Schweizer Botschafter tritt in Moskau bei kremlnaher Stiftung auf
Thomas Greminger wirbt vor russischen Wissenschaftlern für den Aufbau von informellen Netzwerken und weilt an einer russischen Konferenz für nukleare Abrüstung. Er verteidigt sein Vorgehen.
Hat immer noch gute Kontakte nach Moskau: Thomas Greminger im Jahr 2019 bei einer Tagung der OSZE.
Das Gruppenfoto wirkt völlig neutral. Die Realität ist jedoch eine andere. Rund zwei Dutzend Russinnen und Russen, viele mit wissenschaftlichem Hintergrund, formieren sich am 23. April 2024 in einem Moskauer Seminarhotel zum Erinnerungsfoto. Mittendrin: Thomas Greminger, Leiter des Genfer Zentrums für Sicherheitspolitik mit Schweizer Botschaftertitel. Der 63-Jährige war bei der russischen Wissenschaftsstiftung Wysow zu Gast. Er sprach an einem Seminar zum Thema «Eine Zeit zum Handeln für die Wissenschaftsdiplomatie».
Prompt landen Gremingers Kernbotschaften samt Fotos auf der Internetseite der russischen Stiftung. «Wenn offizielle Plattformen und Foren blockiert sind, lasst uns informelle schaffen!», wird der ehemalige Schweizer Spitzendiplomat zitiert. Die Wissenschaft bezeichnet er als Hoffnungsträger, um «Kommunikationskanäle offen zu halten und die Beziehungen für künftigen Dialog und Zusammenarbeit zu stärken». Greminger ist auf der Website gleich zweimal abgebildet.
Veranstaltung unter Ausschluss der Öffentlichkeit
Im Gespräch mit dieser Redaktion bestätigt Thomas Greminger den Besuch in Moskau. Und rechtfertigt ihn. Auch wegen seiner Zeit als Generalsekretär bei der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) pflegt er noch immer gute Kontakte nach Moskau. Er betont, in seiner Rolle als Zentrumsleiter und nicht als Diplomat im Auftrag der Schweiz in Russland gewesen zu sein.
Dennoch hatte Greminger das Eidgenössische Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA) in Bern über seine Mission informiert. Beim EDA will man die Angelegenheit nicht kommentieren. Als Direktor des Genfer Sicherheitszentrums sei Greminger heute unabhängig, heisst es aus dem Aussendepartement.
«Dass man bei einem Auftritt bei einer russischen Wissenschaftsstiftung mit Fotos und Zitaten in den sozialen Medien landet, damit muss man rechnen», sagt Greminger. Eigentlich sei er aus einem ganz anderen Grund nach Moskau gereist. Das russische Center for Energy and Security Studies habe ihn zur Moskauer Non-Proliferation Conference eingeladen, so Greminger. Bei dieser «hochseriös organisierten Veranstaltung» unter Ausschluss der Medien und der Öffentlichkeit ging es um Gespräche über nukleare Abrüstung, Rüstungskontrolle und Non-Proliferation.
Eine Inszenierung wie für Oscarverleihungen
Er habe am Rande der Konferenz auch mit Vertretern der Präsidialadministration sowie Mitgliedern des russischen Sicherheitsrats und des Aussenministeriums direkt sprechen können, so Greminger. Gemäss seinen Angaben haben auch Amerikaner, darunter die frühere Unterstaatssekretärin Rose Gottemoeller, an der Konferenz teilgenommen, aber nicht physisch, sondern virtuell. Bei der Stiftung Wysow trat der Schweizer Diplomat auf, weil sie «im selben Zeitraum» ein Seminar abhielt und ihn zu diesem eingeladen hatte.
Russlands Präsident Wladimir Putin nutzt die Wissenschaftsstiftung Wysow, um Leistungen von russischen Wissenschaftlern zu zelebrieren.
Recherchen dieser Redaktion zeigen, dass die Stiftung weit weniger unabhängig ist, als es den Anschein macht. Die Stiftung wurde erst 2023 gegründet und ist die Trägerorganisation einer gleichnamigen Auszeichnung, die jährlich für herausragende wissenschaftliche Leistungen in Russland vergeben wird. Die erste Preisverleihung 2023 wurde in Moskau bewusst pompös inszeniert, in Anlehnung an die Oscarverleihungen in Los Angeles: mit einer grossen Bühne, mit Publikum in Smoking und Abendkleidern.
