Saudiarabien und der Gaza-Krieg: Plötzlich geht es doch nicht mehr ohne Amerika
Ohne Washington geht es nicht: Saudiarabiens Kronprinz Mohammed bin Salman (rechts) bei einem Treffen mit dem amerikanischen Aussenminister Antony Blinken in Riad. Evelyn Hockstein / Reuters
Seit Mohammed bin Salman in Saudiarabien die Macht an sich gerissen hat, ist sein Wüstenkönigreich zu einer Top-Destination für Konferenzen der Superlative geworden. Alle paar Monate lädt der Kronprinz zu einem neuen Treffen ein – und die sogenannten «Movers und Shakers», wie die wichtigen Leute aus Politik und Wirtschaft im Konferenzensprech genannt werden, kommen aus aller Welt nach Riad geflogen.
Im König-Abdulaziz-Kongresszentrum, einem bizarren Phantasiepalast am Rand der Hauptstadt, leuchten dann riesige Lüster aus Kristall mit ebenso grossen Videoleinwänden um die Wette. An den Checkpoints der königlichen Garde stauen sich die Limousinen. Und weil die guten Hotels alle voll sind, steigen die weniger wichtigen Gäste in tristen Billig-Bunkern im Ulaya-Viertel ab – zu horrenden Preisen, versteht sich.
Krisenmanager statt Visionär
Beim Weltwirtschaftsforum (WEF), einem Ableger des Gipfeltreffens in Davos, das diese Woche zum ersten Mal in Riad zu Gast ist, ist das nicht anders. Bloss: Die Goldgräberstimmung, die sonst an Konferenzen in Saudiarabien immer herrscht, fehlt diesmal. Zwar wird wie immer über Dinge wie künstliche Intelligenz oder die Zukunft der Energie diskutiert. Und natürlich auch über Neom, die futuristische Riesenmetropole, die bin Salman in der Wüste bauen will.
Doch das alles beherrschende Thema in den blitzblanken Mokka-Bars und Executive Lounges ist nicht die Traumstadt Neom – sondern der Albtraum von Gaza. Der Krieg im Küstenstreifen, der mit dem Überfall der Hamas auf Israel am 7. Oktober begann und seither Zehntausende Tote und Verletzte gefordert hat, droht nicht nur den Nahen Osten in den Abgrund zu reissen. Er stellt auch Saudiarabien vor grosse Probleme.
In jenem neuen Nahen Osten, von dem bin Salman so gern schwärmt, sollten Krisen und Kriege eigentlich der Vergangenheit angehören. Der saudische Kronprinz setzt seit Jahren auf regionale Zusammenarbeit und Stabilität, um aus seinem Petrostaat eine moderne, global vernetzte Dienstleistungswirtschaft zu machen. Doch statt als Visionär muss er sich jetzt als Krisenmanager betätigen.
Weder direkte Beziehung zur Hamas noch zu Israel
In der Öffentlichkeit ist das Leid der Palästinenser in Gaza kaum ein Thema, doch saudische Forumsteilnehmer versichern hinter vorgehaltener Hand, dass die Emotionen angesichts der Bilder aus dem zerstörten Küstenstreifen hochgingen. Bin Salman muss zwar im Gegensatz zu anderen arabischen Staatsführern den Volkszorn nicht fürchten. Trotzdem bringt ihn der Gaza-Krieg in eine missliche Lage.
Denn sein Land, welches über die heiligen Stätten des Islams wacht, kann nicht am Seitenrand stehen, während im Nahen Osten die wohl schlimmste Krise seit Jahrzehnten herrscht. Gleichzeitig will der Kronprinz trotz all den Toten in Gaza nicht von der Annäherung an Israel lassen, auf die er vor dem 7. Oktober hingearbeitet hat. Diese unterschiedlichen Interessen muss er jetzt unter einen Hut bringen.
