Eine widerständige Frau: die Schauspielerin Kim Novak
Als Kim Novaks Haus in Los Angeles 1966 bei einem Erdrutsch zerstört wird, verabschiedet sie sich endgültig von Hollywood. Sie fährt an die Küste nach Big Sur und von dort aus weiter in das Leben, das sie für sich selbst als junge Frau vor Augen hatte.
Sie wird mit Anfang dreißig Malerin und findet ihre Bestimmung, so sagt sie es in dieser als Doku eingekleideten autorisierten Biographie, die, wie gesagt wird, unter ihrer Mitwirkung entstanden ist. Augenscheinlich jedoch unter ihrer engmaschigen Kontrolle. Hier taucht nichts auf, was das Bild der unabhängigen, revoltierenden, Studiobosse bezwingenden emanzipierten Frau stören könnte.
Ihre Beziehung zu Sammy Davis jr. musste geheim bleiben
MeToo? Time’s up? Eigene Produktionsfirma? Boss sein? Das patriarchalische Studiosystem mit der Waffe des Schauspielerinnenstreiks schlagen? Alles schon gehabt bei Kim Novak. Rassismus und Gewalt der veröffentlichten Meinung, die ihre gemutmaßte Liebesbeziehung mit Sammy Davis jr. begleiten? Sein Opfer, ihr Opfer, eine einzigartige Begegnung, aus der eine Lebensliebe hätte werden können und eine einzige heimliche, herrliche, wundervolle Nacht im Zug von Chicago an die Ostküste, von ihr selbst geschildert,
Stoff für Tragödienfilme? Alles selbst erlebt. Von ihr, die hier als Neunzigjährige als einzige Überlebende einer Filmindustrie spricht, die junge Frauen wählte, unter Vertrag nahm, um sie neu zu erschaffen und als Star zu gebrauchen, bis die Kasse nicht mehr klingelte. Was, so wird Columbia-Pictures-Chef Harry Cohn zitiert, vor allem am schuldhaften Älterwerden der „Leinwandgöttinnen“ lag. Die Männerphantasien der „goldenen Zeit“ Hollywoods Mitte der Fünfziger hatten keine Lebensspuren zu zeigen.
Startschnitt von eigener Hand
Hier gibt es Lebensspuren satt, in der Perspektive der Protagonistin gefiltert. Eigentlich sind solche Starschnitte von eigener Hand als dokumentarische Darstellungen ohne Aufklärungswert. Journalistisch-kritisch sind sie mitnichten, auch wenn sie in der Regel so tun. Sie sind einseitig, ausschnitthaft, glatt gebügelt. Mehrere solcher Porträtinszenierungen gab es bei Arte zuletzt. Arte France scheint ein Händchen für diese Art der Eigen-PR zu haben. Im Fall von Kim Novak erscheint die Selbstdarstellung freilich sinnvoll. Um Eigenermächtigung ist es ihr offensichtlich während ihrer Karriere gegangen. Darum, Subjekt und nicht Objekt zu sein.
Sieht man den Kontext mit, achtet auf die Aussagekraft von Glättungen und Auslassungen, ist „Kim Novak – Rebellin im Starsystem“ mit Gewinn zu sehen. Etwa wegen der Kapitel, die im Einzelnen die Erschaffung der Kim Novak 1953, eigentlich Marilyn Pauline Novak, Kind tschechischer Einwanderer aus Chicago, der von Harry Cohn zunächst der Name Kit Marlowe angehängt werden sollte, zeigen. Mit Selbstironie spricht Novak vom Schöpfungsprozess des platinblonden weißen Stereotyps, einem keuschen, infantilisiert engelsgleichen Wesen, das sich ihres Körpers nicht bewusst ist: Spielmaterial für den männlichen Blick – und Filmpartner.
Die „New York Times“ nennt Novak, als sie in gleich drei Filmen in kürzester Zeit debütiert, „Das köstlichste Häppchen, das dem Publikum diese Saison serviert wurde“. Hier ist Novaks biographischer Film erhellend. Wie frauenfeindlich das Hollywood-Starsystem war, wird mit Beispielen von Mae West über Marilyn Monroe bis eben Novak gezeigt. Allein Rita Hayworth darf rothaarig sein – und die Rolle der grenzwertig sexuell Selbstbewussten spielen.
Interessant ist auch das Kapitel, in dem Novak ihre – heimliche – Beziehung zu Sammy Davis jr. darstellt. Dem Film gelingt mit wenigen Archivbildern die rassistische Stimmung in weiten Teilen der USA zu dieser Zeit. Beide sind Stars. Aber er darf bei seinen Shows in Las Vegas nicht den Vordereingang der Kasinos benutzen. Toiletten unterscheiden „Ladies“, „Men“ und „Colored“. Die Ermordung des vierzehnjährigen Emmett Till, der angeblich einer weißen Frau hinterhergepfiffen hatte, ist zum Zeitpunkt beider Verbindung erst wenige Jahre her.
„Vertigo“ ist ihr Film
Zudem geht es um Novaks Filme, allen voran Hitchcocks „Vertigo“, in dem sie neben James Stewart als Judy und Madeleine die Doppelrolle von Frau und Männerphantasie auf die Leinwand bringt. Auch hier geht es um Deutungshoheit. Es ist ihr Film – der Film, der ihre Rebellion gegen Fremdbestimmung enthält.
Mit Interviewszenen, gefilmt bei ihrem Landhaus in Oregon, während sich dekorativ ein Wasservogelschwarm erhebt und die gesamte Herbstfarbenkulisse nach Inszenierung aussieht, geht die von Filmhistorikerinnen sekundierte Selbstdarstellung von 2022 zu Ende. Gleichsam als zu Lebzeiten verfasster Nachruf auf eine widerständige Frau. Meist sah man sie weich wie Wachs („Sie schmilzt in seinen Armen“). Novak dagegen porträtiert sich als Metall („Sie lässt sich nicht verbiegen, weder vor der Kamera noch im Privatleben“). Wenn schon Projektionsfigur, dann als eigene Kreation.
Kim Novak – Rebellin im Starsystem läuft am Sonntag um 21.50 Uhr bei Arte und ist in der Arte-Mediathek abrufbar.
News Related-
Der Batzen und das Weggli für Dominik Egli
-
Mini-Grün auf der grünen Suppe
-
Eine Trainerin und ein Arzt kennen die Antwort: Fit werden, ohne zu schwitzen – geht das?
-
Häuser bereits verkauft: Dreijährige Kreuzfahrt abgesagt – Passagiere vor dem Nichts
-
Deutschland versinkt im Schneechaos
-
Von ZHAW gewählt: «Monsterbank» ist das Deutschschweizer Wort des Jahres
-
Frauen und Jugendliche – 33 weitere palästinensische Gefangene frei
-
Jans oder Pult: So stehen die Chancen der SP-Kandidaten
-
Müde und grummelig? Hier kommen 23 lustige Fails für bessere Laune
-
Innerhalb von 24 Stunden: „Wetten, dass..?“-Auftritt von Helene Fischer erreicht Meilenstein
-
So lief das Wochenende für die Schweizer Söldner: Unermüdlicher Xhaka spult Mammutprogramm erfolgreich ab
-
Hans Flatscher löst für Swiss-Ski Dinge, bevor sie ein Problem sind
-
Grenadier-Rekrut bricht auf Marsch zusammen: «Viele dachten während zwei Tagen, ich sei tot»
-
Novum: Frappart leitet Bayerns Heimspiel gegen Kopenhagen