Die Stiftung Wysow, was auf Deutsch Herausforderung bedeutet, bezeichnet sich als «private, unabhängige und nicht staatliche Organisation». Gleichzeitig informiert sie auf ihrer Website aber, dass die Auszeichnung durch ein Dekret des russischen Präsidenten geschaffen worden sei. Die Preisverleihung 2023 wurde vom regimetreuen staatlichen TV-Kanal Eins live übertragen.
Hauptsponsor ist die Gazprombank
Das Preisgeld ist mit umgerechnet je 100’000 Franken in den Nebenkategorien und 500’000 Franken in der Hauptkategorie für russische Verhältnisse bemerkenswert hoch. Hauptsponsor ist die vom Westen sanktionierte Gazprombank. Ihr Vorsitzender ist Alexei Miller, einer der ältesten und engsten Vertrauten von Wladimir Putin. Der Aufruf, sich um die Wysow-Preise 2024 zu bewerben, wurde unter anderem auf der Website des russischen Aussenministeriums und auf den Seiten mehrerer russischer Botschaften veröffentlicht. Die Nähe der angeblich unabhängigen Stiftung zum Kreml ist also offensichtlich.
Darauf angesprochen, sagt Thomas Greminger: «Die Kontakte zur Wysow-Stiftung haben sich in Genf ergeben, am vom Schweizer Aussendepartement finanzierten Gesda (Geneva Science and Diplomacy Anticipator) Summit, einem Forum für Wissenschaft und Diplomatie.» Sein Institut für Sicherheitspolitik habe die Wysow-Stiftung danach einer Due Diligence unterzogen. «Natürlich findet man in Russland aktuell selbst in der Wissenschaftswelt politisch keine komplett unabhängigen Institutionen, aber die Wysow-Stiftung ist bei aller Problematik ein glaubwürdiger Akteur», so Greminger. Natürlich sei das immer mit einer Güterabwägung verbunden, inwiefern man Kontakte zu Akteuren pflege, bei denen zuweilen die Regierungsideologie durchscheine.
Thomas Greminger hält sich am 23. April 2024 in Moskau auf. Auf der Website der Stiftung Wysow ist der Schweizer gleich mehrfach abgebildet.
Die Wysow-Stiftung war von Gremingers Auftritt jedenfalls angetan. Auf Anfrage schreibt sie, Thomas Greminger sei ihr von seiner Teilnahme an führenden internationalen Plattformen bekannt gewesen. Sie habe ihn deshalb neben anderen Experten aus Europa, Südamerika und Afrika zur Tagung nach Moskau eingeladen. Wysow habe jedoch «keine Kosten im Zusammenhang mit der Teilnahme an unserer Veranstaltung übernommen – mit Ausnahme des gemeinsamen Mittagessens», so die Stiftung.
Auffallend ist: In der Medienmitteilung der Stiftung wird zwar die Bedeutung des internationalen Dialogs betont. Von den angeblich zahlreichen ausländischen Teilnehmern wird aber lediglich der Schweizer Greminger erwähnt, zitiert und auch im Bild gezeigt.
Physiker mit Auslandskontakten werden verhaftet
Am Seminar nahmen rund 30 Personen vor Ort teil und weitere virtuell. Gemäss Greminger beklagten sich russische Wissenschaftler darüber, «als Folge von formellen und informellen Sanktionen von der internationalen Wissenschaftswelt abgeschnitten» zu sein. Russland schaffe allerdings auch selbst immer mehr Hindernisse für russische Experten im Kontakt mit westlichen Kollegen, habe er daraufhin zu Bedenken gegeben, so Greminger. Für diese Kritik habe er teilweise Verständnis gespürt, teilweise aber auch nicht. Auch darum habe er auf informelle Foren hingewiesen, die man zum Zweck des Austausches einrichte.
In Russland selbst sind Wissenschaftler teilweise unter massivem Druck. Der russische Service der britischen BBC enthüllte unlängst, dass in den vergangenen Jahren mindestens zwölf renommierte Physiker vom Inlandsgeheimdienst FSB verhaftet wurden. Sie alle waren auf dem Gebiet der Überschalltechnik tätig und publizierten auch im Ausland. «Spionage» lautete der Vorwurf gegen sie. Drei von ihnen starben kurz nach ihrer Freilassung. Die restlichen wurden zu fünf bis sieben Jahren verschärfter Kerkerhaft verurteilt.
Thomas Greminger ist vom Nutzen seines Besuchs und seiner Vorschläge überzeugt. Er sagt: «Wenn die offiziellen Gesprächskanäle versiegen, gehört es zu den Aufgaben des Genfer Zentrums für Sicherheitspolitik, Kanäle offen zu halten und informelle Netzwerke aufzubauen.»
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