Am WEF führt bin Salman deshalb Hintergrundgespräche und lässt eine Gaza-Konferenz ausrichten. Sein Aussenminister, Prinz Faisal bin Farhan, verurteilt Israel dabei scharf – nur um kurz darauf zu versichern, dass sein Land immer noch an einer Normalisierung interessiert sei. Zur Bedingung macht er aber ein Ende des Gaza-Kriegs und einen Palästinenserstaat in den Grenzen von 1967.
Viele Mittel, um auf die Konfliktparteien einzuwirken, hat Saudiarabien allerdings nicht. Denn im Gegensatz zu seinen kleinen Nachbarn Katar und den Vereinigten Arabischen Emiraten verfügt es weder über Beziehungen zu Israel noch zur Hamas.
Ähnlich zurückhaltend geben sich die Saudi, wenn es um eine mögliche Nachkriegsordnung in Gaza geht. Dabei müsste der reiche Petrostaat, der sich als Führungsmacht der Araber sieht, eigentlich eine Hauptrolle spielen. Aber bin Farhan blockt ab. Noch sei es zu früh, um darüber zu sprechen. Sein Amtskollege Ayman Safadi aus Jordanien erklärt, warum: «Wir wissen ja nicht, was Israel in Gaza vorhat», sagt er. Man wolle auf keinen Fall als Komplize der Besatzungsmacht gesehen werden.
Spricht man die saudischen Forumsteilnehmer auf diese verzwickte Situation an, reagieren viele verärgert. «Sie fragen mich, welche Rolle wir spielen können?», sagt etwa Faisal Abbas, ein bekannter Kommentator und Chef der Zeitung «Arab News». «Dann nennen Sie mir doch bitte irgendein anderes Land im Nahen Osten, dem es gelingt, fast alle arabischen Staaten auf eine gemeinsame Position einzuschwören.»
Der Gaza-Krieg hat einige Illusionen platzen lassen
Zurückhaltung passt nicht zu dem grenzenlosen Selbstbewusstsein, mit dem die Saudi in letzter Zeit aufgetreten sind. Auch auf dem WEF erklären sie europäischen Besuchern, dass sich die Zeiten geändert hätten und die Golfstaaten jetzt eine völlig unabhängige Aussenpolitik betreiben würden. Doch nach Jahren, in denen Riad dank dem Ukraine-Krieg und dem hohen Ölpreis mit breiter Brust Weltpolitik machen konnte, hat der Gaza-Krieg nun einige Illusionen platzen lassen.
So muss der auf seine strategische Autonomie so stolze bin Salman erkennen, dass er allem Gerede von einer multipolaren Weltordnung zum Trotz immer noch auf Amerika angewiesen ist. Nicht nur kann ausser Washington niemand auf Israel einwirken und so den Traum vom neuen Nahen Osten doch noch Realität werden lassen. Sondern Amerikas Militär bleibt für die Sicherheit am Golf auch wichtiger, als sich dies viele in Riad eingestehen wollen.
Nur dank der Hilfe der Amerikaner und anderer Verbündeter ist es den Israeli vor ein paar Wochen gelungen, einen gewaltigen Drohnen- und Raketenangriff aus Iran nahezu unbeschadet abzuwehren. Bei Saudiarabien und anderen arabischen Golfstaaten, die sich vor Teheran mehr fürchten als vor Israel, hat die erfolgreiche Luftschlacht einen starken Eindruck hinterlassen.
Riad wäre einer strategischen Allianz nicht abgeneigt
Am WEF lassen die Saudi deshalb durchblicken, dass sie einer strategischen Allianz mit Israel und Amerika nicht abgeneigt wären. Mohammed bin Salman weiss allerdings, dass damit zurzeit keine PR zu machen ist. Der Prinz, der sich sonst gern im Scheinwerferlicht sonnt, bleibt diesmal diskret. Nur ein einziges Mal taucht er auf, als er ein Treffen mit hohen Wirtschaftsführern verlässt.
Der Star des Wüsten-WEF ist dieses Mal nicht der Kronprinz oder einer der einflussreichen Wirtschaftsbosse, die sonst in Riad mit Milliarden-Deals für Aufmerksamkeit sorgen. Sondern Antony Blinken, der amerikanische Aussenminister.