GDL-Bahnstreik: Was den Fahrgästen der DB als Nächstes droht

gdl-bahnstreik: was den fahrgästen der db als nächstes droht

Claus Weselsky, Vorsitzender der Lokführergewerkschaft GDL

So eine Stille auf den Gleisen! Hin und wieder kommt ein Zug, der von einem Streikbrecher gefahren wird, vorbei. Oder Lok und Wagen eines Bahnbetreibers, der in den Konflikt nicht einbezogen ist.

Ein Streik von rekordverdächtiger Länge hat große Teile des Zugbetriebs der Deutschen Bahn (DB) lahmgelegt. Im Güterverkehr herrscht 144 Stunden Stillstand, im Personenverkehr 136 Stunden lang – bis Montag, 18 Uhr.

Es sieht so aus, als sei Deutschland endlich einmal zur Ruhe gekommen, wenigstens im Schienenverkehr. Doch es brodelt in diesem ratlosen, erschöpften Land, das offenbar unheilbar unzufrieden ist. Die Gesellschaft ist in ummauerte Inseln zerfallen, deren Bewohner Opfer- oder Heldenstatus für sich beanspruchen (oder beides), um sich gegen Kritik zu immunisieren. Dunkle Unterströmungen werden sichtbar. Weiterhin nimmt kaum jemand Demos von Krankenschwestern und Erzieherinnen weiterhin kaum wahr. Wer dagegen fossil befeuerte Großfahrzeuge zum Protest mitbringt, dem bringen andere Teile des Mittelstands Beachtung und Sympathie entgegen.

Landwirte, die keine Einschnitte bei den Subventionen in Kauf nehmen wollen, hupen auf dem Weg zur Demo in Berlin Steuerzahler wach, die zu diesen Subventionen beitragen. Spediteure und Handwerker verwandeln die Innenstadt in eine riesige Nutzfahrzeugausstellung. Die Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) zwingt Fahrgäste und Frachtkunden nun schon zum vierten Mal, sich nach Alternativen umzuschauen oder auf umweltfreundliche Bahn-Mobilität zu verzichten.

Anfangs konnten die Lokführer auf die Zustimmung vieler Menschen bauen. Eine „Veralberungstaktik“, wie sie GDL-Chef Claus Weselsky beim Management der Bahn kritisiert, haben sie ebenfalls schon erfahren. Über alle Branchen hinweg wurde in operativen, wertschöpfenden Bereichen massiv gespart. Millionen Beschäftigte haben erlebt, wie Arbeit gleichzeitig entwertet und verdichtet wurde. Währenddessen speisen wirtschaftswissenschaftliche und juristische Studiengänge weiterhin eine Elite, die sich in den Chefetagen eingerichtet hat und ihre Daseinsberechtigung zu verteidigen weiß.

Die Forderung der GDL, die Wochenarbeitszeit im Schichtdienst bis 2028 schrittweise von 38 auf 35 Stunden zu verkürzen, hat in diesem Land einen Nerv getroffen. Obwohl trotz oder gerade wegen der Digitalisierung immer mehr Arbeit zu leisten ist, immer mehr Alte Pflege brauchen, Kunden in Internetbewertungen einen immer besseren Service einfordern, schwinden die Ressourcen, die diese Herkulesaufgaben leisten sollen. Trotz der rekordverdächtig niedrigen Rentenrendite in Deutschland ist der frühe Ruhestand unverändert ein Ideal. Beim Lotto ist die Sofortrente ein begehrter Gewinn.

Doch die Lokführer sollten sich nicht täuschen. Aktuelle Umfragen zeigen, dass die Sympathie mit der GDL schwindet. Millionen Menschen kommen nicht mehr oder nur mit großer Mühe zur Arbeit. Es ist vor allem die Streikdauer, die schmerzt. Für die meisten anderen Deutschen spielt die Bahn ohnehin keine Rolle, sie fahren Auto.

