Schottlands Regionalpräsident Humza Yousaf tritt zurück und verschärft die Krise der schottischen Nationalisten
Humza Yousaf wurde im März 2023 zum Vorsitzenden der SNP gewählt. Nun hat er seinen Rücktritt angekündigt. Paul Ellis / Reuters
Die Scottish National Party (SNP) schlittert immer tiefer in die Krise. Vergangenes Jahr musste sie notfallmässig die langjährige Regionalpräsidentin Nicola Sturgeon ersetzen, die im Zug einer parteiinternen Finanzaffäre ins Visier der Polizei geraten war. Am Montag nun musste ihr Nachfolger Humza Yousaf nach bloss 13 Monaten im Amt seinen Rücktritt ankündigen. Mit diesem Schritt kam der SNP-Chef zwei Misstrauensvoten im Regionalparlament zuvor, die Yousaf diese Woche zu verlieren drohte. Er will geschäftsführend im Amt bleiben, bis die Partei seine Nachfolge geregelt hat.
«Brutales Geschäft»
«Politik kann ein brutales Geschäft sein», sagte der 39-Jährige bei seiner emotionalen Rücktrittsankündigung in Edinburgh. Doch dass der Sohn pakistanischer Einwanderer über die Klinge springen muss, hat Yousaf in erster Linie sich selbst und seiner politischen Fehlkalkulation zuzuschreiben.
Die SNP hatte bei der letzten Wahl im Jahr 2021 die Mehrheit der Sitze im Regionalparlament knapp verfehlt. Darum ging sie eine Koalition mit den linksgerichteten Grünen ein, die wie die SNP für die schottische Unabhängigkeit eintreten. Doch letzte Woche kündigte Yousaf die Koalition überraschend auf. Anlass waren ein Streit um die Verwässerung der schottischen Klimaziele, aber auch Meinungsunterschiede zur Abgabe von Pubertätsblockern an Jugendliche.
Yousaf hatte gehofft, er werde sich bis zum Ende der Legislatur als Chef einer Minderheitsregierung an der Macht halten können. Doch die Grünen warfen ihm einen schweren Vertrauensbruch vor und kündigten an, ein von den Konservativen lanciertes Misstrauensvotum gegen den Regierungschef zu unterstützen. Da auch sonst keine Oppositionspartei Yousaf mittragen wollte, zog er am Ende den Rücktritt einer Demütigung im Parlament vor. Er räumte ein, er habe den Schmerz der Grünen unterschätzt, deren Minister er aus heiterem Himmel aus ihren Büros verjagt hatte.
Interner Richtungsstreit
Letztlich ist Yousaf auch am Richtungsstreit innerhalb der SNP gescheitert. Der linke Parteiflügel fühlte sich in der Koalition mit den Grünen wohl. Yousafs Regierung schlug nicht nur in der Klimapolitik, sondern auch im Kulturkampf einen betont progressiven Kurs ein. In einem Gender-Gesetz wollte sie zum Beispiel trotz einem Veto der Zentralregierung in London Transsexuellen den Geschlechtswechsel ohne medizinisches Gutachten ermöglichen. Und sie war verantwortlich für ein neues Gesetz gegen das Schüren von Hass, das Kritiker als Gefahr für die Meinungsäusserungsfreiheit zurückwiesen.
Der rechte Parteiflügel der SNP steht derweil der Alba-Partei des ehemaligen Parteivorsitzenden Alex Salmond nahe. Diese Gruppierung befürwortet einen forschen Unabhängigkeitskurs, ist aber gesellschaftspolitisch konservativer positioniert und gibt sich etwa skeptisch gegenüber dem Gender-Gesetz. Die Alba-Partei hatte Yousaf die Unterstützung bei den Misstrauensvoten angeboten, doch konnte der SNP-Chef deren identitätspolitische Forderungen nicht erfüllen, ohne eine Rebellion des linken Parteiflügels zu riskieren.
Offen ausgebrochen war der Richtungskampf vergangenes Jahr im Rennen um die Nachfolge von Sturgeon. Die gesellschaftspolitisch konservative Kate Forbes, die einer evangelikalen Freikirche angehört, unterlag damals Yousaf nur knapp. Nun gehört Forbes erneut zum Favoritenkreis für die Nachfolge von Yousaf. Gute Chancen werden auch John Swinney eingeräumt. Beobachter trauen dem einstigen Stellvertreter Sturgeons auch dank seiner langjährigen Erfahrung zu, die Partei zusammenzuhalten.
Der neue SNP-Chef muss aber nicht nur bei der Parteibasis, sondern auch im Regionalparlament eine Mehrheit finden. Die Grünen haben erklärt, sie könnten eine Minderheitsregierung der SNP unter neuer Führung unterstützen. Doch dürfte diese Unterstützung am Ende auch von der Person des neuen SNP-Chefs abhängen. Stimmt das Parlament nicht innerhalb von 28 Tagen für einen neuen Regierungschef, kommt es zu Neuwahlen.
Labour fordert Neuwahlen
Die Labour-Partei fordert einen vorgezogenen Urnengang. Sie argumentiert, nach zwei Wechseln an der Partei- und Regierungsspitze habe die SNP kein demokratisches Mandat mehr, um die Geschicke Schottlands zu lenken. Labour hat in den Meinungsumfragen Boden gutgemacht und liegt nun etwa gleichauf mit der SNP, der bei einer schottischen Regionalwahl erhebliche Sitzverluste drohten.
Ein ähnliches Szenario zeichnet sich bei der im laufenden Jahr anstehenden britischen Unterhauswahl ab: 2019 errang die SNP 48 der 59 schottischen Parlamentssitze in Westminster, während die in Schottland stark verwurzelte Labour-Partei nur noch ein einziges Mandat gewinnen konnte. Dieses Jahr könnten Labour und die SNP auf je 23 schottische Parlamentssitze kommen, womit die jahrelange Dominanz der Nationalisten gebrochen wäre.
Die seit 2007 regierende SNP wirkt amtsmüde, und Yousaf ist es nicht gelungen, den Negativtrend zu brechen. Neben dem Gender-Gesetz hat er von seiner Vorgängerin Sturgeon auch eine parteiinterne Finanzaffäre geerbt. Jüngst wurde Sturgeons Ehemann Peter Murrell, der einst als SNP-Generalsekretär für die Parteifinanzen zuständig war, wegen Veruntreuung angeklagt. Nicht zuletzt fehlt der SNP eine realistische Strategie, ihr Ziel der schottischen Unabhängigkeit zu verwirklichen. Das Umfragehoch für die unionistische Labour-Partei ist auch ein Zeichen dafür, dass viele Schotten der Unabhängigkeitsfrage heute weniger Bedeutung zumessen als noch vor ein paar Jahren.