aber dienstlich. Denn obwohl Briese, der am Bodensee wohnt, seit vier Jahren im Ruhestand sein könnte, arbeitet er einfach weiter.

Bei ZF, einem internationalen Konzern für Mobilitätssystem mit Hauptsitz in Friedrichshafen, ist er damit nicht allein. Rund 300 Rentnerinnen und Rentner, die schon früher dort gearbeitet haben, haben sich bereiterklärt, weiterhin Aufgaben zu übernehmen. Im Unternehmen ist das nun schon seit acht Jahren gängige Praxis. „Senior Professionals“ heißt das Programm.

ZF macht sich damit einen allgemeinen Trend zunutze: Mehr als eine Million Menschen in Deutschland arbeiten, obwohl sie älter als 67 Jahre sind . Die Gründe sind vielfältig, manche wollen sich Geld zur kleinen Rente hinzuverdienen, anderen haben einfach Spaß daran.

„Für mich wäre das kein passender Abschluss gewesen“

Roland Briese hatte bis 2020 rund 25 Jahre auf unterschiedlichen Positionen bei ZF verbracht. Die letzten Jahre vor dem Renteneintrittsalter kaufte er gebrauchte Aggregatoren an, die dann aufbereitet und weiterverkauft wurden.

Doch als der Ruhestand sich mit Anfang 60 näherte, war die Lage plötzlich anders als gedacht: Durch die Corona-Pandemie waren Briese und seine Kollegen überwiegend im Homeoffice. An eine persönliche Verabschiedung war da nicht zu denken. „Ich bin ein kommunikativer Mensch, der gerne mit seinen Kollegen zu tun hat. Für mich wäre das so kein passender Abschluss gewesen“, erzählt er FOCUS online.

Das ZF-Programm für „Senior Professionals“ kannte Briese davor schon – nun war es für ihn zur Möglichkeit geworden, die Verabschiedung noch etwas hinauszuzögern. Eine Notwendigkeit, in den Ruhestand zu gehen, sah er ohnehin nicht: „Ich bin körperlich und geistig fit – und noch nicht am Ende meiner Leistungsfähigkeit angekommen.“

Flexible, aber fordernde Arbeit für Rentner

Das sieht auch ZF so. Die „Senior Professionals“ würden über „langjährige Berufserfahrung, Expertenwissen und fundierte Unternehmenskenntnisse“ verfügen, erklärt ein Unternehmenssprecher. Damit können sie jüngeren Kolleginnen und Kollegen zur Seite stehen und auch mal kurzfristig ins kalte Wasser geworfen werden.

Die Arbeitszeit ist nämlich flexibel, sofern es der jeweilige Job zulässt. Bis zu neun Monate kann ein Einsatz dauern, aber auch einzelne Tage sind in Ordnung. Für Briese ist das optimal: Zuerst arbeitet er an einem Projekt, nach erfolgreichem Abschluss verabschiedet er sich dann in den langen Wohnmobil-Urlaub.

Roland Briese arbeitet seit 1994 für ZF.

Eine Beschäftigungstherapie sind die Arbeitsaufträge von ZF nicht. „Das sind keine Aufgaben, die man vom Sessel aus machen kann. Wir werden schon gefordert“, erzählt Briese. Wie früher fährt er dann auch mal zu Lieferanten und ist für einige Zeit nicht bei seiner Familie. Negative Reaktionen wegen seines Unruhestandes habe es bislang aber nicht gegeben. „Die sind noch von früher gewohnt, dass ich selten zu Hause bin. Ich war eigentlich immer unterwegs, von Estland bis nach Spanien.“

„Ich habe hier noch mit keinem über eine Vier-Tage-Woche gesprochen“

Zumindest die Aufgaben haben sich aber geändert: Briese ist jetzt nicht mehr für Aggregatoren, sondern für Elektromobilität zuständig. Denn die „Senior Professionals“ kehren nicht in ihrer alten Funktion ins Unternehmen zurück, sondern treiben beispielsweise Entwicklungsprojekte voran, übernehmen ein Interims-Management oder sind im Mentoring tätig.

Trotzdem macht die Arbeit nach wie vor Spaß – das ist Briese sehr wichtig. „Dann ist Arbeit auch nichts Schlimmes. Ich komme aber auch aus einer Generation, die vielleicht ein anderes Verständnis von Arbeit hat als jüngere Leute. Ich habe hier zumindest noch mit keinem über eine Vier-Tage-Woche oder Work-Life-Balance gesprochen.“

Menschen mit dieser Einstellung wie Briese will die FDP nun auch per Gesetz zum Arbeiten motivieren. Ein entsprechender Beschluss sorgte in der Ampel-Koalition für heftige Diskussionen. Die Partei will mit dem Vorschlag Fachkräfte im Job halten und die Wirtschaft damit in Schwung bringen.

ZF hat mit diesem Ansatz „ausgesprochen positive Erfahrungen“ gemacht, wie ein Konzernsprecher berichtet. „Es ist ein wichtiges Instrument, um in Zeiten des Fachkräftemangels auf einen ausgeprägten Erfahrungsschatz zugreifen zu können, der extern nur schwer zu finden ist.“ Im laufenden Jahr werden „Senior Professionals“ über 2500 Einsatztage leisten, prognostiziert das Unternehmen.

„Hätte nichts dagegen, auch mit 70 Jahren noch ein Projekt zu managen“

Auch von Briese werden wohl noch einige dazukommen: „Ich habe mir keine Obergrenze gesetzt, solange ich fit bin und man mich braucht, mache ich weiter. Ich hätte nichts dagegen, auch mit 70 Jahren noch ein Projekt zu managen.“ ZF unterstützt das, eine Altersgrenze für das Programm gibt es nicht – Motivation, Interesse und ein guter Gesundheitszustand sind die einzigen Voraussetzungen.

Briese erzählt zwar, dass ihn ein Tag mit acht oder mehr Arbeitsstunden schon mehr anstrenge als früher, „dann brauche ich vielleicht mal eine Stunde länger eine Auszeit“. Die nutzt er aber nicht für eine Ruhepause: „Raus aus den Arbeitsklamotten, rein in die Turnschuhe und laufen. Das habe ich die letzten 30 Jahre schon so gemacht.“