So viel steht fest: Die Hauptforderungen der GDL sind im Grundsatz berechtigt. Die Mitglieder können für ihre Beiträge zu Recht erwarten, dass ihre Gewerkschaft höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen erstreitet. Das Grundgesetz erlaubt es zu streiken; dass Arbeitskämpfe nicht weh tun dürfen, steht nirgendwo geschrieben. Aus der Sicht der Juristen, die Claus Weselsky nur zu gerne zitiert, ist auch der jetzige sechstägige Warnstreik als zulässig, recht- und verhältnismäßig anzusehen.

Das mag sicher so sein. Trotzdem verbietet es das Arbeitsrecht der GDL nicht, das Verhältnis zwischen gescheiterten Verhandlungsrunden und Streiks nachvollziehbar zu kalibrieren. Zwei Gesprächsrunden stehen mittlerweile vier Arbeitsniederlegungen gegenüber, weitere Ausstände sind zu erwarten. Auch die jüngsten Angebote beider Seiten mögen noch nicht reichen. Richtig ist aber auch, dass sie einen Raum eröffnen, in dem über eine Lösung gesprochen werden kann – und gesprochen werden muss.

Es stimmt, dass die GDL mit zahlreichen DB-Konkurrenten günstige Tarifabschlüsse erreicht hat. Doch nicht bei allen wird die Regelung zur Arbeitszeitverkürzung sofort wirksam – sondern erst dann, wenn auch die DB bei diesem Thema eingelenkt hat.

Der Lokführerstreik ist nicht nur legitim, er ist nach deutschen Maßstäben auch legal. Doch das ungute Gefühl, dass diese harte Form des Konfliktes immer öfter das Land lahmlegen könnte, nimmt zu. Sicher wäre auch der Endzustand, den die GDL anstrebt, juristisch okay. Tarifverträge gelten nur noch zwölf Monate – mit der Folge, dass es bei der Bahn bis zu zweimal jährlich zu Streikkaskaden käme, weil GDL und EVG mit wenigen Monaten Abstand neue Forderungen stellen würden. Dürfte die GDL auch noch die Fahrdienstleiter vertreten, könnte sie ebenfalls dafür sorgen, dass alle Signale auf Rot springen – selbst für Züge, deren Betreiber am Tarifkonflikt nicht beteiligt sind.

Das muss man noch nicht als Würgegriff dramatisieren. Doch klar ist, dass es schlimmer kommen könnte als jetzt, und das dauerhaft. Für die Bahn, ihre Kunden und die Gesellschaft hätte eine solche Intensivierung ernste Folgen. Wenn sich immer mehr der Eindruck ausbreitet, dass das Auto für die Planbarkeit von Alltagsroutinen und Reisen die bessere Wahl ist, könnte Deutschland die Mobilitätswende vergessen. Ein solcher Vertrauensverlust würde auch dazu führen, dass kaum ein Güterkunde bei der DB bleibt.

Nicht alles, was Juristen als zulässig, recht- und verhältnismäßig erachten, ist bis in die letzte Konsequenz angemessen. Ein Recht zu besitzen, entbindet nicht von dem Erfordernis, bei dessen Ausübung ein Minimum an Augenmaß zu beachten. Das mussten die britischen Gewerkschaften lernen, die ihre Möglichkeiten im Winter des Missvergnügens 1978/79 definitiv überreizten – was dazu beitrug, dass Margaret Thatcher die nächste Wahl gewann und Arbeitnehmerrechte abbaute.

Zu diesem Zeitpunkt ist es sicher falsch, eine Verschärfung des Streikrechts zu fordern. Doch ein Blick ins Ausland lohnt sich. Beim einstigen Streikweltmeister Italien sind Arbeitskämpfe im öffentlichen Bereich zeitlich begrenzt. Bei Bahn und Bus muss ein Mindestangebot garantiert werden – wie übrigens auch in Frankreich.

Es spricht nichts dagegen, warum nicht auch dieser Tarifkonflikt bei der DB mit Verhandlungen beigelegt werden könnte. Doch dafür muss es mehr Anstrengungen geben.

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